Es könnte alles so einfach sein: Heute früh ist die Mail des zuständigen Kollegen der offensichtlich etwas erratisch kommunizierenden Tageszeitung gekommen – und siehe da, die Sache hat sich geklärt: Ich hatte nach einem Zustell-Reklamations-Formular gegoogelt und bin auf einem alten gelandet, das irgendwo noch im Nirvana des Netzes vorhanden war. Deswegen eine leere Antwort und das beim Leser zurückbleibende Gefühl, dass man sich nur sehr bedingt um ihn kümmert. Der Kollege hat eine ausgesprochen freundliche Mail geschrieben und schon ist alles wieder gut. Read More
Man sollte das trotzdem mitnehmen als Erkenntnis, wenn man heute eine Regionalzeitung macht (ganz egal, ob man im Verlag im Vertrieb, bei den Anzeigen oder in der Redaktion sitzt: Die Zeiten, in denen Zeitungen kleine regionale Königreiche waren, sind zu Ende. Im Gegenteil: Wenn man dort dauerhaft überleben will, muss man jeden Tag um Leser kämpfen. Was natürlich auch für eine Redaktion gilt. So abgedroschen es klingt, man kann halt einfach nicht mehr eine Zeitung aus den 90ern verkaufen wollen.
Dass der durchschnittliche Leser der Tageszeitung heute irgendwas fernab der 50 ist und ein richtiger Nachwuchs an Zeitungslesern nicht mehr nachkommt, kann man nicht einfach damit abtun, dass die halt dann alle später Zeitungsleser werden. Der Graben zwischen der digitalen Leserschaft und dem durchschnittlichen Zeitungsverlag (und ja, auch das: dem einen oder anderen Sender) ist so groß wie noch nie. Wer heute in sozialen Netzwerken unterwegs ist, mit Apps, Mobilgeräten und Live-Medien hantiert, dem muss eine klassische Tageszeitung oder auch lineares Fernsehen völlig fremd sein. Und den bekommt man auch nicht mehr zurück mit ein paar optischen Retuschen.
Die neue Tageszeitung
Weswegen ich, wenn ich schon dabei von, gleich mal ein paar Wünsche an die künftige „Tageszeitung“ aufschreiben möchte (versuchen kann man es ja mal):
- Macht eine echte Tages-Zeitung! Schon klar, der Begriff „Zeitung“ impliziert was anderes. Diese Sache mit dem Papier und dem Druck und den Lastwägen, mit denen man das täglich zum Leser fährt. Ja, sowas habe ich auch zuhause. Weil ich es mag, morgens zum Postkasten zu gehen, Nostalgie lässt grüßen. Ich mag die Idee auch immer noch, mich einmal am Tag zurückzulegen und mit Verstand zu lesen, was alles in den letzten 24 Stunden los war. Bitte erzählt mir aber in diesem Moment nicht einfach nur, was alles war! Das weiß ich schon. Und zwar seit gestern. Seid also bitte so nett und erklärt mir die Dinge. Klar könnt ihr mir weiter Nachrichten liefern, aber bitte der Situation, dem Kontext und dem Endgerät angemessen. Macht also ordentliche mobile Angebote, füttert mich mit Apps, mit sozialen Kanälen und meinetwegen sogar einer soliden Webseite. Seid präsent und seid das kommunikative Zentrum meiner Umgebung. Macht einmal am Tag eine Zusammenfassung und seid ansonsten eine buchstäbliche Tageszeitung. Nämlich 24 Stunden am Tag. Agiert mehr, reagiert weniger.
- Baut eine echte Community! Gerade im Lokalen. Da ist die Community nämlich schon da und muss nicht erst mühsam definiert und aufgebaut werden. Hört auf, euch einzumauern. Hört auf, eure Lokalredaktionen so stiefmütterlich zu behandeln, dass man den Eindruck gewinnen muss, Lokales sei für euch so eine Art Unterdeck auf einer Sklavengaleere. Schickt eure besten Reporter und Kommentatoren nach draußen. Richtig gehört. Raus zu uns, in diese sagenumwobene Community. Hört auf, mir langweilige Analysen zur Außenpolitik zu schicken. Ich will nicht wissen, was euer Politik-Chef zur Nordkorea-Krise sagt und wie euer Chefredakteur die Wahlchancen der Kanzlerin analysiert. Ich habe euch abonniert, weil ihr Kompetenz für meine Heimat mitbringt. Das ist eine so uralte Erkenntnis, dass man sich kaum traut, sie hier aufzuschreiben. Das macht sie trotzdem nicht falsch. Und redet mit uns. In Zeiten der prinzipiell unbeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten ist ein auf drei Sätze gekürzter Leserbrief im Blatt jetzt nicht gerade die Krone der Kommunikation.
- Macht uns Angebote (und weniger Vorschriften!) Zugegeben, ich habe ein paar spezielle Macken (aber auf der anderen Seite: Wer hat die nicht?). Ich würde beispielsweise gerne die Zeitung während der Woche digital und am Samstag gedruckt lesen. Das ist leider schwerlich möglich im Lande D. Genau genommen ist die gute, alte Tageszeitung ein Verfechter des entweder-oder. Umso mehr staunt man dann, wenn man beispielsweise die NYT abonniert und dann sieht, wie viele verschiedene Möglichkeiten es dort gibt. Man kann sich dort sogar entscheiden, ob man lieber mit oder ohne Kreuzworträtsel abonniert (ich hab mich für „ohne“ entschieden). Der Bestellvorgang für die verschiedenen Varianten ist denkbar simpel, ich bezahle dort übrigens via Paypal.
- Werdet zum Servicecenter unseres Alltags! Weil wir schon gerade bei der Times sind, die natürlich für eine mittelständische Regionalzeitung nur ein bedingt guter Maßstab ist: Bei der Times habe ich eine Rezeptesammlung angelegt und ein Textarchiv auch. Meines besteht übrigens hauptsächlich aus Geschichten der Rubrik „Smart Living“. So gesehen ist die Times also nicht einfach nur eine Zeitung, die ich abonniert habe. Sondern eine Anlaufstelle für ganz viele Dinge in meinem Leben; vom Kochrezept bis zu Trainingstipps für den Frühling. Vor allem da steckt für unsere Zeitungen noch eine Menge Entwicklungspotential. Welches Haus versteht sich eigentlich ernsthaft als ein solches Servicecenter? Ich gehe nahezu jede Wette ein: Würde man den Fokus eher auf solche Dinge legen, man würde es auch verschmerzen, wenn es zukünftig keine Leitartikel zu Afghanistan gäbe.
Also, auf geht´s Kollegen. Macht neuen Journalismus, neue Blätter. Seid spannend, neugierig, witzig, macht meinetwegen etliche Fehler dabei.
Nur langweilt mich bitte nicht.