Geht es um soziale Netzwerke, sind die Meinungen tief gespalten: Die einen sehen in ihnen die Kommunikations- und Vernetzungsform des 21. Jahrhunderts. Für die anderen sind sie bestenfalls Teufelszeug, das zur Verdummung der Menschen und der totalen Macht einer weniger Großkonzerne beiträgt. Read More
Sarah Diefenbach lässt sich keinem der beiden Lager so eindeutig zuordnen. Die Professorin an der LMU München hat Zusammen mit Daniel Ullrich zwar ein Buch mit dem Titel „Digitale Depression“ geschrieben, verteufelt aber das (soziale) Netz keineswegs. Aber natürlich sieht sie Fehlentwicklungen: für Menschen und Medien, für eine Gesellschaft, die sich eine Weltsicht diktieren lässt, die mit der Realität nicht viel zu tun hat – und die im schlimmsten Fall Gesellschaften spaltet.
Frau Diefenbach, wäre es besser, man lässt die Finger von sozialen Netzwerken?
So weit würde ich nicht gehen. Soziale Netze bieten ja tatsächlich gute Möglichkeiten, viel mit Menschen in Kontakt zu sein. Aber man muss sich doch bewusst sein, dass sie eben viele Mechanismen haben, die eher Unglück als Glück stiften. Zum Beispiel die Vergleiche, mit denen man eben immer wieder konfrontiert ist. Mit dem tollen, perfekten, geschönten Leben anderer. Es sind ja auch nur selektive Ausschnitte aus dem Leben, die man sich da anschaut.
Oder auch, dass es für alles einen Counter gibt. Glück quantifizieren ist etwas, was laut Glücksforschung nicht gut tut. Auch wenn die Idee erst mal nett ist, wenn man sieht: So viele Freunde habe ich. Es kommt aber schnell dazu, dass man das, um was es ursprünglich ging, ganz aus dem Blick verliert und man das Erlebnis sozusagen gar nicht mehr hat, um es im Moment zu genießen, sondern um dafür Anerkennung zu bekommen. Teilweise nimmt das wirklich absurde Ausmaße an.
Sieht man durch soziale Netzwerke ein unrealistisches Bild von der Welt?
Ja, absolut. Das zeigen auch Studien. Da entsteht schnell der Eindruck, dass es allen anderen besser geht und alle anderen das aufregendere Leben haben. Das bleibt bei uns hänge. Der Selbstwert sinkt, wenn man sich in sozialen Netzen aufhält. Und ja, es wäre eine richtige Empfehlung, dem Thema bewusster zu begegnen oder den Aufenhalt in sozialen Netzen zu reduzieren. So wie wir gebaut sind als Menschen, können wir uns diesen Effekten sozusagen nicht entziehen.
Macht nicht ein Algorithmus wie beispielsweise von Facebook einfach nur Populäres noch populärer und blendet alles, was etwas komplexer sein könnte, konsequent aus?
Das ist durchaus ein Problem. Man bewegt sich dadurch noch mehr in der eigenen „Filter Bubble“. Man bestärkt sich gegenseitig in seiner Weltsicht und gleichzeitig entfremden sich die Menschen voneinander, weil sie, ohne es zu wissen, ein ganz unterschiedliches Bild von der Welt vermittelt bekommen.
Glauben Sie, dass gute Coder die Welt manipulieren?
Zum Teil schon, klar. Diese Codes müssen ja nicht nicht darauf ausgelegt sein, die Gesellschaft zu entzweien. Aber alleine schon, wenn es einfach aus einer wirtschaftlichen Sicht ist, wenn man auf bestimmte Werbepartner oder Artikel weitergeleitet wird, führt das alles zu einem bestimmten Resultat.
Medienkonsumenten haben jeweils in ihr Medium hohes Vertrauen. Manche eben Richtung Mainstream, manche eher Richtung alternative Medien. In Ihren Annahmen, warum man jetzt den anderen misstrauen sollte, finden sie zunehmend Verstärkung.
In der Medienbranche sagen wir gerne, man müsse die Menschen dort abholen, wo sie sind. Und das ist nun mal sehr häufig in den sozialen Netzwerken. Aber bedeutet das umgekehrt nicht auch, dass wir die vierte Macht im Staat zunehmend mehr in die Hände solcher Netzwerke legen?
Im Zuge der Vertrauenskrise bei den Medien ist das ein großes Thema. Man muss sich auch als dass man sich auch als Journalisten fragen, was man als die Ur-Aufgabe sieht. Oder wie weit man sich darauf einlässt, wo man die populärsten Meinungen verbreiten kann oder die meiste Anerkennung bekommt.
Wenn Algorithmen bestehende Weltbilder noch verstärken, bedeutet das dann umgekehrt nicht auch dass sie das Grundvertrauen in eine Gesellschaft stellenweise untergraben können? Beispielsweise würden ja dann klassische Protestwähler in ihrer Haltung noch permanent bestärkt werden…
Zum Thema Medienvertrauen haben wir gerade eine Studie durchgeführt. Und da hat sich schön gezeigt, dass Medienkonsumenten jeweils in ihr Medium hohes Vertrauen haben. Manche eben Richtung Mainstream, manche eher Richtung alternative Medien. In Ihren Annahmen, warum man jetzt den anderen misstrauen sollte, finden sie zunehmend Verstärkung. Man spricht ja deshalb auch vom „Echokammer-Effekt“. Ich schreibe etwas, andere lesen das – und bestärken mich in meiner Meinung, man schaukelt sich gegenseitig hoch. Es entsteht dadurch der Eindruck, die die Mehrheit der Gesellschaft würde das so sehen. Tatsächlich sind es nur ein paar Menschen, die die gleichen Argumente immer wieder wiederholen.
Das sind Effekte, die gab es an sich schon immer. Der Stammtisch beispielsweise, wenn ich mich da immer mit den gleichen von Freunden unterhalte, dann ist das auch eine Filter Bubble. Aber in der Welt des Internets potenzieren sich solche Effekte natürlich.
Wäre Populismus ohne soziale Netzwerke gar nicht möglich?
Soweit würde ich nicht gehen. Aber natürlich sind soziale Netze oder „alternative Medien“ neue Formen, mit denen sich Meinungen verbreiten können. Man hat Infrastrukturen, in denen sich solche Meinungen stärker gegenseitig hochschaukeln können. Und man hat durchs Internet natürlich auch die Möglichkeit, gezielt nach Meldungen zu stöbern. Am Ende bekommt man neue Möglichkeiten, Geschichten aufzugreifen und in neue Narrative einzubetten.
Und wie können wir als Eltern, als Gesellschaft der auch als Journalisten mit diesen Veränderungen umgehen?
Man reagiert ja nicht auf die Realität. Sondern man reagiert auf Befehle, die man von Facebook, von Google oder von wo auch immer geschickt bekommt.
Das ist eine große Herausforderung. Und da ist jeder selber gefordert, einen Weg zu finden. Im Bezug auf die sozialen Netze denke ich, dass man sich nicht komplett von ihnen fernhalten muss. Aber man sollte sich bewusst machen, wie viel von meinem Glück von irgendwelchen Countern abhängen soll. Oder von dem Feedback, das ich von anderen erhalte. Vielleicht reicht ja auch ein besuch pro Tag bei Facebook oder Instagram. Und ich begebe mich nicht dauernd in diesen Mechanismus, was man ja bei vielen beobachten kann. Das ist wirklich so eine Art Sucht geworden, dass ständig gecheckt wird, ob es etwas Neues gibt.
Könnte es sein, dass vielen Menschen gar nicht bewusst ist, wie ein Facebook-Algorithmus funktioniert und das ihr Bild von der Welt nichts mit der Echtzeit-Realität zu tun hat, sondern von einer Maschine geprägt wird?
Das stellen wir auch häufig fest, wenn wir in Vorträgen oder Diskussionsrunden zu dem Buch sind: Vielen sind diese Mechanismen nicht bewusst. Oder man hat es vielleicht mal gehört, hat sich aber nicht wirklich klar gemacht, was das denn in letzter Konsequenz heißt, wenn man sich sozusagen dressieren lässt. Man reagiert ja nicht auf die Realität. Sondern man reagiert auf Befehle, die man von Facebook, von Google oder von wo auch immer geschickt bekommt.
Ihr Buch heißt „Digitale Depresson“. Sind Depressionen nicht eine Krankheit, die man behandeln muss?
Mit dem Titel „Digitale Depression“ meinen wir nicht, dass im pathologischen Sinne jeder eine Depression bekommen muss. Es sind nicht nur diese kognitiven Defizite, die Technik hervorrufen kann. Es ist auch ein wichtiger Punkt, sich einfach aus dieser Glücks-Perspektive mit dem Thema beschäftigen muss. Sich ein paar einfache Fragen zu stellen wäre ein Anfang: Welche Möglichkeiten für Erholung verschenke ich? Oder wo stoße ich vielleicht andere vor den Kopf, wenn ich bei einem Treffen ständig mit dem Handy beschäftigt bin und nicht mal mit dem Gesprächspartner direkt spreche.
In Summe kann man also natürlich schon sagen: Wenn all das zusammenkommt ist, wenn die Antworten auf diese Fragen negativ ausfallen, dann ist es eine Form von Depression und auch Verzweiflung. Man sollte wirklich schauen, dass man sich aus diesem Hamsterrad befreit, in das man sich da teilweise rein begibt. Weil es einfach Effekte gibt, für die wir als Menschen nicht gemacht sind.
Bräuchte man in der Konsequenz nicht auch ein Schulfach „Medienkompetenz“?
Da wäre ich absolut dafür. Oder auch für Glück als Schulfach – dass man einfach auch etwas darüber lernt, was man zum guten Leben beitragen kann.
Da gäbe es einige Verknüpfungen. Beispielsweise, dass es durch die Medienwelt viel mehr Fallen gibt, in die man tappen kann. Dann könnte man auch schon Kindern und Jugendlichen mit an die Hand geben, welchen Herausforderungen sie begegnen und wie sie damit umgehen können. Wobei das natürlich nicht nur für Kinder und Jugendliche eine Herausforderung ist.
Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass soziale Netzwerke mit ihren ständigen Bildern vom guten Leben der jeweils anderen einen enormen Materialismus befeuern?
Diesen sozialen Vergleich hatte man schon immer. Aber durch die sozialen Netze ist es sozusagen der Rest der Welt, mit dem man da irgendwo sich freiwillig in Konkurrenz stellt. Das Fatale ist, dass niemand diesen Kampf gewinnen kann, weil jeder ein selektives geschütztes Bild von sich selbst präsentiert. Insofern tut das den Menschen insgesamt nicht gut.
(Das Interview wurde in dieser Version aus Gründen der Lesbarkeit redigiert und gekürzt. Die komplette Version finden Sie im Audio-Mitschnitt auf dieser Seite).
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