Für Facebook und andere soziale Netze hat es in den letzten Wochen wenig zu lachen gegeben. Neben einigen kritischen Stimmen aus frühere eigenen Reihen kommt jetzt womöglich noch ein neues Phänomen hinzu, das man bis vor kurzem noch gar nicht für möglich gehalten hätte: Social-Müdigkeit. Der Überdruss an Social Media. Read More
Man soll ja den eigenen Wahrnehmungen nicht immer allzu sehr trauen, aber in diesem Fall – mache ich das dann doch mal.
Meine einstmals, wenn mittlerweile auch schon ein paar Jahre zurückliegende Social-Media-Euphorie ist ziemlich im Eimer. Das ist ein schleichender Prozess, den ich seit ein paar Monaten an mir selbst beobachte. Erst privat, mittlerweile auch beruflich (was mich natürlich nicht daran hindern wird, diesen Beitrag auch bei Facebook zu posten; auf die ganze Ambivalenz, die dieses Thema begleitet, kommen wir später noch zu sprechen.) Aber tatsächlich merke ich, wie mich insbesondere Facebook erstaunlich zu langweilen beginnt. Ich bemerke, dass ich aus meiner Zeit bei Facebook kaum mehr Nutzen ziehe. Dass mich as ganze Zeug mehr ablenkt als weiterbringt. Und dass ich mit jedem Klick dort einer gigantischen Suchtmaschine auf den Leim gehe. Es ist ja nicht so, dass ich vieles von dem nicht vorher auch schon irgendwie geahnt hätte, aber aktuell bemerke ich: Ich kriege fast schon Aggressionen, wenn ich nur den Namen Facebook höre. Und ich spüre tatsächlich eine verblüffende Ermüdung an Social Media
Für Facebook gibt’s es ohnehin gerade eine ganze Menge unguter Nachrichten. Ehemalige Manager räumen ein, aus welchen Gründen auch immer, dass das Netzwerk ganz bewusst als Suchtmittel, als „legales Crack“ konzipiert wurde. Medienmanager werden nicht müde zu betonen, dass ihr Verhältnis zu Facebook eher einer Zwangsehe als einer Liebesheirat gleichkommt. Im renommierten „Nieman Lab“ gibt es Autoren, die bereits von einer „digitalen Übermüdung“ sprechen.
Wenn dem so ist – dann hat der Social-Media-Dauerbeschuss seinen Anteil daran. Zumal man sich ja angesichts solcher Nachrichten (wie viele News schaffen es in die Timeline?) nach dem tieferen Sinn von Facebook fragen kann: Nachrichten als Dreingabe zwischen allerlei Blödsinn? Bevor das übrigens nach reinem Facebook-Bashing aussieht: Ganz grundsätzlich stelle ich mir dieselben Fragen auch bei anderen Netzwerken. Bei manchen mehr, bei manchen weniger.
Die meisten Marken in Social Media sind gequirlte Heißluft
Zugegeben, mir kommen auch ganz persönliche Zweifel an dem, was wir Digital-Menschen in den vergangenen Jahren als gesetzt betrachtet haben. Beispielsweise diese Geschichte, dass man als Journalist zur Marke werden und sich und seine Expertise in sozialen Netzwerken präsentieren soll. Natürlich kann man sich als Journalist dem öffentlichen Diskurs nicht entziehen, weswegen man an einer Präsenz im sozialen Netz nicht vorbeikommt. Aber dieses Marken-Gedöns? Ist für mich in vielen Fällen wahlweise belangloses Zeug oder derart selbstverliebtes Gequatsche, dass ich in manchen Fällen geneigt wäre, dem Kollegen einen guten Psychologen zu empfehlen, der ihn von seinem Narzissmus heilt.
Wenn jedes dritte Wort „Ich“ ist und soziale Medien in erster Linie der eigenen Beweihräucherung dienen, hat das mit Markenbildung und Kommunikation kaum mehr was zu tun. Das ist die heiße Luft der Selbstverliebtheit. Oder, um es neudeutsch zu sagen: approval seeking machines. Ob Vertrauen in einen Journalisten dadurch entsteht, dass er permanent postet, man könne ihm vertrauen, darf man bezweifeln. Vertrauen entsteht durch Arbeit.
Dass mittlerweile auch Facebook einräumt, dass Social Media unglücklich machen kann, ist nett, aber nur folgerichtig. Das haben andere schon lange vorher erkannt. Die Münchner Professorin Sarah Diefenbach hat mit „Digitale Depression“ ein ganzes Buch darüber geschrieben. Davon abgesehen sind es nicht die Netzwerke, die unglücklich machen. Sondern eher die Menschen darin und ihr ganzes aufgeblasenes Getue. Journalisten sind darunter übrigens in auffällig hoher Zahl vertreten.
Ich verrate vermutlich nichts Neues, aber dafür etwas zumindest halbwegs Persönliches: Soziale Netzwerke können tatsächlich ermüden. Sehr ermüden. Sie überschreiten irgendwann mal die Grenze vom Must have zum Energie- und Nervenfresser. Weil sie permanent nach Aufmerksamkeit schreien, selbst dann, wenn es gar nichts gibt, wofür man seine eigene Aufmerksamkeit hergeben müsste. Ich habe in den letzten zwei Wochen mal ganz bewusst meine Social-Media-Aktivitäten auf nahe null gefahren. Trotzdem haben die Apps jeden Tag bei mir gepusht. Wenn es schon nichts gab, was mit mir im Zusammenhang stand, dann hat mit anderen: Irgendjemand aus meinem Bekanntenkreis gefällt irgendwas. Oder soundsoviel Leute haben den Tweet von irgendjemand geretweeted.
Social Media ist ein Perpetuum Mobile
So könnte das ewig weitergehen, Social Media als Perpetuum mobile, als das Ding, das sich selbst in dauernder Bewegung hält, ohne dass man dafür noch etwas beitragen müsste. Das ist ermüdend und fürchterlich langweilig. Zumindest dann, wenn man soziale Netze nicht gezielt und in Maßen nutzt.
Und ja, auch das gebe ich zu: Vielleicht ist es eine Alterserscheinung, vielleicht auch eine Folge des medialen Overkills – aber ich will und muss nicht mehr alles wissen. Das gilt sowohl für die private Nutzung, weil es mir irgendwann mal Wurscht ist, wer gerade mit wem beim Essen ist und gerade an irgendeinem atemberaubend tollen Projekt arbeitet. Die Fassade immer glücklicher, immer engagierter, bestens beschäftigter und viel gefragter Leute ist so durchschaubar und öde, dass ich darauf verzichte, das zu lesen oder womöglich sogar zu liken (begründete Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel).
Was Nachrichten, Medien, echten Journalismus angeht: Für mich selbst habe ich herausgefunden, dass weniger mehr ist. Weder kann ich alles verstehen, was auf dieser Welt vorgeht, noch will ich es. Das Überangebot digitaler und sozialer Medien hat mir wenigstens eine Erkenntnis gebracht: Meine Festplatte im Kopf hat nur ein sehr begrenztes Aufnahmevermögen. Wie im echten Leben auch sollte man sich sein bisschen Speicherplatz auf der Festplatte nicht mit irgendwelchem Unsinn zumüllen (womöglich würde es dem einen oder anderen unter Ihnen helfen, aber und an mal wieder mit Festplatten zu arbeiten; man merkt dann schnell, dass es gar kein Nachteil sein muss, wenn man zur Selektion gezwungen ist).
Digitale Übermüdung also als Trend. Hey Hipster und Selbstdarsteller, Trend heißt in diesem Fall nicht, dass ihr euch jetzt gerade wieder eine neue Strategie zur reduzierten Selbstvermarktung einfallen lässt. Sondern eher als Symptom. Als Symptom dafür, dass die technischen Möglichkeiten inzwischen die eines Durchschnittsintellekts deutlich übersteigen. Weswegen man als Medienmensch vermutlich auch mal darüber nachdenken könnte, wie sinnvoll es ist, das Netz und alle Kanäle wahllos mit Inhalten zuzupflastern. Natürlich gibt es solche Dinge wie Algorithmen oder RSS-Reader, mit denen man Inhalte kanalisieren kann.
Als Journalist würde ich mir allerdings ab dem Jahr 2018 zunehmend mehr die Frage stellen: Muss das jemand wissen? Ist das, was ich da produziere, in der digitalen Dauerbefeuerung noch relevant? Haben das nicht andere auch schon tausendmal erzählt? Umgekehrt: Entsteht der Wert von Journalismus dann nicht doch eben durch Auswahl, durch Relevanz, durch Kompetenz?
Kurz gesagt: Substanz. Das wäre dann doch nochmal ganz etwas Anderes als schaumschlägernde Selbstvermarktung.