Die Medienwelt hat sich rasend weiterentwickelt – und das Loch zwischen alter und neuer Welt wird immer größer statt kleiner. Ausgerechnet „Spiegel Daily“ zeigt, wie weit sich die Denkweisen auseinander entwickelt haben…Read More
Einmal am Tag, genau um 17 Uhr, will „Spiegel Daily“ die Welt anhalten. Kurz durchschnaufen, wenn das Tageswerk des klassischen 9to5-Werktätigen beendet ist. Auf dem Weg nach Hause ein Blick aufs Smartphone. Schauen wie der Stand der Dinge ist, sich die Welt auch mal ein bisschen erklären zu lassen, als sie nur in Häppchen wahrzunehmen. Mit 7 Euro ruft man dafür einen sehr, sehr moderaten Preis auf, zumindest auf den ersten Blick: Sind Tageszeitungen nicht deutlich teurer?
So weit als Zusammenfassung das in den vergangenen Tagen immer wieder erläuterte Geschäftsmodell des Spiegel-Ablegers, nachdem es zum Launch dann doch einiges an Kritik gegeben hatte (u.a. hier, hier und hier). Eine „smarte Abendzeitung“, wie es vom Spiegel heißt. Nur nicht gedruckt, das wäre ja albern. Sondern als Web-App, insbesondere orientiert am modernen Smartphone-Menschen von heute.
Doch genau daran hakt die ganze Geschichte: Spiegel Daily basiert auf einer Idee, die man 1997 hätte spannend finden können.
Die Idee gibt´s schon lange und heißt: Newsletter
In meinem Postfach haben sich in den vergangenen Jahren wieder eine ganze Menge Newsletter angesammelt. Ich dachte vor gar nicht allzu langer Zeit noch, Newsletter seien eine sterbende Gattung. Inzwischen aber sind sie eine journalistische Kunstform, mitunter sogar das Highlight eines ganzen Mediums: Der Newsletter von Kurt Kister am Freitag Nachmittag beispielsweise ist gelegentlich die beste Geschichte der Wochenend-SZ. Daneben habe ich: den morgendlichen und abendlichen Newsletter der SZ, ein paar Newsletter der NZZ, der NYT und noch einiges mehr.
Dadurch hat sich übrigens auch meine Medien-Nutzung geändert: Früher® habe ich mich morgens erst mal durch die Nachrichtenseiten meines Vertrauens gewühlt und dann ein paar Mal am Tag reloaded. Vorbei, diese Zeiten. Morgens lese ich meine Newsletter, lese die Geschichten, die mich interessieren – und weiß ja ansonsten, dass ich mit meinen diversen Timelines in sozialen Netzwerken eine verlässliche Nachrichtenquelle habe. Abends dann noch mal das gleiche Spiel.
Nebenbei bemerkt: Das ist deutlich entspannter und auch zielführender als das vorherige klassische Surfen, bei dem ich mich dann doch öfter einfach mal verloren und am Ende gewundert habe, wie zur Hölle ich eigentlich da landen konnte, wo ich am Ende landete.
Klar jedenfalls ist: Im Zeitalter von Newslettern, Push-Meldungen und sozialen Netzwerken sind die Seiten-Reloader vermutlich nur noch eine Minderheit. Kein Mensch muss mehr dreimal am Tag auf Spiegel Online gehen, um einigermaßen auf dem Stand zu bleiben. Man muss eigentlich überhaupt nirgendwo mehr hingehen, zumindest nicht im Sinne einer proaktiven Suche.
Die Idee der „smarten Abendzeitung“ hat also ein sehr grundsätzliches Problem: Sie will eine Lücke füllen, die es de facto nicht gibt. Und sie will eine Idee als neu verkaufen, die es ebenfalls schon gibt. Sie heißt Newsletter. Diese Dinger, die inzwischen sehr viel mehr sind als nur Linkschleudern. Die Idee einer Mini-Tageszeitung hat sich hier schon lange durchgesetzt.
User zahlen nur noch für echten Mehrwert
Gleichzeitig zeigt „Spiegel Daily“ auch auf, vor welchem Problem wir bei der Finanzierung von Journalismus stehen: Es ist nicht so sehr die Frage, ob Menschen überhaupt bereit sind zu zahlen. Die Frage ist eher: Für was sollen sie zahlen? Bei „Spiegel Daily“ zeigt sich auch noch anderes. Dass nämlich erstens der Preisvergleich mit der Tageszeitung Unsinn ist. Schon alleine deswegen, weil „Spiegel Daily“ gar keine Tageszeitungs-Konkurrenz ist und insofern bei einem Pricing in Tageszeitungs-Dimensionen völlig chancenlos wäre. Und zweitens: Preise sind relativ.
In absoluten Zahlen gemessen sind 7 Euro im Monat nicht viel. Die Frage ist allerdings: Hat ein Produkt einen solchen Mehrwert, dass es mir diesen Preis auch wert ist? „Spiegel Daily“ ist also als Ding, das einmal am Tag die Zeit kurz anhält, eher in die Kategorie der Newsletter zu setzen. Zahlt man für einen etwas bunteren, umfangreicheren und multimedialen Newsletter ernsthaft 7 Euro? Und bekommt man tatsächlich bei „Spiegel Daily“ irgendwas, was man sonst nicht auch bekäme?
Unfreiwillig zeigt „Spiegel Daily“ auch noch ein anderes Problem auf: User denken nicht mehr in diesen Tageszeitungs-Kategorien, zumindest nicht, wenn sie im Netz unterwegs sind. Der „Spiegel“ allerdings tut es; so unfreiwillig komisch, dass man fast schon wieder lachen muss. Die „Daily“-Welt existiert nämlich nur von Montag bis Freitag. Samstag und Sonntag gibt es keine Ausgaben. Was zur Folge hat, dass „Spiegel Werk-Daily“ am Montag nachmittag den folgenden lustigen Anblick bietet:
So also wollen sie beim „Spiegel“ die digitale Welt erobern: Mit einem Innehalten von Montag bis Freitag und dem klassischen 70er-Jahre-Wochenende, an dem Vati der Familie gehört und sich sonst nix tut auf der Welt. Liebe Leute in Hamburg, bei den Tageszeitungen denken sie intensiv darüber nach, wie sie diese verdammte Sonntagslücke geschlossen bekommen, wie sie das ganze Wochenende über relevant bleiben. Die FAZ und die Welt und die Bild haben eine Sonntagsausgabe, die SZ ein „Buch zwei“ und eine digitale Samstag-Sportzeitung, die taz hat die „Sonntaz“. Und ihr? Teasert am Montag nachmittag, dass am Wochenende Bundesliga ist?
Nebenher sendet Spiegel Daily damit ein an das die Netz-Rhythmen gewohntes Publikum fatales Zeichen aus: Hier passiert geschlagene 72 Stunden lang – nichts. Digital-Journalismus im Jahr 2017…
Schon klar, vermutlich werden sie beim „Spiegel“ darauf verweisen, dass „Spiegel Online“ ja daueraktuell rund um die Uhr und natürlich auch am Wochenende ist. Aber genau das ist die Crux mit diesem Netz: Das daueraktuelle umfangreiche Angebot ist kostenlos, für den werktäglichen Newsletter wollt ihr Geld? Muss man nicht verstehen, oder?
Journalismus muss erklären, aber nicht innehalten
Journalismus im Jahr 2017 heißt also: „Innehalten“ ist Unfug, weil die Welt auch nicht innehält. Schon gleich gar nicht auf diesen Smartphones, auf die es die „Daily“-Truppe ja sehr offensichtlich abgesehen hat. Selbst dieser offenbar als Zielgruppe auserkorene 9to5-Mensch schaltet doch nicht am Freitag Nachmittag sein Handy aus. Selbst der will wissen, was gerade los ist auf der Welt. Und nicht nach einer 72-Stunden-Unterbrechung.
Der Irrglaube, dem der Spiegel unterliegt: Natürlich gibt es Bedarf dafür, neben den atemlosen Newsstreams auch mal die Welt verstehen zu wollen. Ausgerechnet der „Spiegel“ hat im Übrigen ein solches Produkt im Portfolio, das jede Woche einmal erscheint. Natürlich funktioniert das auch im Netz. „Zeit Online“ macht es beispielsweise jeden Tag vor.
Aber dieses Bedürfnis nach Analyse, Hintergrund, Kommentar ist nicht an Uhrzeiten gebunden. Sondern an Anlässe. Mit welcher Logik sagt man also, man halte die Welt nur an Werktagen einmal an und am Wochenende dann nicht? Und wieso genau um 17 Uhr? Und warum ohne Updates? Ein abgeschlossenes Produkt in einer Zeit, in der bei uns Journalisten gerade die Erkenntnis reift, dass es abgeschlossene Geschichten eigentlich nicht mehr gibt?
Dahinter steckt immer noch das Grundverständnis eine sehr alten und sterbenden Medienwelt. In der es noch „tagesaktuellen“ Journalismus gibt. Und in dem man die Welt anhält, wahlweise morgens um 7 am Postkasten mit der gedruckten Zeitung oder abends um 5 mit „Spiegel Daily“.
Natürlich muss man mit Prognosen nach gerade mal einer Woche sehr vorsichtig sein. Zumal immer noch genug Zeit zum Nachjustieren ist. Aber wenn nicht nachjustiert wird, wenn das Produkt so bleiben soll: Dann wird „Spiegel Daily“ grandios scheitern und das nicht mal unverdient. Ich habe selten ein weniger durchdachtes und lustloser gemachtes Projekt gesehen wie dieses.