Für den Journalismus soll 2019 ein düsteres Jahr werden. Schreiben zumindest Wissenschaftler. Ein Blick in die Praxis zeigt: Das ist vermutlich erst der Anfang einer radikalen Marktbereinigung – bei der einiges auf der Strecke bleiben wird. Read More
Grundsätzlich bin ich ein Daueroptimist. Was allerdings gerade im Journalismus auf uns zukommt, verschlägt sogar mir etwas die Sprache. Ich hatte (schon mal erwähnt) vor über einem Jahr geschrieben, dass 2019 das Jahr der Entscheidung für Tageszeitungen in Deutschland werde. Begründet hatte ich das damit, dass in diesem Jahr der Druck im Kessel steigen werde, dass die Effekte der Digitalisierung durchschlagen und dass das bisherige Geschäftsmodell an seine Grenzen stoße.
Wie es aussieht, habe ich mich getäuscht.
Die Prognose mit dem düsteren Jahr 2019 muss man auf die ganze Branche ausdehnen. Sage nicht ich alleine, sondern auch das Reuters Institute in seinen Jahrestrends. Das Institut geht soweit, eine bisher nicht gesehene Entlassungswelle für Journalisten zu prophezeien.
Grund dafür (grob zusammengefasst): Die Erlöse im Digitalen steigen nicht in dem Maß, in dem sie im eigentlichen Kerngeschäft sinken. Und: Der Hoffnungsträger Paid Content ist einer mit eingeschränktem Potenzial (ausführlicher drüben im „Universalcode“ nachzulesen).
Das mag alles wahr sein. Man kann die mangelnde Zahlungsbereitschaft der Kundschaft beklagen. Man kann lamentieren, dass die Sache mit dem Journalismus schwieriger geworden ist, seid es die sozialen Netzwerke gibt. Und klar, die Netzwerkeffekte. Wo es eine Nummer eins gibt, gibt es meistens keine Nummer zwei. Weswegen es sinnlos wäre, auf eine andere Verteilung der Gelder in der Online-Werbung zu hoffen. Der Zug ist abgefahren, das Geld wird weiter in erster Linie von den ganz Großen abgeschöpft.
Tatsächlich aber gibt es einen entscheidenden Grund, über den zumindest in Deutschland nicht viel gesprochen wird: Der Journalismus hat den Digital-Journalismus oft noch nicht begriffen. Weder seine Inhalte noch seine Geschäftsmodelle. Jaja, ich weiß, es gibt die berühmten Ausnahmen. Aber von denen reden wir hier nicht. Wir reden von der breiten Masse.
Für welches Produkt sollen User überhaupt zahlen?
Diese breite Masse setzt häufig auf etwas, was im digitalen Zeitalter obsolet geworden ist: Generalismus. Die Idee, als Generalanbieter für alles zuständig zu sein. Für Information, für Unterhaltung, für Kompetenz in allen Lebenslagen. Es ist erstaunlich, dass man so etwas im Jahr 2019 noch aufschreiben muss, aber trotzdem: Bei den Massen, die es inzwischen an Inhalten gibt, ist der Experte, der es besser weiß als der Generalist, nur noch einen Mausklick entfernt.
Man müsste also, oberste Lektion, sich als Allererstes fragen, für wen man da überhaupt produziert. Ob der potenzielle Kunde das überhaupt wollen könnte, was man da anbietet. Ich versehe beispielsweise bis zum heutigen Tag die Regionalzeitungen nicht. Ihr USP wären: lokale und regionale Inhalte. Das bestreitet kein Mensch mehr. Und wie ist die Verteilung in einer durchschnittlichen Regionalzeitung? Mindestens die Hälfte des Blattes besteht aus überregionalen Inhalten. Regional- und Lokalteile kommen miteinander meistens auf vielleicht die Hälfte, originäre Lokalteile machen in vielen Zeitungen nicht mal 20 Prozent aus.
Und hat schon mal jemand genau nachgeschaut, wie personalisierbar die Angebote deutscher Medienhäuser sind? Diejenigen, die sowohl bei Inhalten als auch der Kanal-Konfiguration wirklich vielseitig sind, sind immer noch die Unterzahl. Bei den meisten herrscht das Prinzip „take it or leave it“.
Die Verhältnisse am Markt haben sich umgedreht
Vorher hatten wir einen Markt, der vom Angebot geregelt wurde. Jetzt regelt ihn die Nachfrage. Das muss man nicht schön finden, aber das ist nicht zu ändern. Nicht mit Paywalls, nicht mit flammenden Appellen an die User, die jetzt endlich mal begreifen sollen, wie unverzichtbar der Journalismus doch sei.
Dazu gehört allerdings, dass man sich einer sehr unbequemen Wahrheit bewusst wird. Nämlich der, dass wir womöglich auf einen Zweiklassenjournalismus zusteuern. Journalismus wie wir ihn jetzt kennen, für den Menschen im Monat auch mal dreistellige Beträge ausgeben, wird eher die Ausnahme als die Regel. Das hat nichts mit Interesse an Journalismus zu tun, sondern ist simple Ökonomie.
Diese Premium-User (nennen wir sie mal ganz bewusst so) sind willens und in der Lage, vergleichsweise viel Geld für Medien auszugeben. Alle anderen werden sich zufriedengeben (müssen) mit dem, was man in solchen Umgebungen von freiem Internet und sozialen Netzwerken findet. Das ist ein bisschen wie bei denen, die schon vor 15 Jahren bei Napster Musik gezogen hatten: Da waren auch Perlen drunter, aber man musste vorher viel Dreck säubern.
Nicht, dass wir uns missverstehen: Es ist nicht so, dass ich das für eine begrüßenswerte Entwicklung halte, ich sehe es nur realistisch. Umgekehrt heißt das für Medien aber auch: Premium-Publikum erwartet Premium-Produkte. Das wiederum ist das erwartbare Ende für alle, die heute irgendwelche mediokren Zeitungen, Sender, Magazine, Webseiten betreiben. Man setzt also wahlweise auf Premium, klar umrissene Zielgruppen und bezahlen. Oder auf Reichweite und Werbung um jeden Preis, wobei der Preis vermutlich – SEO und Clickbaiting lassen grüßen – ein Verzicht auf hochwertige Qualität sein wird.
Und solange diese grundsätzlichen Veränderungen eines digitalen Markts nicht begriffen werden, werden auch die Jahre nach 2019 schwarze Jahre für den Journalismus werden. Zu den unbequemen Wahrheiten gehört nämlich auch: Nicht alle werden die kommenden Jahre überleben.
Über die Marktbereinigung im Journalismus zu jammern, ist eine Sache. Die Konzentration auf immer weniger Verlage, Zeitungstitel, Voll-Redaktionen, die begann schon als ich noch einen Redakteursvertrag in einer Vollredaktion hat. Die Klage ist nicht neu. Was mich aber viel sorgenvoller stimmt, ist dass die Redaktionen seriöser Nachrichtenblätter – so nannte man es einst – immer weniger ihrer Gatekeeper-Funktion gerecht werden. Jedes nicht bestätigte Gerücht, jeder noch so dumme Tweet von Trump, jedes AfD-Zitat wird gedruckt oder gesendet, denn die Konkurrenz schläft nicht, „das muss noch an die Agentur“ und Fact-Checker können sich die wenigsten leisten. Die Presse, die echte, wahrhaftige, die 4. Gewalt, sie wird ihrer Verantwortung nicht gerecht.