Der „Spiegel“ hat in seiner aktuellen Ausgabe eine „Unheimliche Macht“ entdeckt: ARD und ZDF. Und schickt gleich hinterher: „Wie ARD und ZDF Politik betreiben“. Danach kommt ein bisschen Generalkritik. An Anstalten, denen „im Netz Hass entgegenschlägt“. Dass ausgerechnet der „Spiegel“ eine derart populistenfreundliche Titelgeschichte bringt, hätte man sich bis vor kurzem auch noch nicht vorstellen können. Read More
Vorweg: Ich habe einen Teil meines Berufslebens bei den Öffentlich-Rechtlichen verbracht, erst als Festangestellter beim ZDF, dann immer wieder mal in freien Projekten bei der ARD bzw. dem BR. Ich bin kein Insider des Systems und ein öffentlich-rechtliches Gewächs schon gleich gar nicht.
Es gab Tage, da haben mich die diversen Läden dort zur Verzweiflung gebracht. Wenn man mir einen Freibrief zur Reform der Anstalten gäbe, es würden mir auf einen Schlag eine ganze Menge Dinge einfallen, die ich ändern würde. Ich bin zudem der Überzeugung, dass man mit deutlich weniger Geld als den sagenhaften fast acht Milliarden jährlich sehr viel besseres Programm machen könnte. Und natürlich bin ich ebenso überzeugt, dass es die eine oder andere Karriere bei den ÖR gibt, die außerhalb der ÖR nicht möglich gewesen wäre, um es mal vorsichtig zu formulieren. Kurz gesagt: Es gäbe sehr viel, was man an ARD und ZDF kritisieren könnte, wenn man es etwas gehaltvoller betreiben würde als der „Spiegel“.
Bevor Sie sich jetzt die Hände reiben und sagen: Jetzt sagt es schon einer aus dem System selbst – was ich gerade über ARD und ZDF gesagt habe, würde ich für viele andere Medienläden in Deutschland ebenso unterschreiben, zumindest in modifizierter Form. Abgehobenheit, Distanz zum Leser, ineffiziente Arbeitsweisen, Glaubwürdigkeitsprobleme – na, Kollegen, jemand unter Ihnen, dem das bekannt vorkommt?
Davon abgesehen: Bei aller Kritik bin ich mir sicher, dass wir weiter einen funktionierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauchen. Auch und vor allem im Netz. Wer die ÖR aus dem Netz weitgehend raushalten will, schafft ihn in der Konsequenz ab. Grundversorgung im Jahr 2017 muss eben auch digital sein.
Beim „Spiegel“ haben sie sich trotzdem nicht davon abhalten lassen, eine Gruselgeschichte auf den aktuellen Titel zu heben: „Die unheimliche Macht“, das suggeriert Abgründe an Landesverrat, an finsteren Machenschaften. Man denkt sich insgeheim, dass die AfD- und Pegida-Schreihälse vielleicht doch nicht unrecht haben und man sieht Regierungssprecher Seibert (Ein Ex-ZDF-Mann!) vor sich, wie er seinen Vorgänger Wilhelm (jetzt BR-Intendant!) anruft und ihm die Agenda für die nächsten vier Wochen durchgibt; schöne Grüße von der Chefin übrigens.
Am Ende bleibt nicht mehr als etwas Generalkritik
Im Inneren hält die Geschichte nichts von dem, was der Titel suggeriert. Das könnte man jetzt abtun wahlweise als etwas übergeigte Überschrift, die dem Marketing geschuldet ist. Oder als Missverständnis zwischen Grafik und Redaktion, kann ja mal vorkommen. Stattdessen wirkt es so, als wolle man mal wieder ordentlich nölen über den Staatsfunk, der den Verlagen das Leben so schwermacht. Vieles an der Kritik ist diskussionswürdig, neu davon ist nichts.
Zwischendrin liest man viel von der Abgehobenheit der Sender, ihrer Entfernung zum Publikum und ihrer Nähe zu Politik und Macht. Das Meiste bleibt im Ungefähren – es findet sich nicht ein Halbsatz, der die These von der „Unheimlichen Macht“ auch nur im Ansatz deckt. Warum diese Geschichte gerade jetzt erscheint? Könnte ja sein, dass die unheimliche Macht „Spiegel“ gerade selbst ein bisschen (Medien-)Politik machen möchte.
Irgendwann gegen Ende kommt die Kollegen dann endlich auch mal auf das Thema Vertrauenskrise zu sprechen. Und sie bemerken, dass dieses Thema alle trifft, auch natürlich sogar den großen „Spiegel“. Schön, dass sie zu dieser Erkenntnis gekommen sind. Warum man allerdings davor seitenweise das Geschäft der Populisten betreibt und die Geschichten vom Staatsfunk erzählt, bleibt offen…
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