Wenn es um Geld geht, gibt es kaum eine Branche, die so verquer ist wie Journalismus: Geld ist eine Nebensache. Finden nicht nur viele Auftraggeber, sondern auch erstaunlich viele Journalisten selbst. Auf Dauer entwertet sich eine ganze Branche buchstäblich selbst. Read More
Im Netz tobt gerade mal wieder ein Mini-Shitstorm. Auslöser und Adressat zugleich ist „Orange“, das so eine Art Junior-Handelsblatt sein soll. „Orange“ hatte ein Angebot herausgeben lassen, das tatsächlich fragwürdig ist. Junge Journalisten-Talente sollten dort die Möglichkeit bekommen, Beiträge zu veröffentlichen. Gesucht werden Leute, die eine „junge Stimme in die wirtschaftspolitische Debatte“ einbringen. Die erste Erfahrungen im Journalismus haben und die vor Ort schreiben, fotografieren, filmen (so richtig multimedial also).
Dafür gibt´s auch ein Honorar, verspricht „Orange“: je nach Aufwand zwischen 50 und 100 Euro. Richtig gelesen: 50 bis 100. Würde man knapp kalkulieren, für Recherche, Filmen, Fotografieren und Schreiben zwei Tage ansetzen und dafür satte 100 Euro berechnen, man wäre bei angenommenen 16 Stunden Aufwand bei einem Stundensatz von sagenhaften 6, 25 Euro. Und selbst wenn jemand superschnell ist und das alles auf einen Arbeitstag schafft: 12,50 Euro brutto Stundensatz ist jetzt keine allzu verlockende Perspektive für einen Beruf, der neben einem vollwertigen Studium und einer Ausbildung inzwischen auch verlangt, auf den unterschiedlichsten Plattformen fit zu sein.
Wäre man zynisch, man könnte sagen: Liebes Handelsblatt, lass die Finger von solchen Autoren! Weil jemand, der sich auf solche Angebote einlässt, von Wirtschaft nicht allzu viel verstehen kann. Aber leider ist die Sache viel zu traurig, als dass man zum Zyniker werden könnte.
Bei Orange hat dessen stellv. Redaktionsleiter inzwischen Stellung bezogen: Alles halb so wild, sagt er! Schließlich richte sich das Angebot in erster Linie an Studenten und Journalistenschüler. In diesem Fall soll es insbesondere bei der Katholischen Journalistenschule ifp in München kursieren.
Das sei doch, schreibt er weiter, eine ganz hübsche Sache: „Wir suchen junge Menschen, die bei uns journalistische Erfahrungen sammeln möchten, sich frei entfalten und ausprobieren können, dafür jede Menge Feedback bekommen, zu Workshops eingeladen werden (der nächste ist Mitte Dezember) und anschließend eine gute Aussicht auf ein Volontariat an unserer hauseigenen Journalistenschule haben. Dafür zahlen wir selbstverständlich eine Vergütung, die sich – wie oben beschrieben – dem Aufwand der Arbeit anpasst. (…) Orange ist ein Spielfeld für Talente, die bei uns schon mit wenig Erfahrung eine große Bühne bekommen. Dass die Bezahlung für etablierte freie Journalisten, die hier kommentieren, klein erscheint, kann ich gut verstehen. Aber Menschen mit einer abgeschlossenen Ausbildung gehören nicht zu unserer Zielgruppe.
Mit Honoraren zu überleben, ist im Journalismus gar nicht so einfach
Das ist eine ziemlich lustige Argumentation. Weil die Zielgruppe, die „Orange“ hier beschreibt, keineswegs aus „jungen Talenten“ besteht, die endlich und dankenswerterweise mal eine etwas größere Bühne bespielen und womöglich danach beim „Handelsblatt“ ein Volontariat machen dürfen. Wer die deutschen Journalistenschulen kennt, der weiß: Im Regelfall arbeiten dort Menschen, die schon länger nicht mehr „junge Talente“ auf dem Weg zum Durchbruch sind. Im Gegenteil: Wer ein Stück von einem der deutschen Journalistenschüler bekommt, kann sich im Regelfall darauf verlassen, nahezu sende- oder druckfertiges Material zu bekommen. Darauf halten sich die meisten Journalistenschulen einiges zugute und nicht ganz umsonst sind Plätze an diesen Schulen immer noch begehrter als „normale“ Volontariate. Wenn man also einen Journalistenschüler mit der Aussicht lockt, danach nochmal eine Journalistenschule besuchen zu dürfen – das ist dann schon die Champions League des Zynismus.
Dass solche Sachen im Journalismus immer noch Alltag sind und kaum für weitere Aufregung sorgen, zeigt, wie es mittlerweile um diesen Job bestellt ist. Silke Burmester beispielsweise, über den Status eines jungen Talents leicht hinaus, hat unlängst mal im Deutschlandfunk offengelegt, wie schwer es auch für sie als etablierte Autorin ist, sich ein monatliches Brutto-Honorar von 2000 Euro zu erschreiben. Nun könnte man Silke Burmester und den künftigen Handelsblatt-Autoren empfehlen, sich einen anderen Job zu suchen, wenn man vom Beruf der Wahl nicht richtig gut leben kann. Aber was es für Journalismus bedeuten würde, wenn ihn nur noch die machen, die ihn sich leisten können, will man lieber nicht so genau wissen.
Schon jetzt ist der Journalismus auf einem unguten Weg. Was aber auch mit manch merkwürdigen Geisteshaltungen zusammenhängt. Der Chefredakteur der taz, Georg Löwisch, hat in einem Doppel-Interview mit seiner Schwester, der Leiterin der DJS, Henriette Löwisch, am Wochenende in der SZ einen bemerkenswerten Satz gesagt: „ Wer auf Swimmingpool und Porsche hinarbeitet, sollte sich nicht mit Journalismus aufhalten.“ Das ist wahr, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite erstaunt es mich immer wieder, wie sehr Journalisten sich mit purem Idealismus abspeisen lassen sollen. Muss ja nicht gleich Swimmingpool mit Porsche sein, aber mit diesem Argument lässt sich jeder noch so absurde Dumpinglohn begründen. (Hinweis: In der ersten Version des Textes hieß es, das Swimmingpool-Zitat stamme von Henriette Löwisch. Das habe ich inzwischen korrigiert).
Journalismus, eine Zweiklassengesellschaft
Davon abgesehen: Frau Löwisch und die DJS haben natürlich leicht reden. Schließlich wollen DJSler (O-Ton der Schulleiterin) in die „Premier League“ des Journalismus. Das sei ihnen vergönnt, aber um im Bild zu bleiben: In der „Premier League“ werden auch andere Gehälter bezahlt als in der 2. Bundesliga in Deutschland. Meine eigene Erfahrung habe ich erst in diesem Sommer gemacht, als eine Bekannte aus einer Regionalzeitung mich um die Mithilfe bei der Suche nach einem neuen Redakteur gebeten hatte. Die Beschreibung: Mantelredaktion, große deutsche Tageszeitung, allerdings Regionalblatt. Die Ausschreibung ging auch an die DJS und mehrere Schüler meldeten sich bei mir. Eine Bewerbung hat keiner von denen geschrieben – und einer schrieb mir sogar, als er erfahren hatte, dass es sich dabei weder um SZ noch FAZ handelt: „Wenn ich das vorher gewusst hätte…“
Man sollte also vielleicht nicht gerade die DJS und die Nannenschule als Maßstab nehmen, wenn es um die Entwicklung im Journalismus geht. Im Gegenteil: Beide leisten ausgezeichnete Ausbildungsarbeit, tragen aber eben auch – ungewollt – zur grassierenden Zweiklassengesellschaft im Journalismus bei. Schon bei der Auswahl der Schüler, die in den allermeisten Fällen eben nicht aus sozial schwächeren Milieus stammen. Bereits 2012 wies eine Studie eine „hohe soziale Auslese“ an den deutschen Journalistenschulen nach.
Aber was ist mit dem ganzen Rest? Denjenigen, die nicht einen der wenigen begehrten Plätze an den Journalistenschulen bekommen und die es damit nicht fast schon geschafft haben in dieser Branche? Die sollen also mal lieber nicht auf Swimmingpool und Porsche hinarbeiten und sich freuen, dass sie ihr Talent auf den großen Bühnen irgendwann mal präsentieren können?
In den vergangenen Jahren hat sich übrigens eine interessante Zahl ergeben: Mittlerweile kommt auf jeden Journalisten mindestens ein PR-Mensch. PR und Content Marketing sind zumindest finanziell mittlerweile die deutlich interessanteren Branchen geworden. Trotzdem muss man vermuten, dass es auch für das Angebot von „Orange“ ausreichend viele geben wird, die sich bewerben.
Swimmingpool und Porsche sind schließlich völlig überschätzt.
Swimmingpool und Porsche sind mit der Berufswahl „Journalist“ grundsätzlich schon möglich. Allerdings gilt es, dafür Ideale über Bord zu werfen und zu klüngeln, bis der Arzt kommt. Und natürlich ist es notwendig, ein gesundes Business-Verständnis, Selbstbewusstsein und viel Fleiß an den Tag legen. Und nicht zuletzt: Dem eigentlichen Journalismus schließlich den Rücken zu kehren. Denn hier, zumindest bei den für Idealisten interessanten Blättern, ist derzeit eine deutliche Tendenz zum Lohndumping erkennbar.
Ich habe viele junge, freie Kollegen gesehen, die aus Idealismus noch den schlechtbezahltesten Auftrag angenommen haben. Das Problem dabei: Man rangiert sich in einen Teufelskreis. Wenig Geld pro Auftrag heißt, dass man mehr Aufträge braucht. Wer mehr Aufträge braucht, um seine Rechnungen zu bezahlen. Das heißt, man nimmt im Zweifel noch den letzten Ausbeuter-Auftrag an, um seine Rechnungen bezahlen zu können. Und weil man so schön billig und gut war, kommen die Auftraggeber mit ihren Billigpreisen wieder – und man steckt in der Falle.
Deshalb heißt Journalist sein, inbesondere freier Journalist, auch ab und an „NEIN“ zu sagen, wenn die Konditionen nicht stimmen. Und notfalls Hilfe in Anspruch nehmen, wenn der Traum so groß ist.
Denn das, womit Jungjournalisten wieder und wieder gelockt werden, ist „sich einen Namen machen“. Wer sich allerdings aus finanziellem Druck ständig mit Schrott abmüht, hat keine Zeit für wichtige Dinge – und wird für immer in der Niedrighonorar-Banalität feststecken.