Vor ein paar Tagen war ich zu einer kleinen Debatte mit Online-Chefs diverser Zeitungen eingeladen – und habe da eine Prognose aufgestellt: Die Tageszeitung hat noch genau ein Jahr! Read More
Oder in der etwas längeren Version: 2018 ist das letzte Jahr, in dem die meisten Verlage noch halbwegs ruhig arbeiten können. In dem die Zeitung noch ausreichend viele Erlöse abwirft, sich der Erneuerungsdruck in Grenzen hält und man auch mit einer eher bescheidenen Online-Strategie irgendwie über die Runden kommt.
Danach wird´s eng. Absehbar ist eine ganze Reihe von Herausforderungen, die sich nicht mehr länger verschieben lassen. Ab 2019 steigt der Druck im Kessel. Und unter Druck arbeiten ist nur eingeschränkt lustig.
Natürlich kamen dann die Fragen. Wie ich ausgerechnet auf das Jahr 2019 komme? Und natürlich: Was denn dann zu tun sei?
Mittlerweile sind viele Tageszeitungs-Verlage an einem Punkt angekommen, an dem sie wissen: Allmählich müssen Strategien her, die diesen Namen auch verdienen. Weil man zwar immer noch meistens ganz gutes Geld verdient, man aber gleichzeitig aber auch spürt, dass das eigentliche Kerngeschäft zu schwächeln beginnt. Und zwar so, dass man sich ernste Gedanken machen muss.
Ein paar sehr persönliche Beobachtungen, nachdem das Jahr beinahe zu Ende geht und ich dieses Jahr eine ganze Reihe interessanter Inneneinsichten hatte:
Schnürt das Paket endlich auf!
In deutschen Verlagshäusern wird immer noch gerne in den ganz großen Paketen und den langen Zeiträumen gedacht. Das Produkt, das es reißen soll, ist weiterhin das Abo. Der umschwärmteste Kunde ist nach wie vor der Abonnent, der am besten für zwei Jahre unterschreibt. Das ist nachvollziehbar. Nix gegen den Abonnenten, wie wir an späterer Stelle noch sehen werden!
An zwei Stellen hakt es allerdings häufig.
Erstens: Das Produkt. Und zweitens: die Laufzeit.
Das Problem beim Produkt: In den allermeisten Fällen gibt es nur eines, nämlich die Zeitung im Abo (gilt weitgehend auch für die digitalen Entsprechungen). Natürlich kann man wählen zwischen – beispielsweise – Voll-Abo und Wochenend-Abo. Aber schon an der Idee, mir an vier Tagen ein digitales Abo und fürs Wochenende eine gedruckte Ausgabe zukommen zu lassen, scheitern nahezu alle (wer Ausnahmen kennt, bitte gerne melden!). Das ist der absurde Grund, warum ich beispielsweise bei der „Süddeutschen“ zwei Abos habe. Ein volles Digital-Abo und ein Print-Wochenend-Abo. Einen Mix daraus bekommt die SZ leider nicht hin. Entweder – oder. Funfact am Rande: Bei der immer als Übervorbild gerühmten New York Times kann man sogar das Kreuzworträtsel einzeln abonnieren. Rund 300.000 Menschen haben das auch getan.
Das Produkt ist also in den meisten Fällen starr. Individuelle Wünsche? Eher nicht. Das ist, als würde man in ein Autohaus gehen und es gibt ein Auto nur in einer Ausstattung.
Dabei sind die starren Abos noch das kleinere Problem. Tatsächlich machen die meisten Verlage immer noch genau ein Produkt. Das heißt Zeitung und das gibt es nur in einer Form. Diese Mentalität des take it or leave it dürfte in den nächsten Jahren immer öfter zu einem leave it führen. Dass es bei einer Zeitung schwierig ist, personalisierte Ausgaben zu machen, schon klar.
Aber digital? Auch da herrscht leider vielerorts noch die alte Zeitungsdenke vor, nach der es ein Produkt für alle geben sollte. Was natürlich völliger Unsinn ist, weil es im Netz gefühlte dreihundert Möglichkeiten gibt, einen Inhalt zu nutzen. Da ist inzwischen sogar die gute, alte Homepage ein sterbendes Produkt. Zumindest dann, wenn dort ebenfalls starre Strukturen vorherrschen. Bei der „New York Times“ hat man übrigens in diesem Jahr eher im Verborgenen damit experimentiert, wie eine einzelne Rubrik wie beispielsweise „Smarter Living“ personalisiert werden kann.
Natürlich spricht absolut nichts dagegen, auch in Zukunft komplett redaktionell gestaltete Produkte anzubieten. Kann ja auch mal ganz angenehm sein, Journalismus einfach so zu konsumieren, wie er da steht.
Zweites Problem: Viel zu oft wird immer noch in Laufzeiten gedacht, die in der digitalen Welt einer halben Ewigkeit entsprechen. Wer es aus dem Netz gewohnt ist, dass er aus den meisten Verträgen nach vier Wochen wieder aussteigen kann (siehe beispielsweise: Spotify, Audible, Sky Ticket), schreckt bei dem Gedanken eine Zeitung für ein oder zwei Jahre abonnieren zu müssen, eher zurück.
Lernt eure Kunden kennen!
Kommen wir nochmal kurz zurück auf mein absurdes SZ-Doppel-Abo. Kurz nachdem ich das Wochenend-Abo zusätzlich abgeschlossen hatte, läutete mein Telefon. Der SZ-Vertrieb. Ich sei doch nun schon geraume Zeit Wochenend-Leser, ob ich nicht mal ein Voll-Abo testen wolle. Und man habe da noch ein neues Produkt, das bestimmt auch was für mich wer, es heiße SZ-Familie und sei sozusagen ein Heft für Eltern und Kinder gleichermaßen…
Das war interessant, weil daran ungefähr alles falsch war.
Das SZ-Print-Abo hatte ich zu diesem Zeitpunkt ein paar Wochen. Von „lange“ konnte also keine Rede sein. Zudem hatte niemand der armen Frau gesagt, dass ich schon deutlich länger (knapp 30 Jahre) SZ-Abonnent bin, erst gedruckt, dann digital. Das war nicht schlimm, weil die Dame sehr nett war und ja auch nichts dafürkonnte. Aber hey, dachte ich mir, welche Potentiale gäbe es wohl, wenn die SZ ihre Kunden mal richtig kennen würde.
Da passte es in Bild, dass man mir das Familienheft auch verkaufen wollte. Ich vermute mal, dass das bei meinen teilweise bereits erwachsenen Kindern höchstens amüsiertes Lächeln hervorrufen würde.
Dabei ist die SZ zumindest digital noch eines der Häuser, in dem über Themen wie Kundenbindung und Personalisierung noch intensiv nachgedacht wird. An vielen anderen Orten bekommt man auf die Frage, was man denn überhaupt über den Leser so wisse, bestenfalls ein Schulterzucken entgegnet. Und das keineswegs hauptsächlich aus den Verlagsbüros. Bevor ihr euch also entspannt zurücklehnt, werte Journalistenkollegen: Auch und vor allem ihr seid gemeint. Mein erster Chef vor ca. 200 Jahren hat immer gesagt: „Der Leser will das so!“ Mit dem Argument kommen wir heute nicht mehr weit. Erst recht nicht, wenn es sich dabei nicht um Wissen, sondern ein eher vages Bauchgefühl handelt.
Was also könnte er wirklich wollen, dieser Leser, den wir heute lieber User nennen? Natürlich gibt es auf diese Frage keine klare Antwort. Geht ja auch nicht. Weil es den Leser nicht gibt.
Macht euch endlich wieder attraktiv!
Aus gegebenem Anlass muss Opa doch wieder ein bisschen vom Krieg erzählen. Von damals, irgendwann in den 80er Jahren, als ein Volontariat bei einer Tageszeitung einem Jackpot gleichkam. Die Redaktionen damals konnten sich aus einer Vielzahl von Bewerbern aussuchen, wen sie haben wollten.
Und heute? Immer mehr Chefredakteure und Volo-Ausbilder klagen offen darüber, dass es weniger wird mit den Bewerbern. Sowohl in Qualität als auch Quantität. Darüber sollte man sich aber eher nicht wundern. Wie attraktiv ist für einen Millenial die Idee, in eine analoge Zeitungsredaktion zu gehen? Wie uncool wirkt irgendein Bote, eine Post, ein Kurier gegen ein Startup mit Listicles, Handyvideos und einem Kicker im Flur? Zeitungen sind für einen heute 20jährigen im Regelfall nicht sehr spannend.
Nicht nur das: Es gibt eine Reihe von Häusern, da beträgt der technologische Rückstand locker zehn Jahre. Das ist so, als würde eine Fahrschule ihre Kunden mit einer Ausbildung auf einem 4-Gang-Golf ködern wollen. Klar lernt man so auch das Autofahren. Aber es ist nicht zukunftsträchtig und auch nur so mittelsexy.
Wenn man jetzt also langsam mal anfangen müsste, sich als Arbeitgeber wieder für jüngere Leute attraktiv zu machen, dann ist das nicht nur politisch korrektes Gefasel. Sondern schlichter Eigennutz. Eine Zeitung, die in erster Linie von 50- und 60jährigen gemacht wird, ist für 50- und 60jährige interessant.
Schon jetzt zucke ich oft zusammen, wenn ich dieses altväterliche, biedere, graue Zeug sehe. Dafür fühle sogar ich mich deutlich zu jung.
Ich werde übrigens demnächst 53.
Bohrt das starre Konstrukt Tageszeitung auf!
Schon alleine deswegen, weil es der treue Stammleser, der Abonnent sein wird, um den sich in den kommenden Jahren alles drehen wird. Verwöhnt ihn mit gutem Journalismus, flexiblen und personalisierbaren Produkten – und lasst dafür lieber die Kaffeemaschine sein, die er zum Zwei-Jahres-Abo dazu bekommt (über diese ganzen Prämien-Geschichten könnte man übrigens auch aus wirtschaftlicher Sicht prima streiten).
Stammkunden sind gut. Und überlebenswichtig. Das ist eine Erkenntnis, die es in nahezu allen anderen Branchen ebenfalls gibt. Wer beispielsweise als langjähriger Kunde einen Handyvertrag kündigt, der wird sich wundern, wie schnell es ganz erstaunliche Angebote gibt, wenn man denn nur bleibt. Ist ja auch klar: Es ist schließlich viel schwerer, einen neuen Kunden zu gewinnen als einen bestehenden zu halten.
Gerade für Tageszeitungen gilt dies umso mehr. Weil der typische deutsche Tageszeitungsleser ein Abo-Leser ist. Wenn er weg ist, ist er meistens ganz weg und kehrt nie wieder. Gemessen an dem ist es manchmal erstaunlich, wie wurschtig in vielen Häusern immer noch mit Stammkunden umgegangen wird. Das sind vermutlich noch die letzten Überreste einer langsam verblassenden Monopolisten-Kultur.
Geht man davon aus, dass die Erlöse durch klassisches Anzeigengeschäft auch in den kommenden Jahren weiter zurückgehen werden, dann wird schnell klar, welche Bedeutung Abonnenten künftig haben werden: Von ihnen kommt ein beträchtlicher Teil der Erlöse. Sie sind buchstäblich überlebenswichtig.
Man müsste also endlich anfangen, Journalismus auch als ein Produkt für eine Community zu begreifen. Für Menschen, die eine oder mehrere gemeinsame Klammern haben. Das kann eine gemeinsame geographische Klammer sein, wie beispielsweise bei Regionalblättern. Oder eine Klammer, die eher mit Weltsicht zu tun hat (wie beispielsweise bei den überregionalen Zeitungen). Diese Zusammengehörigkeit hat nichts mit einer Plattform zu tun. Es gibt also höchstens Leser, aber keine Zeitungsleser mehr. Was bedeutet: Auf welchem Gerät man einen Abonnenten erreicht, ist eher sekundär. Wichtig ist, dass man ihn überhaupt erreicht.
Klingt banal? Ist es auch. Aber trotzdem in vielen Fällen noch ein gutes Stück von der Realität entfernt. Diese Realität bedeutet in vielen Verlagen – aber auch in ebenso vielen Journalistenköpfen – dass man versucht, die Nutzer über Umwege dann doch wieder zum Produkt Zeitung zu bringen. Weil man ja schließlich in erster Linie ein Produkt Zeitung macht.
Aber hey, gerne auch am Ende des Jahres 2017 nochmal zum Mitschreiben: Euer Produkt heißt Journalismus. Nicht Zeitung.
Und 2019 sprechen wir uns dann alle wieder.
Die Süddeutsche war immer schon bockig mit Aber. Hatte einst ein Wochenendabo. Dann sollte man das nur noch mit Freitag dazu haben dürfen. Damit war ich weg.
Du hast damals neben mir gesessen, als ich bei der DJV-Online-Diskussion in München den Herrn Jacobs gefragt habe, ob er eigentlich glaubt, dass wir in zehn Jahren noch gedruckte Tageszeitungen für die ganze Woche abonnieren werden (habe damals meine zugegebenermaßen subjektiven Erfahrungen aus Münchner Hausfluren in Mehrfamilienhäusern eingebracht). Er meinte, die Idee Online in der Woche (gerne paid) und Gedrucktes am Samstag als Wochenzusammenfassung sei weltfremde Spinnerei und nur was für eine Minderheit.
Denk dir nichts! Ich habe mir heute, unter anderem bei Twitter, wieder anhören dürfen, dass das alles nur das übliche Untergangs-Gerede sei.
Ich stimme dir in allen Punkten zu, nur: Warum jetzt ausgerechnet 2018 das Jahr der Entscheidung sein soll, wird im Text leider nicht aufgelöst. Passiert da irgendetwas bestimmtes? Stirbt ein besonders zeitungsaffiner Geburtenjahrgang komplett aus? Oder ist es einfach nur ein allgemeiner Aufruf zur Dringlichkeit? 😉
Eindeutig letzteres ?
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> Auch [digital] herrscht leider vielerorts noch die alte Zeitungsdenke vor, nach der es ein Produkt für alle geben sollte.<
Ja, und das geht bis zu den sozialen Netzwerken. Da kann man nur eine Fanseite der Zeitung "liken". Über die läuft dann alles, was die Onlineredaktion für wichtig hält, dabei ist einigen Sport/Kulturelles/Lokales aber egal.
Das kommt vom Print. Wenn der Sportteil ein Thema gebracht hat, dann kann das der Lokalteil leider nicht mehr aufgreifen – auch wenn es ein anderer Redakteur an einem anderen Tag in der Woche macht. Dass es aber Abonnenten gibt, denen der Sporteil/Lokalteil lang wie breit ist, das ist egal.
Ach ja, ich hatte mal (ist einige Jahre her) eine Samstagsausgabe einer Zeitung abonniert. Die kam dann mit der regulären Post! Irgendwann Samstagmittag gegen 12. Da war das Argument "Frühstück ohne Zeitung ist unvorstellbar" plötzlich egal.
Aber: Mir erzählte mal einer, dass er vor Jahren die FAS (Sonntagszeitung der FAZ) abonnieren wollte. Das ging aber nicht, die gab es nur im Paket mit der FAZ. Also abonnierte er nichts.
Inzwischen gibt es die FAS auch alleine.
Die Schwäbische Post gibt es im Digital-Abo auch mit zusätzlicher gedruckter Samstagsausgabe:
http://www.schwaebische-post.de/account/subscription/?type=1100
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