Die Hoffnungen waren ja mal andere: Eigentlich träumten wir Netz-Optimisten von mehr Freiheit, von leichterer Kommunikation und von einer Vernetzung rund um den Globus (oder wenigstens: quer durch Deutschland). Bekommen haben wir einen Konzern, dessen Größe alles überragt, was wir bisher im Bereich von Medien und Kommunikation gekannt haben. Facebook: fast zwei Milliarden Nutzer. Instagram: eine halbe Milliarde. WhatsApp: rund eine Milliarde. Read More
Das Spiel kennt inzwischen nahezu jeder: Ständig blinkt und piepst irgendwas und verlangt nach unserer Aufmerksamkeit. Oder wie es die Münchner Professorin Sarah Diefenbach ausdrückt: Man reagiert ja nicht auf die Realität. Sondern man reagiert auf Befehle, die man von Facebook, von Google oder von wo auch immer geschickt bekommt.
Man muss tatsächlich kein Netz-Skeptiker sein, um zu erkennen: Unsere vermeintliche grenzenlose Freiheit bezahlen wir damit, dass ein paar wenigen Konzernen unfassbar große Datenmengen gehören. Die wir jeden Tag noch anreichern, freiwillig und selbstverständlich kostenlos.
Das Interview mit Sarah Diefenbach in der Textfassung: hier.
Auch wenn es um Medien geht, die ja eigentlich eine Art vierte Macht im Staat sein sollen, hat sich ein erstaunlich wurschtiger Umgang eingeschlichen. Nachrichten, das haben wir im Hinterkopf, werden uns schon erreichen, wenn sie wichtig sind. Dafür gibt es ja soziale Netzwerke. Doch diese sozialen Netzwerke, vor allem dieses eine, riesengroße, machen keinen Journalismus und sie haben letztendlich auch keinerlei Interesse an dem, was Journalismus eigentlich ausmachen sollte. Weder wollen sie nach journalistischen Prinzipien informieren noch haben sie ein Interesse daran, komplexe Dinge zu erklären.
Was die Coder von Facebook et al wollen: User, die möglichst lange auf der Seite bleiben, möglichst viel erzählen und dabei ausreichend Daten hinterlassen. Das ist natürlich völlig legitim und vermutlich aus ökonomischer Sicht sogar sehr clever. Man sollte das nur nicht mit Journalismus verwechseln.
Zumal es ausgerechnet Netzwerke wie Facebook sind, die einen beträchtlichen Anteil an der Vertrauenskrise haben, der sich Medien zunehmend ausgesetzt fühlen. Weil deren Algorithmen potentiell dazu in der Lage sind, jede noch so krude Weltsicht zu bestätigen. Jeder Verschwörungstheoretiker findet inzwischen seine Echokammer, in der er sich tausendfach bestätigt fühlen darf. Vermutlich ist das sogar systemimmanent: Wer immer nur hört, was er ohnehin schon zu wissen glaubt, wird kaum auf die Idee kommen, dass er vielleicht doch falsch liegen könnte.
Zugegeben, ich bin beim Titel von Sarah Diefenbachs und Daniel Ullrichs Buch erst mal zusammengezuckt: „Digitale Depression“, das hat mich sehr an „Digitale Demenz“ erinnert. Was ja bei den ganzen Netz-Phobikern inzwischen zur Mode geworden ist: Man nimmt den Begriff „Digital“ und hängt dann noch irgendein übles Krankheitsbild dran. Der Titel „Digitale Depression“ täuscht also ein wenig: Das Buch ist kein Digital-Pessimismus, diagnostiziert tatsächlich auch keine Depressionen, wenn man sie buchstäblich als Krankheit sieht.
Allerdings liest man auf jeder Seite die Auswüchse heraus, die vor allem soziale Netzwerke inzwischen haben. Das ist nicht unbedingt völlig neu. Aber trotzdem lohnt es, sich diese Dinge immer wieder vor Augen zu führen: dass Algorithmen darüber entscheiden, was wir zu sehen bekommen, dass Algorithmen Populäres noch populärer machen und dass sie konsequent alles ausblenden, was das eigene Wohlbefinden stören könnte. Und dazu gehören nun mal auch Dinge, die man nicht so gerne liest, weil sie das zementierte Weltbild stören könnten.