Populäres wird immer populärer, das Simple noch einfacher und der Laute schlägt den Nachdenklichen: Vielleicht ist dieser ganze Kram mit Social Media für den Journalismus gar nicht so gut, wie wir immer meinen…Read More
In sozialen Netzwerken ist die Welt meistens sehr schön. Es gibt viel weiß, wenig schwarz und so gut wie kein grau. Die Menschen dort sind wahlweise gerade in einem tollen Urlaub, leben in glücklichen Beziehungen und präsentieren generell ein Leben, von dem man sich denkt: Gibt´s ja gar nicht!
Gibt es in der Realität natürlich auch nicht. Weil es niemanden auf der Welt gibt, der immer gut drauf ist und gerade geile Sachen macht. Aber auf der anderen Seite: Wer will schon sehen oder hören, dass der andere gerade ziemlich zerzauselt aus dem Bett gekommen ist, sich mühevoll einen Kaffee runterdrückt und sich immer noch darüber ärgert, dass der letzte Urlaub verregnet und das Hotel eher unterdurchschnittlich ist? Die Konsequenz ist übrigens, dass man sich nach einer Zeit bei Facebook und Freunde tendenziell schlecht fühlt. Allen geht es gut, alle machen alles richtig. Nur bei mir regnet es und ich habe Übergewicht und fettige Haare und außerdem das Essen verkocht.
Ohne Social Media keine Aufmerksamkeit
Natürlich turnen auch Journalisten und andere Medienschaffende irgendwo bei Facebook, Instagram, Twitter rum, ich mache da keine Ausnahme. Schon alleine deswegen, weil man an einem gesellschaftlichen Diskurs heute nur noch teilnehmen kann, wenn man sich dort rumtreibt. Ohne Facebook keine Debatte, keine Interaktion, so einfach (und bedauerlich) ist das.
Wir füttern das Monster Tag für Tag und wundern uns, dass es immer größer wird. Und dass Diskussionen zunehmend verflachen, komplexe Inhalte kaum mehr eine Chance haben, wir Journalisten mehr und mehr eine Show aufführen müssen, die nicht unser Job sein kann. Nennt man heute Selbstmarketing. Oder Personal Branding. Klingt hübsch, verdeckt aber eine ganze Reihe substantieller Probleme. Beispielsweise das, dass man – natürlich – zusehen muss, dass man irgendwie wahrgenommen wird und Aufmerksamkeit bekommt. „Aufmerksamkeitsökonomie“ nennt Gunter Dueck das. Einer, der das Spiel mit der Aufmerksamkeit ziemlich gut beherrscht und darüber übrigens unlängst ein spannendes Buch geschrieben hat.
Wenn die Person wichtiger wird als die Geschichte…
Aber diese Sache mit der Aufmerksamkeitsökonomie, die ja nur über Social Media funktionieren kann, hat ihre Schattenseiten. Wenn beispielsweise Journalisten mit ihren Accounts dafür sorgen, dass es in erster Linie um ihre fabelhafte Person, ihr fabelhaftes Leben und ihre fabelhaften Ansichten geht – und nicht mehr um die Geschichte. Wenn die Person wichtiger wird als die Geschichte, dann ist das nach den Lehren der Aufmerksamkeitsökonomie vielleicht gerade richtig so. Aber wenn man Journalismus halbwegs erst nimmt, dann wird das schnell zu einer grenzwertigen Angelegenheit.
Weil Aufmerksamkeit in den ständig auf der Betriebstemperatur eines Atomkraftwerks laufenden sozialen Netzwerken nicht durch Komplexität erzeugt wird – siehe oben. Man muss schon ein bisschen Lärm machen, um diese Aufmerksamkeit zu bekommen. Was nicht heißt, dass dahinter nicht was sehr Substantielles kommen kann. Musterschüler Sascha Lobo beispielsweise beherrscht die Social-Media-Klaviatur perfekt. Was ihn nicht daran hindert, lesenswerte (und lange) Texte zu schreiben oder gute Filme zu produzieren. Blöd nur, dass mir auf den Schlag fünf andere einfallen, deren Leben und Arbeiten ein riesiges Social-Media-Feuerwerk ist – und dahinter befindet sich, um im Bild zu bleiben, ein nassgewordener Böller.
Nun ließe sich einwenden: Aufmerksamkeit durch gute Inhalte, das wäre doch mal was. Unbestritten: Das funktioniert, aber es sind eher Ausnahmefälle. Das größte Problem, das uns ein Laden wie Facebook bereitet, ist ja nicht, dass dort ein paar Pöbler und Schreihälse pöbeln und schreihalsen. Viel blöder ist, dass man die Dinge enorm verknappen muss, um überhaupt wahrgenommen zur werden. Das passt nur nicht ganz mit dem zusammen, was unsere Welt und damit auch den Journalismus ausmacht. Die Dinge haben nunmal meistens mindestens zwei und manchmal sogar noch sehr viel mehr Seiten.
Eine klare Meinung zu irgendwas zu haben ist schön, aber leider nicht so ganz einfach. Wer allerdings in Zeiten des eindeutigen ja oder nein, des Selbstmarketing, der dauernden Positionierung und der dauernden Präsentation seiner selbst zugibt, einfach keine Ahnung und deshalb keine Meinung zu haben, der hat nach neuer Social-Media-Logik fast schon verloren. Bringt wenig Likes und ist aus SEO-Sicht sehr, sehr ungünstig.
Wir formen unser Werkzeug – und dann formt das Werkzeug uns
Natürlich kenne ich die entgegen gesetzten Argumente. Beispielsweise das, dass man die Leute dort erreichen muss, wo sie sind. Und das sind nunmal zunehmend mehr die sozialen Netze. Macht ja auch wenig Sinn, wenn man prächtigen Journalismus irgendwo produziert und ihn keiner registriert. Unbestritten ist aber auch: Wir formen unser Werkzeug, und danach formt unser Werkzeug uns.
Heißt in diesem Fall , dass wir uns diese Welt aus sozialen Netzwerken selber zusammengebastelt haben und jetzt feststellen, dass diese Netzwerke, diese Werkzeuge mehr mit uns machen, als wir uns das mal gedacht haben. Im Journalismus bedeutet das, dass es sich als ein naiver Gedanke entpuppt hat, dass wir ein paar Links bei Facebook und Twitter ablegen und damit die Nutzer in Heerscharen zu uns locken. Und dass Präsenz in sozialen Netzwerken eben doch mehr ist, als Geschichten zu erzählen.
Der eigene Zwiespalt…
Natürlich stecke ich selbst auch in einem veritablen Zwiespalt. Gemessen an alledem, was ich gerade aufgeschrieben habe, dürfte ich keinesfalls weiter so aktiv bei Facebook, Twitter oder Instagram sein. Oder sollte zumindest deutlich weniger erzählen, was Rückschlüsse auf mich zulässt – und nicht die Riesen mit immer und immer neuen Datenmengen noch größer und mächtiger machen. Auf der anderen Seite: Hier in diesem Blog sind Diskussionen nahezu tot, während ich bei Facebook mit der simplen Frage danach, wie es User finden würden, würde es hier „Sponsored Posts“ geben, mühelos 40 oder 50 Kommentare versammeln kann.
Netzwerkeffekt halt: Wenn hier fast niemand mehr debattiert, findet keine Diskussion mehr statt. Bei Facebook ist das alte Phänomen zu beobachten: Wenn sich erst mal 10 oder mehr Kommentare angesammelt haben, fangen die anderen dann auch mal an sich zu trauen.
Der Algorithmus tut dann sein Übriges: Ohnehin Populäres wird noch populärer. Alles andere, was nicht sofort geliked, geteilt, kommentiert wird, verschwindet ganz schnell wieder. Was aus der Sicht der überaus cleveren Facebook-Coder ja auch so sein muss. Die Idee ist schließlich nicht, Leute möglichst gut zu informieren. Stattdessen sollen sie so lange wie möglich auf der Seite bleiben. Die Logik dahinter: Je mehr Leute in irgendeiner Weise in einen Beitrag involviert sind, desto größer ist die Chance, dass sie selbst beteiligen oder es wenigstens konsumieren und somit länger auf der Seite bleiben.
Der Mainstream wird mächtiger
Die Konsequenz daraus: Inhalte und auch Journalisten, die nicht ganz dem Mainstream entsprechen und die nicht zumindest einen Teil ihrer Arbeit darauf ausrichten, den Leuten gefallen zu wollen, haben es zunehmend schwer, die von Dueck beschriebene Aufmerksamkeit zu bekommen.
Das war natürlich in Ansätzen schon immer so. Es gibt gute Gründe dafür, warum es die krachende BILD-Schlagzeile auf dem Boulevard immer leichter haben wird als eine differenzierte Analyse eines komplexen Geschehens. Wenn man aber im Bild bleiben will, dann ist Facebook ein riesengroßer Boulevard. Die Optimisten unter uns behaupten, dass das gar nicht so schlecht sei, weil es dann für Mittelmaß keine Chancen mehr gibt und nur noch die wirklich herausragenden Inhalte überleben.
Man kann es aber auch anders sehen. Wenn das Populäre immer populärer gemacht wird, wenn Lautstärke Substanz ersetzt und wenn Präsenz mit Persönlichkeit verwechselt wird, muss das nicht zwingend gut ausgehen für den Journalismus. Dass es die Trumps dieser Welt gibt, dass eine Partei wie die AfD zumindest in den sozialen Netzwerken die erfolgreichste Partei ist und dass sich Focus-Onilinisierung des Journalismus weiter fortsetzen, egal ob bei Medienmarken oder auch bei Journalisten, die meinen, es reiche aus, eine „Marke“ zu sein, ist Beleg genug für die Annahme, dass die Optimisten in ihrem Das-Ende-des-Mittelmass-Weltbild ein bisschen arg naiv sind.
Bei der ganzen Sache darf man auch die gewollte Verknappung von Sichtbarkeit der Facebook-Einträge ohne Bezahlung von Werbeanzeigen für Seiten nicht vergessen. Denn Facebook lebt nicht nur vom zeitlich langen Aufenthalt der Nutzer auf seiner Seite, sondern auch von den Werbeeinnahmen. Die Frage, die jeder für sich beantworten muß, macht man das Spiel mit oder nicht oder bis zu welchem Grad…
Sehr zutreffend. Leider ist FB halt auf Mobilschnäppchen unterwegs optimiert und deshalb kommentiert man eher da als hier. Läuft bei meinem Blog nicht anders…