Die analoge Medienwelt ist beinahe endgültig tot. Sagt die neue PWC-Studie“Media Outlook“. So banal, so einfach, so nachvollziehbar. Und trotzdem klaffen beim Thema Digitalisierung zwischen Theorie und Praxis in Deutschland immer noch himmelweite Unterschiede…Read More
Zu den spannenden Dingen des ansonsten eher enttäuschenden „Spiegel Daily“ gehört das Pricing. 7 Euro im Monat, das ist eine interessante Ansage. Weil damit auch die Idee, dass Tageszeitungen 30, 40 oder noch mehr Euro im Monat kosten müssen, unter Druck gerät (der Kollege Ralf Heimann hat das in seinem Blog gut beschrieben). Schon klar, drucken und der ganze Kram, das kostet ein bisschen mehr als eine Webseite und ein wenig Kapazität auf einem Server.
Trotzdem: Wenn man sich die Branchen ansieht, die die Digitalisierung halbwegs erfolgreich hinter sich gebracht haben, dann stellt man bei ihnen fest, dass sie alle die Preise ihres analogen Geschäftsmodells nicht halten haben können. Musik beispielsweise: Eine CD kostete (und kostet) gerne mal irgendwas um die 20 Euro. Dafür bekommt man heute bei einem gängigen Preis von ca. 10 Euro zwei Monate Musikstreaming.
Umgekehrt gerechnet: Für das Geld, für das man heute ein Jahr lang streamen kann (und zwar nahezu alles, was es auf dieser Welt gibt), hätte man früher gerade mal 10 CDs bekommen. Ein ähnliches Spiel lässt sich beim Thema Videos und Pay-TV beobachten. Überall gilt: Digitale Distribution ersetzt die analoge. Aber immer ist das auch mit einem deutlichen Rückgang der Vertriebserlöse verbunden.
Und überhaupt: Die Digitalisierung ist inzwischen in einem Stadium angekommen, in dem sich mit ziemlicher Sicherheit sagen lässt, dass nichts mehr so bleiben wird, wie es einmal war.
Interessant daran ist auch, dass deutsche Medien sich immer noch erstaunlich oft solchen grundlegenden Erkenntnissen verweigern. In der breiten Masse wird man das Gefühl nicht los, es gehe vielen deutschen Unternehmen immer noch hauptsächlich darum, analoge Geschäftsmodelle möglichst ohne Abänderungen in die digitale Welt zu übertragen.
Fünf Erkenntnisse aus PWC-Studie:
1. Das Stammpublikum wird immer wichtiger
Die Zahl ist erstmal nüchtern und auch nicht sonderlich überraschend: Schon bald, nämlich 2021, sollen sich Zeitungen mit einem Anteil von über 50 Prozent aus Abo-Erlösen finanzieren. Der Anteil der Werbung, auch das keine Überraschung, geht weiter kontinuierlich zurück. Das bedeutet: Die Stammleser werden zur wichtigsten Finanzierungsquelle von Zeitungen. Man tut also gut daran, diese Klientel ganz besonders zu pflegen.
Dazu passt auch, dass sich Märkte zunehmend mehr fragmentieren. Im Zeitalter der „Filter Bubbles“ sowieso. Damit verliert die Idee des einen Mediums, das übergreifend für alle da ist, zunehmend an Bedeutung. Vor allem für Regionalzeitungen ist das eine eher schlechte Nachricht. Weil nämlich genau das in der Praxis nach wie vor ihr Geschäftsmodell ist: das eine Organ zu sein, auf das sich am Ende alle einigen. Oder besser: einigen müssen, mangels Alternativen.
Die Alternativen werden allerdings täglich mehr, die sozialen Netzwerke immer größer und alles durchdringender. Ob man da unbedingt noch einen mediokren Lokalteil braucht, der in einen Mantel eingebunden ist, der wiederum auch nicht wirklich viel Neues bietet – sehr fraglich.
Es geht also nicht mehr nur um die Frage, ob man etwas gedruckt lesen will oder doch lieber im Netz. Sondern um einen grundsätzlichen Rollenwandel. Mit der schieren Masse an Publikum wird für Zeitungen immer weniger zu gewinnen sein.
Die Strategie müsste also klar sein: eine (Lokal)-Community aufbauen, eine bestimmte Klientel von (Nicht-)Lesern abschreiben und stattdessen zuschauen, dass man mit einem treuen Publikum möglichst viel interagiert.
Ob das allerdings schon zu allen Verlagen durchgedrungen ist, darf man auch im Jahr 2017 stark bezweifeln.
2. Auch in der Nische gibt es Leben
Das alles führt geradewegs zum nächsten Paradigmenwechsel in der Zeitungsbranche. Vor allem die Tageszeitungen haben es immer noch in ihrer DNA, das geborene Massenmedium zu sein. Das aber schließt sich angesichts des Medienwandels aus. Es gibt auf absehbare Zeit keine Massenmedien mehr nach unserem heutigen Verständnis. Die „Massen“ treffen sich im Netz und da wiederum bevorzugt in sozialen Netzwerken. Alle anderen verschwinden in mehr oder weniger großen Nischen.
Dort kann man ganz gut existieren. Vorausgesetzt, man weiß genau, wen man in dieser Nische trifft und wie man ihn dort am besten bedient. Aber auch hier gilt: Strategiewechsel! Weg vom Anspruch, vorne im Leitartikel die Welt erklären und hinten im Lokalteil die kuschelige Community sein zu wollen. Stattdessen: radikale Fokussierung auf eine klar definierte Zielgruppe. Die lautet bei vielen Verlagen immer noch „alle“.
3.Das neue Geschäftsmodell: Unverzichtbar sein!
Zu dieser radikalen Fokussierung gehört auch eine simple Frage: Wie schafft man es, für einen Kunden unverzichtbar zu sein? Zugegeben, das klingt jetzt etwas arg nach Marketingsprech und simplen Lösungen. Tatsächlich aber lässt sich in vielen Häusern immer noch eine erstaunliche Wurschtigkeit gegenüber dem Nutzer feststellen. Die ist in vielen Jahrzehnten der Defacto-Monopolstellung gewachsen. Weil man ja irgendwo im Hinterkopf vor allem bei Regionalzeitungen wusste: Ohne uns geht es am Ende ja doch nicht.
Und weil das ja auch lange Zeit unbestreitbar so war, ist bei den Lesern nicht selten keine echte Loyalität entstanden, sondern eher das Gefühl, das Geschäftsführer haben, wenn sie die IHK-Mitgliederzeitung bekommen: Muss man halt haben im Zuge der IHK-Zwangsmitgliedschaft. Ab und an steht auch tatsächlich mal was Interessantes drin. Aber fragen Sie solche Geschäftsführer mal, ob sie die IHK-Zeitung für unverzichtbar halten. Die Antwort wird vermutlich eher negativ ausfallen.
Natürlich ist es enorm schwer, im Zeitalter des totalen medialen Überflusses für irgendjemanden noch unverzichtbar zu sein. Aber wenn man dann tatsächlich in erster Linie über zahlende Kunden sein Geschäftsmodell machen will, ist das das einzige Kriterium, das wirklich zählt.
Was mich allerdings skeptisch macht: In wie vielen Verlagen werden solche Überlegungen ernsthaft gespielt?
4. Digitalisierung leben: Eine Marke, viele Kanäle
In die Köpfe rein müsste dann noch eine andere simple Überlegung: Wir sind eine Marke! Eine Medienmarke! Man müsste sich also schnellstmöglich von dem Gedanken verabschieden, dass man eine Zeitung macht und nebenher ein paar digitale Auftritte hinlegt.
Das klingt zumindest für digital denkende Menschen so banal, dass man sich kaum traut, es auszusprechen. Die Realität in vielen Verlagen ist immer noch eine andere. Dort wird der personelle, inhaltliche und auch finanzielle Schwerpunkt immer noch auf das gedruckte Blatt gelegt. Gerne mit der grundsätzlich ja nicht unvernünftigen Begründung, dass man damit immer noch am meisten Geld verdiene.
Trotzdem: Jeder Tag, an dem diese Denke weiter vorherrscht, ist für Verlage ein verlorener Tag. Noch dazu in einem Rennen, in dem die Zeit allmählich knapp wird. Knapper als noch vor kurzem gedacht. Die Rolle der gedruckten Medien wird von Tag zu Tag kleiner, während am Horizont schon wieder die nächste Medienwelt heranzieht. Eine, in der Visualität, Virtualität und die Echtzeit eine große Rolle spielen. Eine, in der Journalisten Geschichten viel weniger erzählen, als sie womöglich selbst zu leben. Und eine, in der die Smartphone-Kamera die Rolle eines zwischengeschalteten Live-Objekts zwischen Journalisten und Usern einnimmt. Zumindest also eine, in der die Idee, Dinge in 80 Zeilen Text niederzuschreiben und vielleicht noch ein Foto hinzuzufügen, nicht mehr sehr spannend erscheint.
Wie genau das aussieht, lässt sich heute nicht präzise sagen. Wohl aber lässt sich absehen, dass die Realität vieler Zeitungen immer weiter hinter das zurückfällt, was in den nächsten Jahren sicher passieren wird.
5. Die Welt wird endgültig volldigital
Zu den neuen Realitäten gehört, dass die Welt endgültig den Schritt zur volldigitalisierten Gesellschaft geht. Coding und virtuelle Realitäten, Daten und Livepräsenz in den sozialen Netzwerken werden sehr viel schneller Alltag sein, als wir uns das jetzt vorstellen können.
Analoge, lineare Medien werden nicht sterben, aber in teils sehr kleinen Nischen verschwinden (bei Büchern würde ich eine Ausnahme machen). Möglicherweise wird es auch zunehmend hybride Nutzungen geben, vor allem für Menschen, die sich bewusst auch mal eine Auszeit aus dem digitalen Alltag nehmen wollen.
Trotzdem: Alle Grundideen der analog-linearen Medien sind in dieser digitalen Gesellschaft obsolet. Man kann sie sich leisten, wenn man sie sich leisten will. Die Grundversorgung dagegen ist eine andere.
Was Verlage also brauchen, und zwar eher gestern als morgen: überzeugende digitale Produkte. Produkte und Ideen, die weit über den Gedanken einer „Internetseite“ und einem eher lieblos gepflegten Facebook-Account hinaus gehen. Produkte, bei denen man den inzwischen ja auch halb totgenudelten Begriff „User Experience“ tatsächlich gerne verwendet.
Das klingt so simpel. Wenn man aber einen Blick auf die Realitäten der Digitalisierung in vielen Häusern wirft, bekommt man eine Ahnung, warum zu Optimismus nicht wirklich viel Anlass besteht.