Es ist noch gar nicht so lange her, da konnten wir die Welt in zwei Lager einteilen, wenn es um die Digitalisierung ging: in die der Technik-Optimisten (also: wir alle, die wir uns aufgeschlossen im Netz herumtreiben) und die der Technik-Verweigerer. Meistens meinten „wir“ damit Zeitungsverleger und Fernsehsender und all die anderen, die meinten, das Internet gehe dann schon irgendwann mal wieder weg. Read More
Inzwischen ist die ganze Welt schwieriger geworden. Und das Thema Digitalisierung gleich mit dazu. Aus den Euphorikern sind reumütige Skeptiker geworden. Die Verweigerer hingegen versuchen gerade, die neue Welt nachträglich zu umarmen. Die CSU stellt plötzlich eine Ministerin, die Flugtaxis geil findet, während man bei Grünen und den Rest-Piraten allmählich darauf kommt, dass nicht alles, was im Netz passiert, immer auch gut sein muss.
Zugegeben, das war früher leichter. Da wusste man wenigstens noch, wo der analoge Gegner steht. Aber jetzt?
Ich habe zwei Bücher zur Digitalisierung in der letzten Zeit gelesen, die diesen Widerspruch wunderbar illustrieren. Alexandra Borchardt, ehemalige Chefin vom Dienst bei der SZ und inzwischen beim Reuters Institut (Sie wissen schon, die mit dem tollen News Report), beschreibt in „Mensch 4.0 – frei bleiben in der digitalen Welt“ digitale Realitäten im Jahr 2018. Nein, man liest dort nichts, was man nicht in Ansätzen auch von anderen schon mal gehört hätte. Trotzdem, sich die Grundgedanken des Buchs vor Augen zu führen, ist keine schlechte Idee. Nämlich, dass Digitalisierung per se weder etwas Gutes noch etwa schlechtes ist. Sondern erst einmal nur Technik. Was wir daraus machen, kommt ausschließlich auf uns selbst an. „Ob die digitale Welt uns freier macht, bestimmen wir“, sagt Alexandra Borchardt.
Gute Idee, das Buch zu lesen, weil es eine präzise Standortbestimmung ist. Und man sich nach der Lektüre nochmal darüber im Klaren ist, wie sehr man die Dinge selbst in der Hand hat.
Das wiederum sieht Jaron Lanier grundsätzlich anders. Schon in seinen letzten Büchern war sein Grundtenor eher skeptisch-pessimistisch. Das neue Buch „Zehn Gründe, warum du deine Social-Media-Accounts sofort löschen musst“ trägt die Tendenz schon im Titel: eine radikale Ablehnung sozialer Netzwerke und damit auch eines beträchtlichen Teils dessen, wie wir in der digitalen Welt inzwischen kommunizieren. Lanier ist nicht mehr Skeptiker, er lebt die Auswüchse einer kommerzialisierten Social-Media-Welt inzwischen rigoros ab. Vieles von dem, was Lanier schreibt, ist dennoch bedenkenswert, auch wenn man seine Schlussfolgerung keineswegs teilen muss. Kleiner Hinweis übrigens: Mit Dennis Horn habe ich mich in der neuen Ausgabe des Podcasts über Lanier und die sozialen Netzwerke unterhalten.
Die Frage für einen selbst ist also tatsächlich: Was macht man aus digitaler Technik und ihren Möglichkeiten? Für mich selber bin ich zu ein paar Grundsätzen gekommen.
Erstens: Es kommt tatsächlich auf das an, was ich im Untertitel meines letzten Buches beschrieben habe: Content, Kontext, Endgerät.
Ich glaube, dass jeder für sich selbst wissen muss, was ihm wann am besten gefällt. Die ganzen Debatten beispielsweise darüber, ob Papier nun gut oder schlecht ist, sind weitgehend sinnlos, zumindest aus der Perspektive des Nutzers. Ich könnte heute wirklich nicht mehr beschreiben und schon gleich gar nicht erklären, warum ich das eine oder andere Medium manchmal digital und manchmal auf Papier lese. Ich weiß nur, dass ich überall da, wo es möglich ist, eine hybride Nutzung abonniere: Ich habe meine ganzen klassischen Zeitungs- und Zeitschriften-Abos als kombinierte Modelle.
Inzwischen haben das ja eine ganze Reihe von Verlagen auch ganz gut begriffen, ob nun die „Zeit“, der „Spiegel“ oder „Brand eins“. Sogar meine SZ habe ich zumindest an den Wochenenden in einer gedruckten Ausgabe. Für uns Medienmacher wiederum kommt es also darauf an, unsere Angebote so hybrid und so einfach wie möglich gleichzeitig anzubieten. Ich habe als Nutzer so gut wie keine Lust, mich durch Dutzende verschiedener Varianten durchzuklicken.
Es kommt meistens darauf an, was man selbst daraus macht
Zweitens: Ja, ich weiß, Smartphone, Social Media, das ist alles Teufelszeug. Wenn man es falsch macht. Aber man kann sich solche Technik auch zunutze machen. Ich habe beispielsweise bei Facebook relativ lange rumgefummelt, bis ich alles so hatte, wie ich es haben wollte. Mir ist dabei trotzdem immer klar, dass Facebook auf Algorithmen basiert und dass Facebook nicht dazu da ist, mir irgendwas Gutes zu tun.
Aber natürlich kann ich mir solche Kanäle so konfigurieren, dass sie mir nutzen. Push-Benachrichtigungen beispielsweise habe ich deaktiviert, ich muss nicht wegen jedem Pups bei Facebook oder Twitter sofort reagieren. Dazu gehört übrigens, nebenbei bemerkt, eine gewisse Wurschtigkeit. Meine narzisstische Ader ist nicht so weit ausgeprägt, dass ich der winzig kleinen Social-Media-Welt jeden Tag zeigen muss, wie geil ich bin. Und zu einer „Marke“ wollte ich auch nie werden.
Mein Handy? Ich habe zwei. Mein Arbeits-Handy (wie ich es für mich nenne) schalte ich abends konsequent aus. Ich halte Leute, die ständig erreichbar und auch noch stolz darauf sind, mittlerweile für ziemlich arme Würstchen. Ich bin selbständig, trotzdem: Ab einer bestimmten Uhrzeit und an den Wochenenden bin ich nicht erreichbar, wenn nicht gerade irgendwo die Hütte brennt. Und ich mache regelmäßig Urlaub. Ich weiß nicht, ob es einen Kausalzusammenhang gibt, aber es ist tatsächlich so: Je mehr der Laden ins Brummen gekommen ist, desto wichtiger sind mir solche Auszeiten geworden.
Dritter Punkt: Ich kenne natürlich auch den Lock-In-Effekt. Aber man kann sich daraus befreien. Man muss nicht immer alles mit Google suchen. Ich kaufe Bücher zwar noch bei Amazon, aber nur dann, wenn ich das Buch nicht auch bei meinem Buchhändler vor Ort bekomme.
Viertens: Ich kenne natürlich auch das böse Wort von den Filter Bubbles. Ich stecke ja selbst in sowas fest. Deswegen lese ich immer wieder ganz bewusst Dinge, von denen ich weiß, dass sie meiner Weltsicht vermutlich total widersprechen werden. Ich muss zwar deshalb meine Meinung nicht gleich um 180 Grad drehen. Aber dem eigenen Spatzenhirn und seiner Eingeschränktheit tut es schon mal ganz gut zu realisieren, dass es auch ganz andere Weltsichten und Standpunkte gibt. Manchmal ist an denen sogar was dran. Mehr zu dem Thema übrigens in Dirk von Gehlens wunderbarem Shruggie-Buch. Oder im Podcast.
Kurz gesagt: Digitale Technik und digitale Medien sind Wunder und Teufelszeug zugleich. Es ist wie bei Autos: Jede Technik, die irgendwann mal entfesselt ist, kann Schaden anrichten. Deswegen die Technik komplett zu verdammen ist Unsinn. Zumal man eines ja auch weiß: Wenn eine Technik erstmal da ist, bekommt man sie nicht einfach wieder weg.