Mit seiner „Enthüllung“ über die Vergangenheit einer AfD-Politikerin hat sich das Recherchebüro Correctiv ein klassisches Eigentor geschossen. Wenn man so mit Populisten umgehen will, hilft man ihnen eher. Wie Journalisten viel souveräner dem Populismus entgegnen können, zeigt ein aktuelles CBS-Interview mit Donald Trump…Read More
Mal angenommen, die Spitzenkandidatin der Grünen in Bayern (oder sonstwo in diesem Land) hätte eine Zeitlang als Prostituierte gearbeitet. Mal angenommen, das weiß niemand – außer einer Redaktion. Sagen wir beispielsweise: die der „Bild“. Und nehmen wir weiter an, ebendiese Redaktion würde diese Geschichte als exklusive „Enthüllung“ bringen. Na, was wäre wohl los?
Man muss den Gedanken gar nicht zum Ende bringen. Vermutlich wird er Ihnen schon beim Lesen einigermaßen absurd vorgekommen sein. Oder er weckt in Ihnen den Gedanken, dass man darüber doch gar nicht debattieren müsse, weil ja wohl klar sei, dass eine solche Enthüllung nichts mit Journalismus zu tun hat.
Hat sie aber leider doch. Es war allerdings kein Boulevardblatt, das diese Geschichte aufgetan hat. Sondern das gemeinnützige Recherchebüro „Correctiv“. Ja, ausgerechnet die. Bei denen die Fallhöhe schon alleine wegen des Namens ein kleines bisschen höher ist als bei anderen. Der Name ist schließlich Programm: Wer einen solchen Namen trägt, muss ja zwangsläufig erstens denken, dass es einiges zu „korrigieren“ gibt. Und dass er sich selbst durchaus dazu berufen fühlt.
Was würde man der „Bild“ oder wem auch immer alles um die Ohren hauen: beispielsweise, dass es nichts mit Journalismus zu tun hat, wenn man eine Vergangenheit aufdeckt, bei der niemand zu Schaden gekommen ist (außer vermutlich die Betroffene selbst), die nicht illegal ist und die von keinerlei öffentlichem Interesse ist. Keine Steuergelder im Spiel, mutmaßlich keine Drogen wie damals in der Causa Friedmann. Und nicht mal ein überrragendes Interesse an der Person: Bis gestern habe ich nicht mal gewusst, wer die AfD-Spitzenkandidatin in NRW überhaupt ist.
Der großartige Lorenz Meyer, dem Sie übrigens wirklich auf all seinen Kanälen folgen sollten, hat die Sache auf den Punkt gebracht:
Die Begründung von Correctiv: leider nur ein müder Witz
Die Begründung des Corretiv-Autors David Schraven ist leider ein müder Witz: Angesichts des Frauenbildes, das die AfD propagiere, eines Frauenbildes, das sich gegen Emazipation und auch die Emazipation von Prostituierten stelle…ja, was eigentlich? Muss man künftig über jeden privaten Fehltritt eines Politikers berichten, weil anzunehmen ist, dass seine Partei gegen solche Fehltritte ist? Nebenbei bemerkt: Da hätten wir künftig eine ganze Menge zu tun und müssten Geschichten über außereheliche Verhältnisse oder ähnliche Dinge in exorbitanten Mengen bringen.
Weiter schreibt Schraven zur Begründung, die AfD-Frau habe einen Teil ihrer Biographie verschwiegen. Lustige Idee: Soll im Flyer stehen, die Kandidatin sei früher Prositutuierte gewesen? Und falls ja, lieber David Schraven, können Sie mir bitte mal entsprechende Vorlagen anderer Kandidaten zeigen? Im Übrigen hatte Schraven dann auch noch geschrieben, Geheimnisse machten erpressbar. Mag sein, aber das hat sich ja nun auch erledigt. Nebenher könnte man damit auch jede außereheliche Affäre enthüllen mit der Begründung, der Mensch mache sich schließlich erpressbar.
Davon abgesehen: Es ist natürlich schon lustig, wenn David Schraven sich über das Frauenbild der AfD aufregt, gleichzeitig aber eine Geschichte über eine Prostituierten-Vergangenheit als „Sexskandal“ verkauft. Das klingt nach einem derart muffeligen Frauenbild, dass man auf den ersten Blick jetzt nicht erkennt, wo genau Schraven der Welt aufgeschlossener gegenübersteht als diejenigen, die er kritisiert.
Sowas passiert, wenn Journalisten moralisierende Schulmeister spielen
Aber vielleicht ist dieser erstaunliche journalistische Ausrutscher von „Correctiv“ eine passende Gelegenheit, um mal wieder darüber zu sinnieren, was die Aufgabe des Journalisten ist – und was nicht. Sie wissen schon, Hajo Friedrichs und das totgenudelte Zitat, dass sich Journalisten nicht mit einer Sache gemein machen sollten; selbst mit einer guten nicht. Die Correctiv-Geschichte – darauf wette ich ziemich viel Geld – wäre nicht erschienen, wenn man sich nicht insgeheim gefreut hätte, der AfD mal ordentlich eins reinwürgen zu können (konnte man ja nicht ahnen, dass die Sache ein solches Eigentor wird). Wenn Journalismus zur ideologiegetriebenen Schulmeisterei wird, läuft irgendwas falsch.
Aber müssen, sollen, dürfen Journalisten nicht auch Haltung haben? Natürlich dürfen sie das. Journalismus ist immer eine subjektive Angelegenheit. Es wäre naiv zu glauben, dass das tägliche Produkt des Journalismus nicht auch durch Haltung entstehen würde. Halbwegs schlaue Menschen wissen das, die anderen, denen das nicht in den Kopf passt, brüllen dann halt Lügenpresse oder werden US-Präsidenten.
Aber Haltung heißt nicht, dass journalistische Grundsätze über den Haufen geworfen werden. Genau das hat Corretiv aber getan: eine absolut private Sache, die nicht einmal illegal ist, politisch instrumentalisiert.
Natürlich ist das eine Verlockung, zumindest dann wenn man nicht gerade überzeugter AfD-Anhänger ist. Eine Steilvorlage, zumal, zumindest in meiner Filter Bubble, die AfD gerne als eine Art Existenzberdohung für die gesamte Demokratie betrachtet wird.
Entspannt euch, wir werden auch die AfD überleben
Ich seh´s gelassener. Amerikanischer sozusagen. Dort drüben geht das Verständnis von Demokratie und Meinungsfreiheit weit über unseres hinaus. Dort darf jeder buchstäblich sagen und glauben, was er möchte. Selbst Dinge, die in Deutschland vergangenheitsbedingt völlig undenkbar wären (zurecht übrigens). Selbst dem haltungsbeseeltestem Journalisten würde es ganz gut tun, die Dinge ähnlich zu sehen.
Ich habe nicht die geringsten Sympathien für die AfD. Ich würde mir wünschen, sie schaffen es nicht in den Bundestag, würde es aber keineswegs für ein Drama halten, wenn sie es doch schafft. Ich glaube, eine Demokratie und ein Parlament (und auch Jounalisten) müssen es aushalten, wenn sich dort eine Partei tummelt, mit deren Weltbild man so ganz und gar nicht konform geht. Die Grenzen dafür sind mit einer demokratischen Grundordnung gesetzt; die sind nicht verhandelbar. Alles andere? Meine Güte, wenn ein AfD-Alterspräsident den Bundestag eröffnen sollte, dann sucht bitte nicht nach Regeländerungen, mit denen man das doch noch verhindern kann. Die Welt und wir haben Schlimmeres überstanden als den Gauland.
Wie man als Journalist mit Populisten umgeht? Stellen wir sie auf allen Feldern, anstatt sie zu dämonisieren oder in die Nutten-Ecke zu packen. Gerade die AfD ist programmatisch ungefähr so sattelfest aufgestellt wie ein für seine Eitelkeit bekannter Bauunternehmer aus New York. Und der macht bei gezieltem, freundlichen, hartnäckigen Nachfragen meistens eine ziemlich schlechte Figur:
Ein letztes noch: Es ist ziemlich gut, dass es Corretiv gibt. Die Kollegen machen im Regelfall einen ausgezeichneten Job.. Dass diese Sache jetzt daneben gegangen ist, ist kein Grund, mal wieder den allgemeinen Untergang des guten Journalismus auszurufen.