Auf den ersten Blick klingt die Theorie leicht paradox: Zu viel Korrektheit könnte mit schuld an der Vertrauenskrise der Medien sein. Doch genau das schreiben Daniel Ullrich und Sarah Diefenbach in ihrem neuen Buch. Ein Gespräch darüber, warum gut gemeint nicht immer auch gut gemacht hat ist. Read More
Frau Diefenbach, Ihr neues Buch geht über Political Correctness und trägt den schönen Titel „Es war doch gut gemeint“. Stellt sich natürlich erst die Frage: Wo beginnt Political Correctness und wo hört sie wieder auf?
Political Correctness ist ursprünglich die Bemühung um eine diskriminierungsfreie Sprache. Und das ist ja auch tatsächlich gut gemeint. Man möchte eben Diskriminierung verhindern. Wo hört sie auf? Ich denke, da muss man einfach schauen: Wird dieses Ziel tatsächlich erreicht? An diesem Ziel könnte man dann auch Aktivitäten danach beurteilen, ob sie wirklich der diskriminierungsfreien Gesellschaft zuträglich ist – oder ob wir Journalisten es einfach nur besonders gut meinen.
Soll heißen, es gibt unter Journalisten einen höheren Anteil an PC-gläubigen Menschen?
Da müssten wir jetzt natürlich die Journalisten genau befragen. Vielleicht auch dazu, wie sie ihren eigenen Auftrag sehen. Ob sie in ihrer Berichterstattung einen Auftrag sehen, die Menschen auch ein Stück weit zu erziehen und ihnen die Werte der Political Correctness nahezubringen. Wenn es sich darauf beschränkt, mit Sprache einfach der Diskriminierung vorzubeugen, dann kann man sich ja nur wünschen, dass es da auch unter den Journalisten, die ja auch einen großen Teil unserer Weltsicht prägen, einen hohen Anteil gibt. Wenn man dabei aber übers Ziel hinausschießt und man die Leser versucht zu erziehen, und das ist auch in einer Art und Weise tut, bei der sich manche Leser nicht ernst genommen fühlen, dann kann es eben auch zu so etwas wie Rückschlageffekten kommen.
(Dieser Beitrag ist der Auftakt zu einem Podcast zu Themen der digitalen Medien. Der „Universalcast“ ist bei iTunes und bei SoundCloud zu bekommen. RSS: http://yjbaxt.podcaster.de/universalcast.rss. )
Müssten wir Journalisten dann wieder einfach klarere Worte sprechen, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen?
Schwer zu sagen, was die Journalisten tun müssten. Eine spannende Frage finde ich generell: Wie sehen Journalisten selbst ihre Rolle? Sehen Sie sich als Erklärer der Welt? Sehen Sie es vielleicht sogar als ihre Verantwortung, ein verzerrtes Bild der Welt zu liefern, weil sie glauben dadurch eine bestimmte Einstellung hervorrufen zu können?
„Es war doch gut gemeint“, Daniel Ullrich, Sarah Diefenbach, erschienen September 2017, Riva-Verlag. Ebenfalls lesenswert von Sarah Diefenbach und Daniel Ullrich: „Digitale Depression“.
Dann fragen wir doch mal ganz konkret: Beim TV-Duell zwischen Martin Schulz und Angela Merkel hat Claus Strunz die Frage nach Flüchtlingen gestellt. Er fragte wörtlich: Wann sind diese Leute weg? Darf man das so fragen? Ist das politisch inkorrekt oder geht das noch. Oder verstößt das gegen alle Regeln?
Die Frage an sich kann man stellen. Aber man wird natürlich an den Antworten gemerkt haben, dass das ein heikles Thema ist und dass es viele Bereiche gibt, bei denen sich Menschen sehr genau überlegen, wie sie antworten müssen. Weil solche Antworten das Potenzial beinhalten, dass sich jemand diskriminiert beleidigt fühlen könnte. Sicher in vielen Fällen zu Recht. Aber ich habe den Eindruck, dass es eben aus der Angst, dann wieder als politisch inkorrekt gebrandmarkt zu werden, oft auch zu vielen Diskussionen gar nicht mehr kommt. Was dann am Ende ein Problem ist, weil man eben Lösungen für Missstände kaum noch finden kann, weil die Basis für eine sachliche Diskussion verloren geht.
Letztes Jahr gab es unter anderem eine Diskussion darüber, ob man Flüchtlinge sagt oder lieber nicht besser von Geflüchteten spricht. Ist das für Sie ein typisches Beispiel von übertriebener Political Correctness?
Ich finde, es ist ein schönes Beispiel dafür, dass man sich Aspekt sehr stark zuwendet, der eher nebensächlich ist. Aus meiner Sicht geht es dabei um die sprachliche Darstellung und ist wahrscheinlich nicht die wichtigste Frage. Typisch dabei ist, dass es fast nur noch darum geht, welcher Begriff verwendet wird. Dabei geraten die Probleme auch der Gruppen, die man eigentlich schützen will, oft ins Hintertreffen.
In Ihrem Buch taucht unter anderem auch der Begriff des Nanny-Journalismus auf. Das ist ein Journalismus, der sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen quasi auf den rechten Weg zu führen. Ist das ein Phänomen das ihrer aus Ihrer Sicht wirklich existent ist oder es einfach nur ein Schlagwort?
Es gibt manche Beispiele, die zeigen: Das ist ein Phänomen, das existent ist. Aber es ist sicher auch ein Schlagwort, an das sich viele Menschen dranhängen und auch in Berichterstattungen, die tatsächlich noch gar nicht so viel „Nanny“-Anteil haben, erzieherische Impulse sehen und diese dann vielleicht auch als Gegenargument verwenden, warum man der Presse allgemein nicht mehr vertrauen kann. Aber allgemein finde ich, dass es eine wichtige Debatte über die Rolle des Journalismus wäre, wenn man sich Gedanken macht, ob Dinge bewusst verzerrt sind, ob es sich um Fake News handelt oder einfach nur um verzerrte Darstellungen.
Bei den Themen, die Sie ansprechen, wird gerade sehr viel durcheinandergeworfen: Fake News, Lügenpresse, Political Correctness. Woher kommt aus Ihrer Sicht der Verdruss an Medien jetzt genau her? Woher kommt es, dass innerhalb relativ kurzer Zeit so viele Schlagworte aufgetaucht sind, die letztendlich dem Journalismus, den wir bisher kannten, die Grundlage entziehen?
Das ist in dieser Komplexität eine schwierige Frage. Grundsätzlich denke ich, dass es für jeden Menschen einen Moment gab, wo er tatsächlich das Gefühl hatte: Da ist irgendetwas in meiner Welt durcheinandergeraten. Ich kann dem jetzt nicht mehr vertrauen. Und dass er vielleicht auch tatsächlich so ein Erlebnis von paternalistischem Journalismus hatte. Also eine Berichterstattung über ein Ereignis in der Welt – und gleichzeitig damit schon eine Einstellung, wie man diese Entwicklung zu sehen habe.
Aber gleichzeitig muss man schon sehen, dass es zum Beispiel durch die elektronischen Medien und soziale Netze, durch Filterblasen und Echokammer-Effekte sich auch ganz schnell einseitige Sichtweisen auf die Welt hochschaukeln und viel stärker entwickeln können. Was wir in dem Buch auch beschreiben, ist so ein bisschen die tragische Entwicklung, dass sich Leser abwenden in dem Moment, in dem das Vertrauen einmal erschüttert ist. Und zwar zu „alternativen“ Kanälen, die nicht unbedingt besser sind. Und dass es dabei ganz schwer ist, das Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Selbst wenn Leser dann feststellen, dass die sogenannten alternativen Medien auch nicht besser sind.
Jeder lebt in seiner kleinen Filterblase
Wenn ich die Quintessenz ihrer beiden Bücher zusammenfasse: Ist dann die Entwicklung, die Sie gerade beschrieben haben, überhaupt noch irgendwie rückgängig zu machen? Können wir Vertrauen überhaupt noch zurückholen oder leben wir tatsächlich künftig alle einfach in Filterblasen?
Jeder ist irgendwo ein Stück weit in seiner in seiner kleinen Filterblase. Filterblasen gibt es ja nicht nur im Internet. Allein, dass ich mich in einem bestimmten Freundeskreis bewege, ist auch eine Art von Filterblase. Ich würde es jetzt nicht so pessimistisch sehen, dass es da nie wieder auch positive Entwicklungen geben kann. Aber ich glaube, wir müssen diese Debatte einfach mal führen: Was hat den Menschen zu solchen Schritten geführt?
Eine Frage kann ich Ihnen nicht ersparen: „Der Begriff Political Correctness gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.“ Sie wissen, von wem dieses Zitat ist?
Das Zitat kam etwas später, nachdem wir unseren Buchtitel schon festgelegt hatten. Klar ist das schwierig. Ich weiß, dass der Begriff oft in Zusammenhängen verwendet wir, in die wir uns nicht stellen wollen. Aber ich glaube, wenn man auf alle Begriffe verzichtet, die in Zusammenhängen, in denen man sie nicht sehen möchte, dann wird es schwierig. Am Ende trifft es der Begriff „Political Correctness“ eigentlich schon gut, um was es geht.
Was können Journalisten dann ganz konkret tun, außer dass sie natürlich zuhören, dass sie das Publikum ernst nehmen?
Was man generell tun kann, ist sich ein bisschen selbst zu prüfen: Berichte ich das, was ich wirklich berichten will? Oder ist das gefärbt von einem Glauben, wie man Dinge verpacken müsste damit sie dann richtig ankommen oder damit ich mir keinen Gegenwind anfange? Das ist natürlich sehr, sehr schwierig, weil es kaum noch neutrale Begriffe gibt und man sich so schnell eben mit einem Begriff sozusagen für Schwarz oder Weiß entscheiden muss. Und was ich mir wirklich wünschen würde wäre, dass wir es irgendwie schaffen, als Gesellschaft aus diesem starken Schubladendenken wieder ein Stückchen raus zu kommen und uns mehr auf inhaltlicher Ebene auseinandersetzen können.
(Das Interview wurde für die Textfassung aus Gründen der Lesbarkeit leicht redigiert).
Titelbild: Tyler Yeo, Flickr.com, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode
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Solche seichten Erklärungsversuche gibt es zuhauf. Ich in meiner “Filterblase“ habe mich von den MSM abgewendet, weil sie nicht das tun, was sie sollten: reine Fakten mit deutlichen Worten bringen – und zwar alle. Seine Meinung mag jeder Journalist am Ende eines Artikels hineinbringen, aber in eine Nachricht gehören nur Fakten – und zwar alle. Ein Weglassen oder Verdrehen der Fakten ist m. E. schon Lüge. Außerdem kritisiere ich, dass offensichtlich nicht mehr selbst recherchiert wird sondern nur noch von Nachrichtenargenturen nahezu ungeprüft übernommen wird. Zum Thema PC kann ich aus eigener Erfahrung nur sagen, dass sich viele gar nicht so sehr diskriminiert fühlen wie behauptet. Die Bezeichnung Neger beleidigt einen normalen Menschen genauso wenig, wie mich die Bezeichnung Weißbrot oder Kartoffelfresser beleidigt, sie sind ja auch nicht wirklich Beschimpfungen wie “Nigger“ oder “Made“. Mir scheint, dass hinter der PC ganz andere Motive stecken.