Medien-Deutschland ist gerade dabei, sich bei der Digitalisierung zufrieden zurückzulehnen, weil man ja irgendwie ganz schön weit ist. Dabei tauchen deutsche Unternehmen in internationalen Rankings für Innovation selten auf. Vermutlich deshalb, weil auch im Medien-Betrieb die Milchkannen-Einstellung vorherrscht: 5G und den anderen Quatsch braucht man ja nicht überall. Medien-Deutschland kurz vor dem nächsten Jahrzehnt: ein Land im Selbstverzwergungs-Zustand. Read More
Die neue bayerische Digitalministerin war unmittelbar nach Ihrer Ernennung erfrischend ehrlich: Digital, das sei ja eigentlich nicht ihr Spezialthema, aber gut, der Söder wollte es so. Und irgendwie muss man ja digital was machen, diese Erkenntnis hat sich zum Jahresende 2018 bis in die finstersten Ecken herumgesprochen.
Natürlich habe ich keine Ahnung, wie viel Expertise die neue bayerische Digitalministerin mitbringt und jeder verdient eine echte Chance, sogar in Bayern. Trotzdem ist diese selbst für die Ministerin selbst überraschende Ernennung spiegelbildlich für das, wie (Medien-)Deutschland an das Digitalisierungs-Thema herangeht: Im Zweifelsfall soll es irgendein Junger richten, die mögen das ja. Das hat den Vorteil, dass man sich selbst nicht allzusehr darum kümmern muss und man im Zweifelsfall ein Alibi hat.
Aktuell lese ich sehr intensiv den Trendreport 2019 (die wichtigsten Erkenntnisse stehen drüben beim „Universalcode 2020“). Da findet man allerlei auch zum Thema Medien und Journalismus. Nicht alles davon muss man glauben oder gar gut finden. Aber die grundsätzliche Richtung stimmt schon.
Interessant dabei ist: Für alle Themen gibt es einen kleinen Blick mit Firmen oder Einrichtungen, die bei diesen Themen vorne mit dabei sind und die es sich im Auge zu behalten lohnt. Deutsche Unternehmen oder Redaktionen finden sich so gut wie gar nicht darunter.
Facebook, Twitter, Videos – und was sonst noch so kommt
Bei einer Organisation, die sich die journalistische Fortbildung auf die Fahnen geschrieben hat, findet sich für 2019 (!) eine Veranstaltung, die heißt allen Ernstes; „Facebook, Twitter, Videos – und was sonst noch kommt“. Vielleicht ist ja nur der Titel etwas unglücklich gewählt. Aber wahrscheinlicher ist, dass sie es ernst meinen mit dem Titel. Das allerdings ist zehn Jahre hinten nach. Facebook, Twitter und Videos sind so sehr Realität und beinahe wieder Vergangenheit, dass sich seit geraumer Zeit die Frage stellt, was danach kommt.
Aber so ist das im deutschen Medien-Mainstream. Selbst die konservativste Tageszeitung hat inzwischen eine Redaktion, die irgendwas mit Internet macht. Oft sind die Digital-Leute sogar Mitglieder der Chefredaktion und verantworten dann Facebook, Twitter, Videos und was sonst noch so kommt (Gerhard Schröder, der knarzige Altkanzler, hätte das wahrscheinlich als Gedöns bezeichnet). Das ist also alles schon ok. Aber innovativ oder zukunftsgerichtet ist es nicht, wenn man einfach nur aufholt, was man vor zehn Jahren versäumt hat.
Zumal diese Aufholen nichts ist, was die Medien zukunftsfähig macht. Erzählen Sie mal einem 18jährigen was über Facebook, Twitter, Videos und was sonst noch kommt. Mit etwas Glück lacht er Sie nicht aus.
Innovation: Wir nehmen gerne mal das Mittelmaß als Maßstab
Warum eigentlich nicht? Wieso hört man, wenn es um den internationalen Maßstab geht, so selten etwas beispielsweise von ARD und ZDF, die so viel kleiner als die BBC auch nicht sind (und die immerhin Milliarden-Budgets zur Verfügung haben)? Und wieso nimmt man es achselzuckend hin, dass es oft die Times oder der Guardian sind, die als Leuchttürme der Zeitungen genannt werden, eher selten aber die FAZ oder die SZ?
Mit echter digitaler Innovation tut man sich in (Medien-)Deutschland immer noch schwer. Viele haben in den letzten Jahren angefangen, bleiben aber jetzt auf noch nicht mal halber Strecke wieder stehen. Man hat ja alles, was man zum Leben braucht: Webseite und App und sogar Facebook, Twitter, Videos und was sonst noch so kommt.
Woran es in sehr vielen Fällen immer noch fehlt: eine ganzheitliche Strategie. Eine, die alle Bereiche des Unternehmens umfasst und nicht nur punktuell eingreift. Eine, die sich vor allem Innovation zum Ziel setzt und nicht nur digitale Reparaturarbeiten. Und eine, die davon ausgeht, dass die Digitalisierung ein vorerst potentiell unendlicher Prozess ist. Das nämlich ist ebenfalls einer der Kardinalfehler, denen man begegnet: zu glauben, dass Digitalisierung so etwas wie ein etwas größerer Relaunch sei. Ein Projekt, das einen Anfang und irgendwann mal wieder ein Ende hat. Dabei stehen wir gerade erst am Anfang von Umwälzungen, von denen wir alle nicht wissen, was an deren Ende kommt.
2019 zünden wir die nächste Stufe – mit Sprache, VR, AR und interaktivem Multimedia
Sicher ist, dass wir spätestens mit dem Jahr 2019 die nächste Stufe zünden. Nennen wir sie: die Stufe, die nach Facebook, Twitter und Videos kommt. Und nach dem Smartphone. Die Geschichten der sozialen Netzwerke, wie wir sie kennen, insbesondere die von Facebook, könnte sich dem Ende zuneigen (interessanterweise schreibt dazu mal wieder, natürlich, die New York Times einen ziemlich erhellenden Text). Wir erleben, wie allmählich die Geschichte des Smartphones ausgereizt ist und wir auf die Suche nach einer Nachfolge-Technologie gehen. Befehle und Texte mühsam in kleine Displays eintippen, reichlich unintelligente Suchen und Datenkraken mit undurchschaubaren Praktiken als Maßstab unserer Information? Das kann es nicht sein und das wird es auch nicht sein.
Stattdessen: Das Thema Sprache wird eine sehr viel größere Rolle spielen, als wir momentan noch denken. Interaktivität auch bei Audios und Videos. Ein Mix aus VR, AR, 360 Grad, auch wenn ich natürlich weiß, dass es dort vor allem immer noch die fehlende Hardware ist, dass den Durchbruch verhindert. Webseiten, Apps, mobile Anwendungen, das ist alles gut und richtig, aber es ist die Gegenwart. Wer ein paar Tage in diesem Geschäft dabei ist, der weiß: Die Gegenwart ist im Zeitalter der Digitalisierung manchmal verdammt kurz.
Auf den diversen Watchlists der Trendreports fehlen meistens deutsche Namen. Aber vielleicht ist das kein Wunder in einem Land, dass 5G für einen Luxus hält, den man nicht an jeder Gießkanne braucht. Und in dem Ministerinnen ernannt werden, die vom Fach nicht allzu viel verstehen. Und in dem das Handynetz so miserabel ist (und die Tarife dennoch heftig hoch sind), dass sich sogar Mitglieder der Bundesregierung dafür schämen.
Und in dem es Fortbildungen gibt für Facebook, Twitter, Videos und was sonst noch so alles kommt.