Heute und morgen noch ein bisschen Fußball – und dann lange, sehr lange Sommerpause im Programm. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum wir uns irgendwann mal erinnern werden. An 2017. Das Jahr, in dem Fernsehen zu sterben begann. Read More
Bei Amazon kann man jetzt fernsehen. Schon klar, nicht das TV, das zumindest wir Älteren noch gewohnt sind. Das mit dem linearen Programm, in dem im Laufe der 24 Stunden eines Tages idealerweise mal alles vorkommt, was die unterschiedlichsten Menschen interessieren könnte. Stattdessen kann man via Amazon Prime und dem dort enthaltenen regulären Streaming-Dienst noch etliche zusätzliche Sparten-Kanäle abonnieren, teilweise schon ab 2 Euro pro Monat. In den USA sind bereits um die 100 Kanäle im Angebot. Nicht auszuschließen, dass das auch in Deutschland bald der Fall sein wird.
Netflix hat jetzt den teuersten Fernsehfilm ins Angebot genommen, den es jemals produziert hat. Angeblich hat „War Machine“ mit Brad Pitt rund 60 Millionen Dollar gekostet. Die Kritiken sind bisher zwar nicht gerade überwältigend, aber trotzdem: Wer in solchen Dimensionen denken und produzieren kann, ist längst mehr als ein „Streaming-Dienst“.
Weil wir gerade bei Netflix sind: Morgen startet die 5. Staffel des grandiosen „House of Cards“, ebenfalls eine Eigen-Produktion. Aus etwas kuriosen Gründen erst später bei Netflix in Deutschland zu sehen, dafür aber schon jetzt bei iTunes und bei Sky. Wenn Sie sich die Zeit bis dahin vielleicht mit dem fabelhaften „Narcos“ vertreiben wollen?
Man könnte das Spiel endlos fortsetzen. Um dann irgendwann eine Rechnung aufzumachen, eine sehr persönliche: Wie viel Zeit verbringe ich eigentlich noch mit linearen Programmen? In meinem Fall lautet die Antwort für die zurückliegende Woche: exakt 180 Minuten. Zwei Fußballspiele, von denen ich eines auch bei „Sky“ hätte schauen können.
Die Rechnungen, die man von Fernsehmenschen hört, sind natürlich andere: Unverändert schauen Menschen in Deutschland am Tag über zwei Stunden fern, statistisch gesehen zumindest. Was dabei nicht erhoben wird: Schauen sie wirklich oder lassen sie die Kiste nur laufen?
Lagerfeuer mit Fernsehen wird immer seltener
Und natürlich verweisen Fernsehmacher auch darauf, dass klassisches TV immer noch und immer wieder diese totzitierte Lagerfeuer-Funktion hat: Die Nation schaut gemeinsam Tatort, Dschungel und Fußball.
Allerdings: Diese Lagerfeuer werden weniger und seltener. Ein Trend, der sich fortsetzen wird. Weil natürlich alle Amazons und Netflix dieser Welt erkannt haben, dass man mit Sportrechten und anderen Live-Events noch mehr Leute auf die eigenen Plattformen holt. Fußball-WM bei Amazon? Klingt momentan abenteuerlich. Aber es klang auch mal abenteuerlich, dass man Musik bei Apple kauft und Filme bei Amazon oder Netflix streamt. Und wo genau werden nochmal die nächsten Olympischen Spiele zu sehen sein? Und wie lange wird es noch dauern, bis die Champions League vollständig im Pay-TV verschwindet?
Dabei passiert im TV inzwischen auch nichts anderes als das, was Zeitungsverlage schon lange merken: Digitalisierung bedeutet auch, dass sich Menschen immer individueller ihre Inhalte zusammenstellen. Digitalisierung und General Interest, das ist ein Widerspruch per se.
Schon klar, natürlich braucht eine Gesellschaft eine inhaltliche Klammer, die sie zusammenhält. Natürlich sind Medien sehr oft die eine Grundlage, über die Menschen zusammenkommen. Trotzdem: So wie Medien fragmentieren, fragmentiert auch eine Gesellschaft (gut möglich, dass es auch genau umgekehrt ist). Nirgendwo steht geschrieben, dass Meinungsbildung über ein paar Verlage oder Sender zu geschehen hat. Und nirgendwo steht geschrieben, dass es unbedingt besser ist, wenn es statt vieler kleiner Filter Bubbles nur ein paar wenige große Blasen gibt.
Das Problem, das lineare Programme haben, ist nahezu deckungsgleich mit dem der Zeitungen und eigentlich auch vieler anderer klassischer Medien: Sie kommen der Tatsache kaum hinterher, dass Menschen nunmal ziemlich individuell sind. Vor allem dann, wenn es um Medienkonsum geht. Man will nicht etliche andere Sachen mitkonsumieren müssen, wenn man eigentlich nur einen speziellen Film, eine Serie, ein Event sehen will. An dieser Idee ist übrigens schon vor 15 Jahren das „Premiere“ in der Idee des Leo Kirch gescheitert: Man muss ungefähr allen anderen Pay-TV-Schrott mitkaufen, um irgendwo in diesem Paket dann den eigentlichen Grund für das Abo zu finden: Fußball. Da sind sie bei „Sky“ heutzutage schon ein bisschen cleverer: Wer nur Fußball will, kauft halt auch nur Fußball.
Man schaut und liest, was man schauen und lesen will…
Das ist der entscheidende Wandel, den Medien und mittlerweile auch Fernsehen hinnehmen müssen: Das Thema Personalisierung spielt eine immer größere Rolle. Menschen schauen und lesen das, was sie lesen wollen. Dafür geben sie auch Geld aus. Wofür sie immer weniger Geld ausgeben: Angebote, bei denen sie sich für eine Großteil der Inhalte nicht interessieren, nur um an ein paar wenige Dinge zu kommen.
Beim Thema Fernsehen spielt das sogar noch eine größere Rolle als bei Zeitungen. Weil die wenigstens darauf verwiesen können, eine inhaltliche Klammer um einen Tag , eine Woche, einen Monat anzubieten. Weil sie Orientierung bieten und weil sie zurecht darauf verweisen, dass man manchmal mit ihnen Dinge entdeckt, von denen man vorher nicht mal geahnt hat, dass sie interessant sein könnten.
Das alles ist beim linearen TV nicht mehr der Fall. Bei den allermeisten sehr hasenfüßigen Programmen, wie sie in Deutschland inzwischen zumeist ausgestrahlt werden, schon gar nicht. Fernsehen in Deutschland setzt zumeist auf das, was es schon immer gab. Serien wie „Breaking Bad“ oder „House of Cards“ hätten in deutschen Standard-Kanälen kaum eine Chance gehabt, weil: Man muss ja immer für alle und den Massengeschmack da sein.
Und deswegen gibt es weiter jeden Abend einen Kommentar in den „Tagesthemen“, weil man das halt so macht. Es markuslanzt im ZDF, weil der da schon immer war. Im Privat-TV machen immer öfter Zyniker Programm für Voyeure, weil es so viele davon gibt.
Das alles ist nicht mehr sehr lukrativ. Nicht dann, wenn es mittlerweile für vergleichsweise wenig Geld deutlich spannendere Alternativen gibt. Bei Amazon ist das Streaming im Prime-Angebot gleich mal mit drin, einen Netflix-Account für knappe 10 Euro im Monat leistet man sich schon mal. Dazu muss man weder zu irgendeiner digitalen Avantgarde gehören noch zu den Besserverdienenden.
Mein Programm am Mittwoch übrigens: Folge 8 , Staffel 3 von Better Call Saul. Und dann endlich: House of Cards, Staffel 5.
Keine Ahnung, was sonst so im Fernsehen kommt.