War 2018 nun ein gutes oder schlechtes Jahr für Medien? Keines von beidem. Es war eines, wie wir sie in den kommenden beiden Jahrzehnten jedes Jahr erleben werden. Es war: in seinem ganzen Irrsinn ganz normal. Read More
Zunächst mal: Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie schnell sich vor allem der Blickwinkel auf den radikalen Wandel geändert hat. Dass eine bekannte Tageszeitung wie die „taz“ mehr oder minder unverblümt das Ende der gedruckten Ausgabe ankündigt, ist eine Entwicklung, die „wir“ Digital- und Medienblogger schon seit Jahren angekündigt haben. Dafür wurden wir in den besseren Fällen belächelt, manchmal auch wüst beschimpft.
Mir hing lange Zeit das Attribut des „Zeitungshassers“ an. Von jemandem, der Zeitungen gerne beim Untergehen zuschaut. Dabei war genau das Gegenteil der Fall: Ich finde immer noch, dass es zu den großartigsten Dingen der deutschen Medienlandschaft gehört, dass wir über 300 Tageszeitungen in Deutschland haben. Aber so ist das nun mal: Bei unschöneren Prognosen landet man schnell in der Kategorie des Nestbeschmutzers, der Kassandra.
Das absehbare Ende der gedruckten „taz“ hat jedenfalls für wenig Aufsehen gesorgt. Vermutlich auch deswegen, weil es nicht erstaunlich ist. Die „taz“ ist nur ein prominenter Vorbote dessen, was wir in den nächsten Jahren zunehmend öfter erleben werden: Print lebt, die gedruckte Tageszeitung taumelt trotzdem ihrem Ende entgegen.
Man muss das schon unterscheiden. Die Gattung Print mit Tageszeitung gleichzusetzen, ist ziemlicher Unfug. Nur kommen die Schwächen von Print nirgendwo so zusammen wie bei Tageszeitungen. Eine wöchentliche Publikation lebt nur sehr eingeschränkt von der Aktualität. Eine Tageszeitung muss dagegen aktuell sein. Kann sie aber nicht, weil Papier und Druckmaschinen und Lastwägen zusammen eine verstaubte Technologie sind, die gegen den digitalen Vertriebsweg chancenlos ist. Da kann man die besten Journalisten der Welt hinsetzen, mit diesem gut hundert Jahre alten Werkzeug sind sie chancenlos.
Es geht allerdings nicht um Technik und Handwerk alleine. Sondern natürlich auch um Inhalt. Um die Art und Weise, wie wir unsere Geschichten erzählen. Wir erleben zunehmend auch das Ende des monomedialen Journalismus. Multimedia ist Standard. Mit der Idee, man könne Medien jetzt auch mehrkanalig publizieren, ist man inzwischen eher Nachzügler als Vorreiter. Als Organisation ist eine Redaktion heute überholt, wenn sie lediglich Texte und Bilder anzubieten hat. Selbst dann, wenn diese Inhalte auch digital publiziert werden. Den besten Satz dazu hat gestern Jan Eggers getwittert:
Wenn ihr das Internet nur dazu verwendet, Radio und TV zu verbreiten, habt ihr es verschwendet. Dann solltet ihr das Licht ausmachen und nach Hause gehen.
Stammt vom BBC-Digitalstrategen Andy Conroy und fasst das Problem wunderbar zusammen. Weil es abgewandelt auch für Zeitungen gilt: Nur Texte ins Netz zu kippen, ist Unsinn. Ihr müsst multimediale Geschichten erzählen, nur das entspricht der Idee eines Journalismus im Jahr 2018.
Nicht jeder Trend ist gleich eine Innovation
Was gerne verwechselt wird: wirkliche Innovation – und das Hinterhecheln hinter jedem Trend. Zugegeben, das ist im digitalen Zeitalter manchmal schwer auseinanderzuhalten. Ich erinnere mich beispielsweise, als ich diesem Blog vor zwei Jahren das beliebte Spiel mitgespielt habe, die Medientrends des darauffolgenden Jahres prognostizieren zu wollen. VR hatte ich weggelassen, was mir eine Menge unfreundlicher Kommentare eingebracht hat, bei denen „Ahnungslosigkeit“ der Grundtenor war.
Heute, rund zwei Jahre später, würde ich behaupten: VR ist immer noch ein Nischenthema und wird es bis auf weiteres auch bleiben. Aber was weiß man schon? Umgekehrt habe ich ja auch schon Dinge prognostiziert, die nicht mal im Ansatz wahr geworden sind. Am besten gewöhnen wir uns einfach an den Gedanken, auch die nächsten Jahre nur auf Sicht planen zu können.
Das mag schwer auszuhalten sein. Vor allem für Verlage oder öffentlich-rechtliche Sender, deren Denkweise ja immer noch eine langfristige und manchmal auch starre ist. In dieser Welt entwickelt man immer noch Produkte bis zur Serienreife, dauern Relaunches zwei Jahre und eine Umstrukturierung im Haus doppelt so lange. Das ist manchmal verständlich, leider aber tödlich. Zeit ist das, was wir in der Branche am wenigsten haben.
Vermutlich ist genau das das Verwirrende für Medien, auch zwei Jahrzehnte nach Beginn der Digitalisierung: Diese Trends machen einfach was sie wollen. Ein Muster ist scheinbar nicht zu erkennen. So etwas wie Nachhaltigkeit auch nicht. Und so etwas wie ein klarer User-Wille auch nicht. Der digitale Graben sorgt einstweilen weiter dafür, dass wir zweigeisig fahren müssen. Mit konventionellen, analogen, linearen Angeboten. Und mit mobilen, multimedialen, sozialen Entwicklungen, die vermutlich genau das Gegenteil dessen sind, was wir bisher machen.
Und dann ist da ja noch die Sache mit uns Journalisten selbst. Es war schon mal einfacher, Journalist zu sein. Zu den Zeiten, als man uns nicht gerne in die Ecke des abgehobenen, tendenziell linken und bevormundenden, etwas unangenehmen Charakters gestellt hat. Das Dumme ist ja: Doch, genau das gibt es natürlich. Ich muss mich selbst oft genug zusammenreißen, wenn ich auf die Attitüde, die Überheblichkeit, das Moralisieren und Besserwissern von Kollegen stoße. Wir sind schon manchmal sehr selbstgewiss, auf der richtigen Seite zu stehen und demnach auch das Richtige zu tun.
Eigentlich müssten es große Tage für Medien sein
Auf der anderen Seite: Eigentlich müssten es großartige Tage für Medien und Journalismus sein. In Zeiten der digitalen Empörungsmaschinen, der gezielt gestreuten Fake News, der populistischen Pöbeleien gibt es vermutlich einen großen Bedarf an Einordnung, Fact Checking und ein paar besonnenen Stimmen, die sich gegen die Schreihälse stellen. Überhaupt, die Schreihälse. Von denen haben wir so viele, dass ich es unerträglich finde. Und damit meine ich nicht nur die AfD-Populisten-Schiene.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass im Netz nur der noch durchkommt, der die steilste These aufstellt, die schärfsten Beschimpfungen in petto hat, die überdrehteste Ironie pflegt. Zur Hölle mit SEO und Social Media, denke ich mir dann manchmal. Weil SEO und Social Media leider einen ungewollten, großen Beitrag dazu leisten, dass Journalisten und andere Publizisten sich kaum mehr so etwas wie einen Zwischenton leisten können. Dass rund 50 Prozent aller User schon mal irgendwo einen Beitrag geliked oder geteilt haben, ohne ihn vorher gelesen zu haben, passt ins Bild.
Wir können und wollen das Netz ja nicht zusperren. Alles in allem ist es ja doch eine ziemlich großartige Erfindung. Aber eben auch eine, die uns vermutlich nochmal zwei Jahrzehnte, vielleicht auch sehr viel länger in Atem halten wird. Damit findet man sich besser nicht einfach ab. Stattdessen: dazu beitragen, dass man uns Journalisten auch in 20 Jahren noch glaubt, dass uns nicht Konzerne regieren und dass man vor allem ins Netz gehen kann, ohne nicht nach 30 Minuten entnervt zu sagen: lieber wieder raus.