Nach zwei Monaten als Abonnent einer Allerweltszeitung gebe ich wieder auf. Mit der Erkenntnis, dass weder dieses Internet noch die Umsonst-Kultur der größte Feind dieser Blätter sind. Viel gefährlicher: gelebtes Mittelmaß und eine erstaunliche Wurstigkeit in einer Branche, in der man so etwas Altmodisches wie Leidenschaft immer noch gut gebrauchen könnte. Read More
In Gunter Duecks neuem und wie immer empfehlenswertem Buch „Flachsinn“ habe ich nur eine einzige These entdeckt, bei der sich bei mir Widerspruch geregt hat. Das Netz mit seinen Unmengen großartigen und manchmal auch fürchterlichen Inhalten bedeute gleichzeitig auch das Ende für das Mittelmaß. Dueck begründete dies damit, dass man im Netz erst eines tun müsse, um überhaupt wahrgenommen zu werden: auffallen!
Klingt nachvollziehbar auf der einen Seite. Auf der anderen Seite dachte und denke ich mir etwas ganz nüchtern-mathematisch-statistisches: Wenn man Mittelmaß als „Durchschnitt“ definiert, dann wird es immer Mittelmaß geben. Weil es auch immer einen Durchschnitt geben wird, egal wie hoch oder niedrig ein Niveau auch sein mag. Demnach also eine eher erstaunlich unlogische These eines Mathematik-Professors.
Ausgerechnet eine Heimatzeitung, die seit drei Tagen nicht liefert, nicht mit mir kommuniziert und die auch journalistisch eher dröge ist, hat mich jetzt darauf gebracht, dass Dueck doch Recht haben könnte mit dem bevorstehenden Ende des Mittelmaßes. Weniger aus einer mathematischen Logik heraus, sondern tatsächlich des Auffallens wegen.
Mein simpler Gedankengang heute morgen, als die Zeitung mal wieder nicht im Postkasten lag: Brauche ich das eigentlich? Natürlich nicht, weil kein Mensch mehr Tageszeitungen im wörtlichen Sinne braucht. Man leistet sie sich halt, weil man sie sich leisten will (oder weil man, wie so oft bei Regionalzeitungen, gerne wissen will, was daheim so alles nicht los ist).
Nächste Frage an mich selbst: Habe ich Zeit und Lust, in den täglichen Unmengen, die ich jeden Tag lesen, hören und schauen könnte, irgendwas per se und im Abo zu lesen? Nur dann, wenn ich es wirklich für unverzichtbar halte, für herausragend gut. Die Sache mit dem Auffallen eben. Irgendwelches mediokres, langweiliges Weg kriege ich an jeder Straßenecke im Netz hinterhergeschmissen. Und nicht nur das: Ich finde irgendwo im Netz, im Radio, im TV und sogar in der gedruckten Welt inzwischen auch so viel gutes Zeug, dass ich es in diesem Leben nicht mehr schaffen werde, das alles auch zu konsumieren. Mehr denn je heißt also Medienkonsum inzwischen auch zu entscheiden, was man alles nicht lesen will.
Die Verlage denken immer noch in Kosten-Kategorien
Und schließlich: Spielt es eine Rolle, ob das Angebot etwas kostet? Das ist vermutlich der größte Denkfehler, der immer noch gerne und vor allem in Verlagen gemacht wird. Dort glaubt man immer noch an die Geschichte von der Wunderheilung, nach der alles besser wird, wenn man den Menschen erst mal diese Kostenlos-Kultur ausgetrieben hat. Klar haben es Menschen gerne günstig und dass sie ein kostenloses Angebot einem kostenpflichtigen vorziehen, ist erstens keine neue Erkenntnis und zweitens auch keine, die Medien exklusiv für sich haben. Klar ist aber auch, dass es am Ende nur darauf ankommt, welchen Wert ein Angebot für einen Nutzer ganz persönlich hat.
Meine Entscheidung, die Regionalzeitung wieder aus meinem täglichen Medienmix zu werfen, war von Geld nicht wirklich beeinflusst. Sondern erstmal von der Frage nach Zeit und Nutzen. Hätte ich beides für mich anders beantwortet, hätte die Zeitung auch das Doppelte kosten dürfen. Es ist nur so: Wenn ich ohnehin keine Zeit und ein viel zu großes Angebot habe, dann ist die Beschäftigung mit einem mittelmäßigen Irgendwas tatsächlich Verschwendung. Allerdings nur sehr eingeschränkt von Geld. Und dafür umso mehr von Zeit. Von der wir alle ja, wenn es um Medien geht, ohnehin viel zu wenig haben.
Auffallen geht nur mit Leidenschaft und Begeisterung – Mittelmaß ist tödlich
Man müsste also, um wieder auf die Sache mit dem Mittelmaß im Netz zu kommen, tatsächlich auffallen. Beispielsweise mit auffällig guten Geschichten. Aber ich fürchte, das ist ein Anspruch, den sie in vielen Redaktionen der diversen Blätter aufgegeben haben, aus den unterschiedlichsten Gründen. Sei es Routine, seien es letzte Spurenelemente von Arroganz, seien es tatsächlich schwierige Rahmenverhältnisse. Aber egal, wohin ich komme, ich höre immer wieder sehr defensive Argumentationen. Im Sinne von: So schlecht sind wir doch gar nicht. Passt doch einigermaßen. Was ich vermisse ist so etwas Altmodisches wie Leidenschaft. Begeisterung und Feuer für einen Beruf, für ein Thema, für ein Blatt. DAS wäre wirklich mal auffällig.
Exemplarisch dafür: In den rund zwei Monaten, in denen ich die Heimatzeitung jetzt hatte, habe ich keine einzige wirklich schlechte Ausgabe gelesen. Das hat tatsächlich schon alles irgendwie so gepasst. Wenn es denn der einzige Anspruch an sich selbst ist, dass man keine gravierenden Fehler macht: ok, dass kann ich euch hiermit bescheinigen.
Aber das kann tatsächlich nicht alles sein: Irgendwie halbwegs passabel Journalismus zu machen, wenn um mich rum jeden Tag ein Feuerwerk gezündet wird. Eine Zeitung oder eine Sendung zu machen, von der ich kurz darauf nicht mehr weiß, dass es sie jemals gegeben hat. Irgendwas Normiertes, irgendwas, was der kruden Logik folgt, dass man es ja schon immer so gemacht hat. Das funktioniert nicht mehr. Nicht im Netz, nicht in Zeiten, in denen Veränderungen in einem noch nie gekannten Tempo und einer nie da gewesenen Menge passieren.
Deswegen stimmt das schon: Das Netz ist auf Dauer das Ende der publizistischen Mäßigkeit, der Weiter-So-Mentalitäten, der journalistischen Besitzstandsbewahrer, der gedruckten 80er Jahre und der gesendeten Bräsigkeit.
Und es ist nicht mal schade drum.
Ich leiste mir mein iPad-Abo der Süddeutschen Zeitung *gern*, da mir die App mit zeitungsähnlicher Wundertüten-Anmutung „kuratierte“ Qualitätsinhalte liefert, die ich mir sonst erst mühsam aus dem Netz zusammenklauben müsste. (Andererseits: Für das, was „daheim“ in Hamburg an für mich Relevantem passiert, ist das Internet eine bessere Adresse als eine Regionalzeitung.)
Lokale Themen müssen die Leute interessieren! Da mittelmäßigen Content abzuliefern ist politisch, sozusagen „Opium für das Volk“. Kampagnen-Journalismus wie ihn hier das Lokalblatt veranstaltet, rettet vor Abokündigungen der Mittelständler und anderer Interessensverbände (CDU, Katholische Kirche). Aber wer macht es? Wer kann es? Wem wird relevantes anvertraut? Die Facebook-Gruppe ist keine Lösung, kostenlose Stadtmagazine könnten es, wenn sie es wollten (die sind hier zumindest unabhängiger…). Alles andere, was im Lokalteil steht, könnte ein guter Algorithmus auch aus Twitter Tweets (mit einem Echtheitszertifikat und Geokodierung) zusammen stellen. Interessanter Weise steht gerade in den kleinen Randspaltenmeldungen viel, was man online gar nicht oder nur sehr schwer finden kann. Die Reichweite der Presse wird von Flohmarkt-Veranstaltern usw. evtl. überschätzt. Allerdings gibt es kein Onlinemedium, das so zuverlässig ist.
Und obwohl es sicherlich? viel zu entdecken gibt (und Native Advertising auch Zeit kostet und informativ sein kann und ehrlicher, als die sehr offensichtliche Unterstützung einer Partei zum Beispiel): Wenn ich meinem Bauchgefühl trauen kann, so passiert eben auch nicht jeden Tag etwas, das ein „Feuerwerk“ wert wäre.