Zeitenwende im Journalismus: 2019/2020 markieren die Jahre, in denen die Idee des mittelgroßen Mittelstand mit mittelgroßem Journalismus für alle an ihre endgültigen Grenzen kommt. Allerspätestens jetzt wird es Zeit zum Umsteuern. Read More
Man muss kein Pessimist sein, um der Einschätzung folgen zu können: Die Großen im Netz werden immer größer, sie „saugen den Sauerstoff aus dem Raum“. Selbst den Digital-Größen der 2. Liga (Twitter, Vice, Buzzfeed) prophezeit der New Yorker Professor Scott Galloway böse Zeiten: Sie seien bald pleite, wüssten es bloß noch nicht. Von der grotesken Luftnummer Snapchat redete man da noch gar nicht.
Und was machen da mittelständische Medienunternehmen, wie sie in Deutschland immer noch die Mehrheit bilden?
Nimmt man die Auffassungen des New Yorker Professors ernst (und das sollte man), stecken die Mittelständler und Generalisten in der Falle. Mit den Tech-Riesen können sie nicht im Ansatz konkurrieren. Der Versuch, Gelder auf dem Digital-Werbemarkt abzugreifen, wird von Jahr zu Jahr schwieriger, weil: siehe oben. Und Paid Content? Ein Markt mit natürlichen und schnell erreichten Grenzen, wie man befürchten muss.
Ganz groß. Oder klein und spezialisiert. Dazwischen gibt es nicht mehr viel.
Ganz groß – oder klein und wendig in der Nische: Das scheint der Medienmarkt der Zukunft zu werden. Hochspezialisiert auf Themen. Oder eine eng zusammengewachsene Community. Das sind die Konstrukte, in denen Medien noch überleben können. Was auf keinen Fall mehr geht: Beliebiges, mittelgroßes und mittelgutes Zeug produzieren, das man einem mittelmäßig interessierten Publikum zur Verfügung stellt.
Ich hantiere ungern mit Zahlen. Meistens stellt sich hinterher raus, dass sie nicht so exakt waren, wie man prognostiziert hat. Im Trend der kommenden fünf Jahre lege ich mich trotzdem fest: Wir erleben eine heftige Marktbereinigung vor allem bei mittelständischen Tageszeitungen. Zusammenlegungen von Redaktionen, Schließungen ganzer Titel, Jobverluste, das ganze Programm.
Auch Magazine und Wochenzeitungen werden ins Schwimmen geraten, wenn sie nicht ein eindeutiges Profil entwickeln und (Stichwort: Community!) ihr ganz eigenes Publikum erwischen. Beim „Spiegel“ und der „Zeit“ glaube ich, dass sie die Kurve kriegen werden. Speziell die „Zeit“ macht seit Jahren vor, wie wichtig es ist, sein Publikum zu kennen und für dieses Publikum zu produzieren. Bei „Stern“ und insbesondere „Focus“ habe ich massive Zweifel. Kaum mehr eigenes Profil, dazu viele Inhalte, die man sich mit etwas Zeit selbst zusammen googeln kann. „Der gesunde Nacken“ titelte der Focus letzte Woche. Hübsch, aber unnötig. Kann Google besser. Und hey, könnte das nicht auch ein schöner Stern-Titel sein?
2019/2020 – die nächste große Zeitenwende im Journalismus
2019/2020 markiert die nächste Zeitenwende im Netz. Sie ist in etwa so bedeutend wie die Umwälzungen kurz nach dem Jahr 2000. Damals wandelte sich der Journalismus im Netz von einer textlastigen Wiederverwertungsmaschine ohnehin schon erstellter Inhalte zu einem eigenständigen Genre. Multimedia, auch im Ansatz schon Social Media nahmen damals ihren Lauf.
Die Idee blieb dennoch immer die gleiche. Große Redaktionen nehmen sich mal eben die Welt vor. Das war (und ist) die Idee sogar in Häusern, die gemessen an den heutigen Strukturen des Netzes als Zwerge mit einem versehentlich zu groß geratenen Anspruch erscheinen. Das aber ist heute kein Geschäftsmodell mehr. Möglichst umfassend zu informieren mit einer 200-Mann-Redaktion: Es dürften nur wenige sein, die mit dieser Idee überleben.
Zumal es auch inhaltlich künftig nicht mehr darum geht, das große Bild der Welt zu zeichnen (das bleibt womöglich nur einigen wenigen vorbehalten). Punktgenaue, individuelle, spezialisierte Information, der jeweiligen Nutzungssituation angepasst – das ist die Idee, die hinter der Trendwende 2020 steckt. Alles andere ist buchstäblich von gestern.
„das große Bild der Welt zu zeichnen“ – das bleibt den globalen Nachrichtenagenturen vorbehalten, die nicht umsonst „führend“ genannt werden. Von denen gibt es derzeit genau drei Stück, also eine überschaubare Anzahl, und mehr wären geradezu kontraproduktiv: https://swprs.org/der-propaganda-multiplikator/