Tageszeitungen aus den USA machen gerade eine befremdliche Erfahrung: Da investieren sie fleißig ins Netz – und die Investitionen sind ein ziemlicher Flop. Eine Erfahrung, die vermutlich auch einige Kollegen in Deutschland kennen. Das Problem ist aber nicht das Netz. Man kann nämlich auch schlicht falsch investieren und entwickeln…Read More
Haben wir es doch gewusst – alles Mist mit diesem Digitalkram! Da haut man jede Menge an Kohle in dieses Zeugs, von dem die Nerds und die anderen hippen Typen immer so schwärmen und dann kommt nix rum dabei.
Zahlen aus den USA geben dem vordergründig recht: Die Tageszeitungen dort holen das, was sie ins Netz investieren, nicht mal vom Ansatz wieder rein. „Die Lösung, die zum Problem wurde“, schreibt das Fachmagazin „4c“ aus Wien. Und weiter: Tageszeitungen hätten zu einem beträchtlichen Teil Stammleser aus dem analogen Geschäft vergrätzt und auf digitaler Seite nur sehr wenig hinzugewonnen.
Achtung, Phrasengefahr: Die USA sind nicht Deutschland. Trotzdem kann man sich gut vorstellen, wie nicht ganz wenige deutsche Verlagsmenschen angesichts dieser US-Erkenntnisse sagen, so sei das eben. Web für Verlage, das taugt nix.
1. Mit angezogener Handbremse fährt es sich schlecht
Jaja, stimmt schon: Gemessen an der Skepsis, mit der viele Regionalblätter noch vor wenigen Jahren in den Untiefen des Netzes unterwegs waren, sind sie inzwischen zu richtiggehenden Digital-Enthusiasten geworden. Aber trotzdem, digitale Überzeugungstäter sind in den meisten Verlagshäusern immer noch in der Minderzahl. Man macht es halt, weil man es machen muss. Und weil alle es so machen und weil man sich als common sense neuerdings sogar in der konservativsten Kreisen darauf einigen kann, dass die Zukunft irgendwas mit digital ist.
Das führt am Ende dazu, dass man das Fahrzeug zwar irgendwie in Bewegung setzt, die Handbremse aber angezogen bleibt. Das macht sich in einer ganzen Reihe von Dingen fest.
Beispiel Personal: Noch immer sind „die Onliner“ in vielen Häusern in der Unterzahl. Teilweise sind sie sogar eine verschwindend geringe Minderheit, gemessen an den Print-Kollegen. Dass aus Print- und Onlinekollegen irgendwann mal ausschließlich Digital-werden, die auf allen Kanälen firm sind, ist in vielen Fällen ein frommer Wunsch, der mit der Realität nicht sehr viel zu tun hat. Nebenbei bemerkt: Darüber, dass Onliner häufig immer noch schlechter bezahlt werden als die Print-Kollegen (auch in sehr, sehr großen Häusern übrigens) redet man ja kaum mehr. Aber es zeigt eben auch, wie niedrig der Stellenwert der Onliner vielfach immer noch ist.
Beispiel Investitionen: Man hat zwar eine Idee, wie digitaljournalistisches Storytelling aussehen könnte, verbringt aber dann vergleichsweise viel Zeit damit, Investitionen im dreistelligen (!) Bereich zu diskutieren. Nun ist Sparsamkeit natürlich eine Tugend und für Manager zudem. Aber gerade solche Beispiele zeigen immer wieder, dass der Stellenwert des Digitalen immer noch zu gering ist. Vergleicht man Investitionen beispielsweise in Drucktechnik mit denen, die man für ein bisschen Hard- und Software benötigt, dann bemerkt man die latente Grundhaltung: Digital grundsätzlich ja, nur kosten soll es halt möglichst wenig.
Beispiel Workflows: Nach wie vor machen meistens die Print-Kollegen ihren Print-Job und wenn dann noch was übrig bleibt, bekommen auch die Onliner was. Natürlich sind die Onliner inzwischen deutlich mehr geworden und sie müssen inzwischen bei Redaktionskonferenzen auch nicht mehr am Katzentisch als geduldete Zuhörer sitzen. Aber dass Journalisten vom Thema her denken, dass sie tatsächlich alle Kanäle im Visier haben und demnach auch alle Workflows danach ausgerichtet sind – Fehlanzeige.
Und ganz nebenher versuchen viele, nicht nur einfach mit dem gleichen Personalstand mehr zu produzieren. Im Gegenteil: Personal ist abgebaut worden.
Dabei gilt ein ganz einfaches Prinzip: You don’t do more with less. You do less with less.
2. Aktionismus ist noch lange keine Strategie
Und ja, auch das stimmt: Tatsächlich hat sich die Zahl der digitalen Aktivitäten in nahezu allen Verlagen erheblich gesteigert. Man muss fast niemanden mehr davon überzeugen, dass eine Webseite unverzichtbar ist, dass man irgendwas mit sozialen Netzwerken machen muss und ein paar mobile Applikationen auch nicht schlecht wären.
Was allerdings sehr häufig fehlt: eine Strategie, die diesen Namen auch verdient. Eine Idee, die darüber hinaus geht, eine Website und ein paar Social-Media-Kanäle zu betreiben. Fast immer, wenn ich mit Kollegen aus den entsprechenden Häusern zusammenkomme und sie nach ihrer Strategie frage, stelle ich als Anschlussfrage: Und was wollen Sie damit erreichen? Spätestens da erlebe ich einen erstaunlichen Mix aus „Wir müssen ja auch im Netz präsent sein“ und „Die Zukunft ist digital“. Beides ist löblich und auch nicht von der Hand zu weisen. Aber eben auch: keine Strategie. Am Ende müsste nämlich die Beantwortung einer Grundsatzfrage stehen: Welche Rolle spielen Tageszeitungen künftig noch? Und falls sie eine spielen: In welcher Form?
Ein noch sehr viel deutlicherer Indikator: Echte Strategen, die sich ausschließlich mit digitaler Zukunft, mit Produkt- und Unternehmensentwicklung beschäftigen, sind immer noch rar. Bei vielen Regionalzeitungen gilt es bereits als Ausweis besonderer Fortschrittlichkeit, wenn man einen Onliner in die Chefredaktion holt – danach muss dann aber auch wieder gut sein. Bis wir den ersten ausgewiesenen Onliner an der Spitze einer solchen Redaktion sehen, das wird vermutlich noch dauern. Was, zugegeben, vermutlich auch daran liegen könnte, dass ein richtig guter Onliner wenig Lust verspüren wird, gedrucktes Papier weiterzuentwickeln.
3. Das Netz muss man verstehen
Das Netz ist nicht die Fortsetzung der Zeitung mit anderen Mitteln. Unter Menschen, die sich sicher und viel im Netz bewegen, braucht man einen solchen Satz nicht sagen, weil er viel zu banal ist, um ernst genommen zu werden. In nicht ganz wenigen Verlagen müsste man ihn hingegen an alle Flure tackern. Weil man dort immer noch in Kategorien denkt, die im Netz keine oder nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Solche Sachen wie abgeschlossene Artikel beispielsweise. Den Journalismus des digitalen Zeitalters macht allerdings eben auch aus, dass eine Geschichte potenziell nie so richtig fertig ist und dass man Kanäle im Laufe der Zeit dafür immer wieder wechseln muss. Digitales Storytelling eben, das den kurzen Moment genauso umfassen kann wie das langfristige Projekt.
Dazu gehört auch die Frage, wie man neue Produkte und Projekte entwickelt. Auch hier das alte Spiel: Häufig denken Regionalverlage in der Kategorie der abgeschlossenen Produkte, die man ordentlich entwickelt, fertig stellt und mit denen man dann am Ende gemäß eines Plans Geld verdient. Dass im Netz vieles mittelfristig gar nicht planbar ist, dass trial and error zu den Grundprinzipien digitaler Entwicklungen gehört – das mag zwar in der Theorie schon angekommen sein. Ich würde trotzdem wetten: In drei von vier Verlagen würde man damit bestenfalls Stirnrunzeln ernten, würde man die Herangehensweise an ein neues Projekt so beschreiben.
Das ist, ganz im Ernst, vermutlich eine Sache einer tief verinnerlichten Kultur. Regionalzeitungen sind über Jahrzehnte gut mit dem genauen Gegenteil solcher Netzkultur gefahren: So wenig Veränderung wie möglich, das bewährte Projekt nur in homöopathischen Dosen verändern und das Geschäftsmodell schon gleich gar nicht. Wer teils über Jahrzehnte in einer solchen Kultur groß geworden ist, von dem kann man schwerlich verlangen, dass er plötzlich zum echten Nerd wird. Blöd nur, dass man die Zeit, in der man in einer solchen Kultur neue Ideen und Projekte entwickelt, im Regelfall gar nicht hat. Ich kenne Häuser, in denen man langsam anfängt, sich in Projektgruppen mit Instagram oder WhatsApp zu beschäftigen. Währenddessen ziehen gerade mit sprachgesteuerten Geräten, virtuellen und gemixten Realitäten und künstlichen Intelligenzen die nächsten Dinge herauf.
Was das in der Praxis bedeuten wird? Die Arbeitsgruppen Instagram und WhatsApp präsentieren erste Ergebnisse, während anderswo gerade die neuen Skills für Alexa entwickelt werden. Genau dieses Gap macht das Leben für Regionalzeitungen so furchtbar schwierig.
4. Die Zeit ist den Tageszeitungen davon gelaufen
Man kann sich darüber streiten, wann das Internet begann, das Internet zu werden, von dem wir heute sagen, dass es als Medien- und Kommunikationskanal zum Mittelpunkt von ungefähr allem geworden ist. Sicher ist nur: Die meisten Verlage haben den Startpunkt verschlafen. Und nicht nur das. Sie haben das Netz auch dann noch als Nebensache abgetan, als schon lange absehbar war, dass die Digitalisierung jeden noch so kleinen Bereich des Lebens berühren und vermutlich auch verändern wird.
Ein paar Beispiele: Seit ein paar Jahren freut sich die Branche regelmäßig über die steigenden Zahlen der E-Paper. Inzwischen sind es deutschlandweit über eine Million; die Steigerungsraten liegen im zweistelligen Bereich. Das ist nett, aber weitgehend sinnlos. E-Paper substituieren lediglich gedruckte Auflage, echtes Neugeschäft sind sie in den allerseltensten Fällen. Noch dazu sind E-Paper eine klassische Übergangstechnologie. Für Menschen, die aus den verschiedensten Gründen kein Papier mehr wollen, von der Idee der Zeitung, wie wir sie bislang kennen, auch nicht lassen mögen. E-Paper haben keinerlei Entwicklungspotenzial und werden enden wie MP3-Player: ein erster Schritt in eine digitale Welt, aber nach einer gewissen Zeit völlig sinnlos. Davon abgesehen: E-Ppaper machen rund 6 Prozent der Gesamtauflage der deutschen Tageszeitungen aus. Ein klassisches Nischenprodukt also. Mit digitaler Strategie und Entwicklung haben sie dauerhaft nichts zu tun.
Oder soziale Netzwerke. Klar gibt es inzwischen fast kein Blatt mehr, das nicht irgendwie bei Facebook ist, sich bei Twitter tummelt oder Fotos bei Instagram postet. Aber immer noch sind soziale Netzwerke sehr häufig ein Platz, an dem man schnell ein paar eigene Geschichten ablädt und darauf verweist, was es im eigenen Blatt oder der eigenen Webseite Tolles gibt. Dass soziale Netzwerke inzwischen längt eigene Plattformen für Geschichten und somit auch Lebensräume in des Wortes Sinne geworden sind, merkt man vielen Tageszeitungen immer noch nicht an.
Oder das Thema Mobile: Wie viele Blätter gibt es eigentlich, die sich wirklich intensiv mit dem Überthema schlechthin beschäftigen? Die Ideen und Angebote entwickeln, die mehr sind als mittelgut mobiloptimierte Spiegelungen der Webseite?
5. Negative Konnotation – oder: Wie uncool ist das denn?
Vermutlich wissen es die meisten wenigstens halbwegs aufgeschlossenen Zeitungsmenschen selber: Im digitalen Zeitalter bekommen sie langsam ein Image-Problem, vor allem beim potentiellen Leser-Nachwuchs. Eine Marke, bei der irgendwas wie „Blatt“, „Kurier“ oder „Post“ im Titel steht, suggeriert alleine dadurch schon ein gewisses Maß an Nichtganzsocoolsein. Das hat mit dem Namen zu tun, aber nicht nur: Das Blatt, das schon bei Mama und Papa gewohnheitsmäßig jeden Morgen auf dem Frühstückstisch lag, ist schnell man negativ konnotiert, wenn man doch an demselben Frühstückstisch schnell mal eben zum hippen Smartphone greifen kann. Dort warten zudem ganz andere Markenversprechen; alles mögliche, schnelle, coole, digitale. Bloß keine Post, kein Kurier, kein Blatt. Oder vielleicht sogar: keine Tageszeitungen.
Das kann man den Verlagen schwer zum Vorwurf machen. Es ändert aber nichts daran, dass sie bei einem Publikum, das früher mal schnell ein Abo gezeichnet hätte, tendenziell als ein Relikt aus vergangenen Tagen gelten. Zumal häufig auch die Digital-Aktivitäten so aussehen, als kämen sie von einem „Blatt“ oder einer „Post“.
Das alles zusammen macht die Geschichte für Regionalverlage unglaublich schwer. Und je mehr Zeit vergeht, desto mehr sind sie gefangen in der Spirale, die daraus besteht, immer mehr abgehängt zu werden und gleichzeitig genau aus diesem Grund immer weniger ins Digitale zu investieren.
Natürlich kommt da eine solche Geschichte wie die Erfahrungen der US-Blätter ziemlich entgegen. Wäre ja immerhin ein guter Grund, das ungeliebte Digital-Zeug nicht weiter auszubauen, wenn es ja ohnehin sinnlos ist. Und Tageszeitungen bleiben halt dann einfach Tageszeitungen.
Aber Strategien und Investitionen sind kein Selbstwert. Manchmal scheitern sie ja schon daran, dass sie die falschen sind.