In der Wirtschaft gibt es einen ebenso martialischen wie bildhaften Begriff: Deathroll. Damit gemeint ist sinnbildlich das, was Krokodile mit ihren Opfern machen. Sie beißen sich fest, zerren sie erstmal langsam ins Wasser. Und wenn sie dann in der richtigen Position sind, drehen sie sich quasi einmal um die eigene Achse. Es entsteht ein buchstäblich tödlicher Sog, der das Opfer in die Tiefe reißt. In der Konsequenz bedeutet das meistens, dass ein längerer Kampf ganz schnell und schlagartig zu Ende geht. Read More
Als ich die Zahlen der neuesten ARD-ZDF-Onlinestudie gesehen habe, habe ich an drei Sachen gedacht.
Erstens an einen Text, den ich vor rund einem Jahr geschrieben habe. In dem heißt es sinngemäß, dass insbesondere für Tageszeitungen 2018 das letzte Jahr sein werde, in dem man halbwegs kommod wirtschaften könne und dass 2019 zum Jahr der Wahrheit werde. Weil dann der Druck im Kessel erheblich zunehme.
Zweitens war ich überrascht. Natürlich war mir auch vorher schon klar, dass die Waage zwischen analogen und digitalen Medien irgendwann zugunsten des Netzes kippen würde. Aber dass es 2017/2018 einen derart dramatischen Schub geben würde, hatte ich nicht erwartet.
Und drittens dachte ich: an die Deathroll.
Aber schauen wir uns erstmal die Zahlen an:
Das Tolle an diesen Zahlen ist: Man muss sie nicht lange erklären und nicht analysieren. Sie lassen sich in einem Satz zusammenfassen. Die Welt ist endgültig digital geworden. Von analogen Medien, von der Mediennutzung, wie wir sie von früher kannten, ist nicht mehr viel übrig geblieben. Das betrifft keineswegs die Verlage alleine, klassisches TV und Radio sind ebenso betroffen. Wenn fast drei Viertel aller 14-29Jährigen mittlerweile einen Streamingdienst nutzen und weitere 83 Prozent Videoportale und nochmal 47 Prozent regelmäßig Videos auf Facebook schauen, dann hat das schon jetzt spürbare Auswirkungen auf lineares TV.
Auswirkungen, die in den kommenden Jahren weitaus dramatischer werden. Weil die Rechnung eine ganz simple ist: Was will klassisches TV entgegenhalten gegen die geballte Macht (und das häufig ja auch herausragend gute Angebot) von Netflix oder Amazon? Rosamunde Pilcher, Thomas Gottschalk, den Brennpunkt im Ersten? DSDS?
Und die Verlage? Puh. Ich hatte, als ich meinen Text 2017 schrieb, nicht dringend erwartet, dass nun plötzlich ein Riesenruck durch die Häuser gehen würde. Aber dass so gut wie nichts passiert, hatte ich jetzt auch wieder nicht erwartet. Stand heute herrscht in vielen Zeitungsverlagen immer noch digitale Ödnis.
Ich weiß, dass der Vergleich eine wenig hinkt, schon alleine wegen der Größenordnungen: Aber wo ist eigentlich der deutsche Verlag, der sich mal an digitales und strategisches Denken wie die New York Times oder die Washington Post wagt? Ja, schon klar, alleine die Größe der beiden US-Blätter macht den Vergleich schwierig. Allerdings wird dabei gerne vergessen, dass es beiden noch vor einigen Jahren nicht allzu gut ging und ein Turnaround immer komplex ist. Ob nun bei einer Zeitung von Weltformat oder einem Regionalblatt, am Anfang steht immer erstmal neues Denken.
Genau das fehlt aber in den allermeisten Fällen (die berühmten Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel). Fakt ist: Die Deutschen sind schon lange im Internet, die meisten Zeitungen machen sich dann vielleicht mal auf den Weg. Und Fernseh-Sender finden es zumeist schon großartig, dass sie eine Mediathek haben.
Der Unterschied zwischen Ins-Netz-gehen und dem Leben im Netz
Es gibt da allerdings noch ein weiteres Problem, bei dem es mir in den letzten Wochen ernsthaft dämmert, dass es ein Problem ist. Weil wir es mit einem kompletten Paradigmenwechsel zu tun haben, bei dem es gar nicht darum geht, Inhalte aus einer Zeitung/einer Sendung irgendwie auch Online verfügbar zu machen. Zum ersten Mal nämlich haben wir es mittlerweile mit einer Generation zu tun, die komplett mit dem Netz aufgewachsen ist. Der womöglich wichtigste Unterschied dieser Generation zu uns Alten ist: Während wir immer noch dem Gedanken nachgehen, dass wir ins Netz gehen, sind die Anderen ständig da. Sie leben im Netz.
Für diesen Leben im Netz müsste Journalismus vorbereitet sein. Das ist er in vielen Fällen in Deutschland aber nicht. Stattdessen kopieren oder transformieren wir immer noch häufig Sachen von der Kohlenstoff-Welt in die digitale Welt. Damit beeindrucken wir aber die heute 20jährigen nicht mehr, weil diese Kohlenstoff-Welt und ihre Inhalte dauerhaft immer irrelevanter für sie werden.
Die Zahlen der neuen Studie zeigen eines überdeutlich: Wir reden schon lange nicht mehr von den Jungen oder irgendwelchen Nerds. Wir reden von der Mitte der Gesellschaft, die das Netz und die Medien dort sehr viel selbstverständlicher und souveräner nutzen, als wie wir Medienmenschen ihnen das zugestehen.
Es sind nicht einfach nur ein paar Zahlen, ein paar Prozentpunkte. Tatsächlich ist die Kluft größer geworden zwischen digitaler Realität und Massenmedien.
2019 dürfte noch härter werden, als ich 2017 gedacht habe.
Nächster Halt: europäische Mediengesetzgebung inklusive Rundfunk. Bwahahahahahaa —