Ist Journalismus für alle da? Immer objektiv und die Realität abbildend? Nein, ist er nicht, kann er nicht, will er nicht. Höchste Zeit, das auch mal so zu sagen. Read More
Sarah Diefenbach und Daniel Ullrich haben ein neues Buch geschrieben. „Es war doch gut gemeint“ beschäftigt sich zwar hauptsächlich mit der „Political Correctness“, widmet sich aber auch immer wieder dem Thema Medien. Weil, klar, Medien in einer Vertrauenskrise sind, die nach Meinung der Autoren nicht nur, aber eben schon auch durch die Neigung des Großteils der Journalisten zur PC bedingt ist…
Das Buch, so viel vorweg, liest sich an den meisten Stellen plausibel und interessant. Wenn es um Medien geht, hat sich bei mir aber der Widerspruch geregt. Weil das Buch erstaunlicherweise von ein paar falschen Grundannahmen ausgeht. Die wichtigste der Fehl-Annahmen: Journalismus müsse sich an Objektivität und Realitäten orientieren.
Nein, das muss er nicht. Zumindest nicht nach den landläufigen Vorstellungen. Weil es beides, Realität und Objektivität, in dieser Form gar nicht gibt.
It´s just capitalism, schreibt Seth Stevens-Davidowitz in seinem großartigen Buch „Everybody lies“. Als Journalist und damit als jemand, der sein ganzes Berufsleben lang in seinem Beruf eben doch mehr als nur einen Job oder womöglich sogar nur Kapitalismus gesehen hat, schluckt man bei einem solchen Satz erstmal.
Tatsächlich nimmt ein solcher Satz den ganzen Debatten aber auch die Schärfe. Selbst wenn man dann doch davon ausgeht, dass Journalismus nicht ausschließlich nur Kapitalismus ist, so hilft es dennoch, wenn man einsieht: nicht nur, aber eben auch Kapitalismus. Dass beispielsweise der Kollege Stefan Plöchinger im kommenden Jahr nicht einfach nur zum Spiegel, sondern auch noch auf die kaufmännische Seite wechselt, passt da gerade gut ins Bild.
Ebenfalls lesenswert…
von Sarah Diefenbach und Daniel Ullrich: „Digitale Depression“. Aus dem Archiv: Interview mit Sarah Diefenbach.
„Ich habe in den vergangenen Jahren die größere Leidenschaft darin entdeckt, dem guten Journalismus sein Geschäftsmodell sichern zu wollen“, schreibt Plöchinger auf seiner Facebook-Seite . Das ist legitim und womöglich gerade tatsächlich spannender, als Chefredakteur einer etablierten Seite zu sein. Für diese Entscheidung muss man Plöchinger beinahe dankbar sein, weil damit eine ganz schlichte Sache nochmal klar wird: Journalismus ist eben auch Geschäft. Eine Tatsache, die viele von uns Journalisten über Jahrzehnte geflissentlich übersehen haben. War ja auch nicht nötig, über das Geschäft nachzudenken. Es lief lange beinahe wie von selbst.
Möglicherweise sollten sich das auch unsere Kunden immer wieder klarmachen. Natürlich wäre es schön, wenn es den einen Journalismus gäbe, der die eine und einzige Instanz ist. Der die eine und unveränderbare Realität darstellt, ganz objektiv natürlich.
Dumm nur: Damit würde man von Journalismus etwas verlangen, was er gar nicht zu leisten imstande ist. Selbst wenn es ökonomisch möglich wäre, würden Journalisten an dieser Idee scheitern. Schon alleine deswegen, weil es die Realität nicht gibt. Ohne jetzt in die Abgründe der Philosophie gehen zu wollen: Realität entsteht durch unser Denken. Vorher ist erstmal nichts gut oder schlecht, erst unser Denken macht es dazu. Wenn man das für sich akzeptiert, dann ist auch klar, dass Journalismus eben „nur“ ein bestimmter Blick auf die Welt sein kann. Das im Übrigen auch noch aus anderen, ganz schnöden Gründen. Wollte man das gesamte Geschehen der Welt abbilden und ausreichend beleuchtet darstellen, man bräuchte mehr Platz, als ein gesamtes Internet fassen kann. In dem Moment aber, in dem Journalisten sich für einen ganz bestimmten Ausschnitt aus diesem Geschehen entscheiden, sind sie eben nicht mehr objektiv, sondern nehmen eine Bewertung vor.
Wie kann man also ernsthaft auf die Idee kommen, von Journalisten zu verlangen, sie sollten objektiv sein? Oder neutral? Selbst wenn man das wollte, es wäre gar nicht möglich.
Medien bringen, was die Leute gerne wollen. Ja, und?
Zwei Gedanken dazu. Zum einen ist es angesichts dessen ja doch wieder sehr legitim, Journalismus als just capitalism zu sehen. Und zweitens: Es ist nur zu menschlich, sich in seiner Sicht der Dinge bestätigen lassen zu wollen. Confirmation bias, wie Wissenschaftler das nennen. Wer also seine „Süddeutsche“ kauft, macht das eben auch, weil er weiß, dass sie zu einem großen Teil mit seinem Weltbild übereinstimmt. Was nicht schlimm ist, weil es für alle anderen die FAZ oder die Welt gibt. Anders gesagt: Medien bringen, was ihr Publikum gerne möchte. It´s just capitalism…
Sehr nüchtern gesagt ist es also so: Das Tolle an einer vielfältigen Medienlandschaft ist vor allem, dass sich jeder sein Weltbild bestätigen lassen kann. Wer es sich gründlich zerstören will, kann gerne in ein anderes Organ schauen, aber wer macht das schon?
Das ist auch der Grund dafür, warum die Debatte um Journalisten, die angeblich großteils einem bestimmten Weltbild nachhängen, das Volk erziehen wollen („Nanny-Journalismus“) und es für weitgehend unmündig halten, ziemlich unsinnig ist. Die beispielsweise vom Ex-ZDF-Journalisten Wolfgang Herles aufgestellte These, im ZDF habe man immer pro Große Koalition berichten müssen, ist kein Beleg für eine Verschwörung, sondern ganz einfach menschlich zu erklären: Die GroKo hat in ihren besten Zeiten fast zwei Drittel aller Wählerstimmen auf sich vereint. Wäre es erstaunlich, dass sich in diesem breitgefächerten Konsens auch etliche Journalisten wiederfinden?
Davon abgesehen habe ich auch mal beim ZDF und beim BR gearbeitet und kann mich beim besten Willen nicht erinnern, dass es solche „Anweisungen“ gegeben hätte. Dass wiederum das ZDF und der BR bestimmten politischen Richtungen zuneigen, ist unbestritten. Gibt es irgendein (politisches) Medium, das dies nicht tut?
Journalismus ist nichts anderes als eine bestimmte Sicht der Dinge
Und selbst, wenn es das geben sollte: Der Sprachgebrauch und die Nachrichtenauswahl eines solchen superobjektiven Mediums müsste von so derart großer Übervorsicht geprägt sein, dass am Ende dann doch wieder der Vorwurf der Political Correctness im Raum stehen müsste. Und natürlich der des Proporzes: Müsste man dann nicht in jeder Talkshow grundsätzlich alle Vertreter aller gesellschaftlich relevanten Gruppen einladen? Man hat so etwas übrigens schon mal versucht, allerdings nicht in einer Talkshow, sondern im ZDF-Fernsehrat. Am Ende stand ein Gremium, das de facto kaum kompetent und entscheidungsfähig war – dafür aber sehr, sehr groß.
Natürlich schildern Journalisten ihre Sicht der Dinge. Jeden Tag. Das beginnt schon bei der Auswahl der Themen. Wenn nicht gerade alles überragende Dinge passieren, was ist dann das wichtigste Thema eines Tages? Für nahezu jedes Thema lassen sich gute Argumente und auch sehr gute Gegenargumente finden.
Beispiel heute: Auf ziemlich vielen Webseiten ist gerade die Bekanntgabe der Literatur-Nobelpreisträger ganz oben. Kann man schon machen, ist mir persönlich aber ziemlich egal. Aus meiner Sicht gäbe es heute spannendere Geschichten, aber ok, wie gesagt: Es ist nur meine Sicht. Was aber das ganze Elend schon zeigt: Wäre ich heute CvD bei der SZ oder bei SPON, die Nobelpreis-Sache würde nicht ganz oben stehen.
Man könnte die ganze Sache mit der Lügenpresse, der Vertrauenskrise, den Systemmedien und dem ganzen anderen Kram sehr viel entspannter angehen, würde man sich endlich von der Vorstellung der einen Wahrheit und der objektiv darüber berichtenden Medien verabschieden. Nebenher eingeschoben: Schon klar, die Hardcore-Populisten bekommt man mit solchen Argumenten nicht, weil die ja gar nicht wollen – schließlich passt die Geschichte von der Systempresse so schön ins eigene Weltbild.
Aber alle anderen? Ja, das würde bedeuten, dass man sich sein eigenes Bild machen muss. Medien können zu diesen Bildern einiges beitragen, mehr aber auch nicht.
Der Rest? Just capitalism…
Was ist objektiv? Was ist „correct“? Wir Journalisten dokumentieren, was sichtbar ist. Aber die praktischen Arbeitsbedingungen setzen Grenzen der Recherche. Ich habe meine praktischen Erfahrungen im Buch „Gehetzte Journalisten“ beschrieben.
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