Streaming-Angebote im Netz boomen, während TV immer öder wird. Kreativer Journalismus sammelt mal eben Millionen für seine Finanzierung ein, während konventionelle Angebote in Routine erstarren. Der Trend: Der digitale Wandel setzt enorme kreative Potentiale frei – nur nicht bei jedem…Read More
Wenn eine Sache mittelmäßig wird, hat das meistens zwei Gründe. Der erste: Routine. Und der zweite: der verzweifelte Versuch, möglichst vielen gefallen zu wollen. Beides zusammen ist eine garantiert tödliche Mixtur und bestens geeignet, jede noch so gute Idee irgendwann mal zuverlässig zu erledigen. Das sollte man wissen, bevor man mal wieder anfängt, über diese sogenannte Medienkrise zu sinnieren. Und dabei möglicherweise auch noch über die undankbaren User zu schimpfen, die alles immer nur kostenlos…lassen wir das.
Fernsehen beispielsweise (um mal über was anderes zu reden als Zeitungen, die kommen dann nachher noch). Es gibt in Deutschland kaum etwas Routinierteres als Fernsehen. Kaum etwas, in dem weniger riskiert wird und kaum etwas, was mehr Ritualen folgen würden. Der Fernsehabend in Deutschland folgt seit kurz nach dem Krieg der Idee, dass er um 20.15 Uhr zu beginnen hat und danach für Zerstreuung sorgt, die am besten niemanden ernsthaft aufregt. Danach kommen gerne Talkshows, die sendungsgewordene Routine schlechthin. In dieser Debatten-Simulation legen die immergleichen Menschen ihre immergleichen Positionen dar und am Ende geht der Zuschauer mit dem beruhigenden Gefühl ins Bett, dass er es ja schon immer gewusst hat (was auch immer).
Wenn Journalismus zur erstarrten Routine wird
Immerhin, könnte man jetzt einwenden, es funktioniert. Nach wie vor lassen Millionen Menschen das abendliche Programm über sich ergehen. Aus den unterschiedlichste Gründen: Vielleicht ist es Gewohnheit, vielleicht die Faulheit, sich nach was Besserem umzusehen. Es gibt vermutlich viele Gründe dafür. Nur einen wird man eher selten hören: den der echten Begeisterung. Wenn nicht gerade mal wieder Fußball kommt, schauen Leute Fernsehen, weil sie schon immer Fernsehen geschaut haben. Genauso sieht das Programm aus, das im Regelfall von denen gemacht wird, die es schon immer gemacht haben.
Ach, übrigens: Netflix hat dieser Tage bekannt gegeben, die Marke von 100 Millionen Kunden weltweit erreicht zu haben.
Was haben die Langeweile im deutschen TV und der Erfolg von Netflix und einigen anderen mit Journalismus zu tun? Mit Medienwandel und dem ganzen anderen Kram, um den es auf dieser kleinen Seite hier bevorzugt geht? Die Geschichte ist ein Sinnbild. Ein Sinnbild für mehreres.
Beispielsweise, dass digitaler Wandel keineswegs der große Zerstörer ist, der am Ende nur Verlierer zurücklässt. In ein paar Jahren werden Streamingdienste den durchschnittlichen Fernsehsender als das bessere Fernsehen abgelöst haben. Nicht nur, weil das Konzept VoD der linearen Idee überlegen ist. Sondern auch, weil diese Dienste inzwischen eigene Programme entwickelt haben, von denen sie in einer durchschnittlichen deutschen Anstalt nur träumen können. Wer sich heute mal eben durch die Angebote von Netflix oder Amazon klickt, findet ja nicht nur aktuellen Film- und Serienstoff, sondern auch großes eigenes Material. Wer einmal „Better call Saul“ oder „Narcos“ gesehen hat, dem tränen hinterher die Augen, wenn er einen Blick ins aktuelle Fernsehprogramm wirft. An Ostern, einer dieser Tage, an denen sich Sender oft besonders ins Zeug legen, hat beispielsweise SAT 1 „Der Teufel trägt Prada“ als den abendlichen Blockbuster verkauft. Das Ding ist 11 Jahre alt und so oft im TV gelaufen, dass durchschnittliche Zuschauer dort eine Textrolle spielen könnten.
Am Tag davor lief übrigens: Titanic.
Wäre es also sehr vermessen, wenn man behauptet, dass sich mit den neuen Anbietern auch ein neuer Kreativitätsschub breit gemacht hat? Dass es Serien wie „Narcos“ oder „Better call Saul“ nie gegeben hätte, wenn wir immer noch in den Strukturen des linearen TV leben würden?
Ohne Netflix hätte es große Serien nie gegeben
Und damit kommen wir dann noch zu unseren Zeitungen und zu all den anderen Ausprägungen des konventionellen Journalismus.
Die Tage habe ich mal wieder einen dieser Kommentare gelesen, die man immer wieder gerne hört, wenn es um dieses Internet geht. Es sei ja, schrieb da jemand, kein großes Wunder, dass die Menschheit immer mehr verblöde, wenn sich Debatten nur noch auf 140 Zeichen reduzieren. Und auch, wenn man sich mit Journalistenkollegen unterhält, hört man selbst im Jahr 2017 immer noch sinngemäß das Folgende: dass man natürlich schon auch wisse, dass die Zukunft des Journalismus irgendwie digital sein müsse. Aber dass gleichzeitig auch klar sei, dass man wirkliche „Qualität“ auf diesen ganzen Digitalkanälen nicht hinbekomme.
Vermutlich ist das die Falle, in die Menschen und demnach auch Journalisten immer wieder gerne laufen. Sie erkennen zwar irgendwann, dass sich Neuerungen nicht mehr aufhalten lassen. Gleichzeitig aber fänden sie es dennoch wunderbar, wenn am Ende nahezu alles so bliebe wie es war. Dabei ist genau dieses Beharren das größte Risiko auch für den Journalismus. Erstens kann man Dinge ja auch jahrelang falsch machen. Und zweitens steht am Ende einer solchen Haltung fast immer uninspirierte Routine.
Dabei ist die Sache im klassischen Journalismus auch nicht anderes als bei den erwähnten TV-Sendern. Diese digitale Explosion hat über die Jahre einen derart gewaltigen Schub an Kreativität ausgelöst, dass viele Sender und Verlage dagegen inzwischen buchstäblich alt aussehen. Schon klar, das Finanzierungsthema ist damit immer noch nicht vom Tisch. Aber was wird sich dauerhaft wohl eher finanzieren? Kreativität,Orginalität und Leidenschaft? Oder Routine, Verwaltungsjournalismus und eine Das-haben-wir-schon-immer-gemacht-Attitüde?
In der Schweiz ist übrigens gestern das Crowdfunding für ein unabhängiges Jornalistenprojekt (ähnlich wie in Deutschland die „Krautreporter“) gestartet. Das Funding-Ziel von 750.000 Franken war am ersten Tag nach wenigen Stunden erreicht.