Wie sehr sich digitaler Journalismus wandelt und warum Multimedia künftig Standard sein wird: Ein Blick auf das Nutzungsverhalten der heute 14-29jährigen macht einiges klar. Vor allem, dass wir die Bedeutung von Audio und Video bisher womöglich sogar noch unterschätzt haben…Read More
Ab und an sind Umfragen und Studien ja doch zu etwas nutze. Beispielsweise dafür, dass man eine Ahnung davon bekommt, wie man sich aufstellen muss, um in der gefühlten Version 6.0 dieser neuen Medienwelt überleben zu können. Die Zahlen, die ARD und ZDF in ihrer neuen Onlinestudie vorgelegt haben, lassen zumindest ein paar Vermutungen für die kommenden Jahre zu. Viel weiter sollte man heutzutage ja nicht mehr denken. Und man sollte der Verlockung widerstehen, daraus gleich wieder irgendwelche Thesen machen zu wollen…
Hier also ein paar Ideen, ganz ohne Thesen-Anspruch.
1. Die Märkte werden immer kleinteiliger
Schau an, dieses Snapchat. Gerade mal sechs Prozent der deutschen Onliner nutzen die App, mehr oder weniger regelmäßig. Das ist erstaunlich wenig für ein Ding, von dem es vor kurzem noch hieß, dass Journalisten keinesfalls darauf verzichten können. Und trotzdem, man wird Snapchat im Auge behalten müssen. Oder irgendwas anderes, was so sicher kommen wird wie Amen in der Kirche.
Absehbar ist, dass es zunehmend kleinteiliger zugehen wird am Markt. Dass es mehr und mehr Tools, Apps und Netzwerke für kleinere Peergroups geben wird. Snapchat oder auch Twitter sind für diesen Trend gute Beispiele. Beide erreichen ihr sehr spezielles Publikum, beide haben es nicht geschafft, diese Nische zu verlassen. Und vermutlich werden sie es auch nicht mehr tun. Den Massenmarkt bedient Facebook, dahinter kommen mehr oder weniger große Spartenprogramme. Kaum absehbar, dass sich daran demnächst etwas ändern sollte.
Bedeutet aber auch: Journalisten müssen sich um noch mehr Kanäle kümmern, noch präziser entscheiden, wen sie überhaupt wo mit was erwischen wollen. Und weil jede Entscheidung für etwas, zwangsläufig auch eine Entscheidung gegen etwas ist, werden Journalisten in diesem Peergroup-Geflecht künftig jeden Tag entscheiden müssen. Für etwas. Und gegen etwas. Das Prinzip Gießkanne, das Prinzip Copy&Paste? War noch nie sinnvoll. Und hat sich endgültig erledigt.
Das macht die Sache natürlich nicht einfacher. Wenn man sich alleine klarmacht, wie viele unterschiedliche Formate und potentielle Erzählformen es alleine für Videos gibt, bekommt man eine Ahnung, wie viel man können, wissen und gleichzeitig auch wieder zur Seite man legen wird müssen. Selbst der flexibelste Multimedia-Journalist kann nicht gleichzeitig Videos in vier Formaten drehen. Simpler gesagt: Wer gerade seine Kamera im Querformat hält, kann kein hochformatiges Video machen. Entweder, oder – das wird mehr und mehr zu alles entscheidenden Frage für Journalisten.
2. Video und Audio: Jetzt geht es erst richtig los mit Multimedia
Huch, die Nutzung vom Videos stagniert. Und Audios erst! Da reden alle vom Podcast-Hype – und am Ende stellt sich raus, dass die Dinger dann doch eher nur ein Spartenprogramm sind. So könnte man das sehen, wenn man einen Blick auf die Gesamtzahl wirft. Trotzdem: Mit diesen Themen geht es genau genommen jetzt erst so richtig los. Videos – und auch Audios – werden endgültig zu Storytelling-Tools, die genauso wichtig sind wie Text. Und womöglich sogar noch wichtiger als Fotos. Journalisten, die ihre Geschichten gar nicht mit Multimedia anreichern, sind entweder sehr spezialisiert. Oder nicht mehr richtig überlebensfähig. Es spricht also einiges dafür, sich mit beidem zumindest so zu beschäftigen, dass man ein paar Standard-Anwendungen kann. O-Töne aufnehmen, kurze Beiträge schneiden, Social-Media-Videos, Mobile Reporting, Livevideo: Es wäre erstaunlich, wenn das alles nicht bald zum journalistischen Basiswissen gehören würde. Und wenn das nicht auch bald in einem Curriculum für Ausbildung verankert wird.
In Zahlen: 95 Prozent der 14-29jährigen nutzen mittlerweile zumindest gelegentlich Audio im Netz. 27 Prozent hören sich gelegentlich Audio-Podcasts an. Videos schauen sich 88 Prozent dieser Altersgruppe zumindest wöchentlich an.
Einfacher gesagt: Die Nutzung von Audios und Videos ist in dieser Altersgruppe (und damit dem künftigen Stammpublikum von Medien) absoluter Standard. Wer das nicht im Portfolio hat, bekommt ein Problem.
3. (Fast) alles Live: Journalismus bekommt eine neue Komponente
Wenn hier gerade eben noch die Rede vom Livestreaming war, dann nicht deshalb, weil es sich hierbei um ein mittelneues und halbwegs chices Tool von Facebook handelt. Sondern weil Journalismus durch das Netz gerade dabei ist, eine völlig neue Komponente hinzu zubekommen: Live-Reporting. Dieses Live-Reportung ist gerade dabei, den digitalen Journalismus so zu verändern, wie es die Einführung von Live-Übertragungen im TV gemacht hat.
Bisher hat Journalismus vor allem daraus bestanden, über Dinge zu berichten, die bereits passiert sind. Ganz egal, wie lange sie zurücklagen, ob nun ein paar Monate oder doch nur wenige Minuten. Mit den diversen Livetools, die es inzwischen gibt, nehmen Journalisten ihre User zunehmend öfter direkt mit an den Ort eines Geschehens. Gemessen an dem minimalen Aufwand (vergleicht man das beispielsweise mit Ü-Wägen) wird das immer öfter der Fall sein. Gehört ja auch nicht viel dazu: ein Smartphone, eine App, Netz, alles andere ist Luxus.
Gleichzeitig ist auch diese Geschichte ein Beleg dafür, wie sehr Märkte fragmentieren und User immer mehr ihren möglicherweise sehr speziellen Interessen folgen werden. Bei der Fülle der zu erwartenden Livestreams wird es wahrscheinlich eher die Regel als die Ausnahme sein, dass jemand für ein paar Dutzend Zuschauer streamt (Long Tail lässt mal wieder grüßen). Das ist völlig ok, kostet ja schließlich beinahe nichts.
Trotzdem dürften Livestreams in Zukunft professioneller werden, mehr TV-Anumutung bekommen. Apps wie „Higgs“ oder „Switcher Go“ ermöglichen jetzt schon halbwegs professionelle und einfach zu handhabende virtuelle „Regieräume“.
4. VR, AR, 360 Grad: Bis auf weiteres nette Spielzeuge
Zugegeben, die ARD-ZDF-Onlinestudie hat erst gar nicht danach gefragt. Dennoch, es fällt auf: VR, AR, 360 Grad, all die hübschen Trends, die uns seit geraumer Zeit als der nächste heiße Scheiß vorausgesagt werden, lassen noch auf sich warten. Zumindest auf breiter Front. Das hat eine ganze Reihe Gründe, über die man philosophieren könnte, wenn es denn Sinn machen würde. Aber für welche Gründe auch immer man sich entscheidet: Für dieses Themen fehlt es bisher im Massenmarkt an ungefähr allem. An Interesse, an einfacher und kostengünstiger Hardware, an Narrativen und Storytelling-Tools.
Zumal VR, AR und 360 Grad im Massenmarkt über den Rang der netten Spielerei noch nicht hinausgekommen sind. Das ist ein bisschen wie bei 3D-Filmen in Kino. In den allermeisten Fällen gilt: Kann man machen, ist nett – aber wirklich brauchen tut mal es selten. Ich war dieses Jahr ziemlich viel in der Welt unterwegs, habe aber lediglich exakt drei Motive und Anlässe gefunden, bei denen ich das Gefühl hatte, dass sich meine 360 Grad-Kamera gelohnt hat. Vieles andere ließ sich mit der guten, alten DLSR oder dem Smartphone genauso abbilden. Spektakuläre Landschaften, Tauchgänge, sowas in der Richtung. Bei journalistischen Geschichten habe ich immer noch keine sehr zwingende Idee, wie man was erzählt.
Gut möglich natürlich, dass das alles noch kommt. Man sollte nur vielleicht nicht gerade in den nächsten Monaten damit rechnen.