Vermutlich gibt´s bald in jeder Redaktion Deutschlands irgendwas mit Faktenchecks. Trotzdem sollte man auf das vermeintliche baldige Ende der Fake News nicht allzu viele Hoffnungen setzen…
Erstmal so eine halb-philosophische Bemerkung: In der Natur des Menschen (und zwar tendenziell: jedes Menschen) liegt der ebenso absurde wie nachvollziehbare Reflex, dass man am liebsten das glaubt, was man ohnehin schon zu wissen meint. Kaum etwas ist so schwer wie der Versuch, etwas scheinbar der natürlichen Weltordnung (also: der eigenen) Widersprechendes als möglicherweise doch richtig anzuerkennen. Diese Woche beispielsweise habe ich leicht amüsiert an mir selbst und an vielen anderen in meinen diversen Timelines gemerkt, wie sehr man sich krümmen und verbiegen muss, um sich selbst einzugestehen, dass ausgerechnet Donald Trump etwas richtig gemacht haben könnte.
Read MoreTRUMP! AUSGERECHNET! Der hatte es uns allen, sofern wir nicht zu seinen Anhängern gehören, doch so wunderbar leicht gemacht. Was Trump macht, ist immer falsch, ignorant, dumm. So gesehen ist Trump für uns der größtmögliche Segen. Trump ruft keine Ambivalenz, sondern identitätsstiftende Abscheu hervor. Wenn mal ein Partygespräch stockt und wenn Sie in sozialen Netzwerken einen billigen Punktsieg davon tragen wollen, sagen Sie irgendwas gegen Trump. Funktioniert immer.
Wir glauben, was wir glauben wollen…
So ist das nicht nur in sozialen Netzwerken, sondern generell in Medien. Selbstverständlich gehören wir alle zum aufgeklärten Teil der Menschheit. Trotzdem: Wir lesen sehr viel lieber Texte, bei denen wir heftig mit dem Kopf nicken, als solche, bei denen man am liebsten Widerspruch in die Welt aufschreien möchte. Confirmation bias nennen Wissenschaftler den Hang, dass wir uns am liebsten in vorhandenen Meinungen bestätigen lassen wollen.
Wenn dieser Confirmation bias auch noch auf soziale Netzwerke und deren Funktion als riesige Echokammern stößt, wird´s schwierig. Der Mensch ist bequem, auch und vor allem beim denken. Und wenn da doch gerade so viele Leute sind, die einem bestätigend auf die Schulter klopfen und sich Journalisten-Beiträge finden, die das Weltbild ebenfalls untermauern – ja, wenn es doch gerade so schön ist, warum etwas ändern?
Das alles sollte man wissen, wenn man über das Thema „Fake News“ philosophiert und dann entrüstet beschließt, dagegen müsse wirklich etwas gemacht werden. Konkret führt diese Entrüstrung meistens zu der Überlegung, man müsste Fake News als Fake News entlarven, den gehörnten Konsumenten klarmachen, dass es sich um Fake News handelt und schließlich alle wieder auf den Weg zur Wahrheit bringen. Wenn das so einfach wäre, müsste der Prozess der Entfakeisierung Deutschlands innerhalb weniger Monate abgeschlossen sein.
Es gibt allerdings ein paar Gründe, die gegen diese Annahme sprechen.
Der erste: Wenn man jemand bekehren will – und sei es nur zu dem, was wir für unsere Wahrheit halten – dann muss derjenige wenigstens eine Minimalbereitschaft mitbringen, sich bekehren zu lassen. Wenn er aber gar keine Lust dazu hat, werden wir abblitzen wie Zeugen Jehovas in der Fußgängerzone.
Die zweite: Im Wesen von Filterblasen und Echokammern liegt es, dass sie die meisten aus dieser Komfortzone nicht raus wollen. Wir können also unsere gecheckten Fakten und auch unsere restlichen Wahrheiten gerne auf allen anderen Kanälen verbreiten. Wenn wir dort wieder nur die erreichen, die wir immer erreichen, ist das wie eine Jahreshauptversamlung bei den Zeugen Jehovas. (Bevor jemand schlaumeiern will: Ich habe keine Ahnung, ob Zeugen Jehovas eine Jahreshauptversammlung abhalten, vermutlich eher nicht).
Die dritte: Natürlich können wir auch in die Filterkammern der anderen eindringen und dort lautstark nach Umkehr, Buße und Läuterung rufen. Oder wenigstens versuchen, sie vom Gegenteil dessen zu überzeugen, was sie gerade tun und glauben. Denken Sie dabei aber bitte (um im Bild zu bleiben) an ein paar Zeugen Jehovas, die einen katholischen Gottesdienst crashen. Der Vorsatz ist ehrenwert, die Erfolgsaussichten eher mäßig.
Die vierte: Wahrheit ist relativ und manchmal ganz schön gemein. Siehe auch: Trump könnte ggf. etwas richtig gemacht haben.
Insbesondere die Sache mit den Echokammern und den mäßigen Erfolgsaussichten sind nicht mehr nur so eine Gefühlssache, sondern auch wissenschaftlich belegbar. In Perugia (der Ort, an dem sich die Konferenzkarawane nach Austin und vor der Republica gerade aufhält und behauptet, man müsse hart arbeiten) hat das „Nieman Lab“ ein paar interessante Gedanken zum Thema „Fake News“ vorgestellt.
Der vielleicht interessanteste: eine Untersuchung, ob und wie das Dementi einer Fake News auf der Webseite bzw. der Gruppe, in der sie entstanden ist, Interaktionen auslöst. Das Ergebnis ist auf einen simplen Nenner zu bringen: Das Dementi sorgt nur für einen Bruchteil der Aufmerksamkeit wie die vorhergegangene Fake News. Irgendjemand überrascht? Trotzdem nicht schlecht, wenn man sich diese an sich banale Erkenntnis vor Augen führt.
Fake News sind mehr Symptom als Ursache
Das zerstört nämlich die Hoffung, man könne jemanden mit der Wahrheit bekehren. Ich erinnere mich an ein 17000-Zeichen-Stück, in dem Stefan Niggemeier zu den Anfangstagen der „Krautreporter“ eine Unzahl von Behauptungen aus dem Ulfkotte-Pamphlet „Gekaufte Journalisten“ zerlegt hat. Das war ein löblicher Versuch und mit reichlich gecheckten Fakten hinterlegt. Das Stück war dann auch Tagesgespräch: bei den Krautreportern, in den Diensten von Meedia bis Turi und in gefühlt Abermillionen Beiträgen in den sozialen Netzwerken.
Das Buch wurde dennoch (aus Ulfkotte-Sicht) ein fulminanter Erfolg und hielt sich über Monate in den Charts. Das kann man Niggemeier schlecht zum Vorwurf machen. Es zeigt nur die Crux des Echokammern-Prinzips. Wir Journalisten haben es wahrgenommen. Die Ulfkotte-Armada und die Koppverlagsleser haben es entweder ingnoriert oder für einen weiteren Fake eines gekauften Journalisten gehalten.
Das Problem, wie in dieser Ulfkotte-Geschichte gut zu sehen, ist ja nicht einfach, dass jemand fragwürdigen Geschichten auf den Leim geht. Das Problem ist: Jemand hat ein Weltbild, saugt alles auf, was dieses Bild bestätigt – und lehnt alles andere ab. Selbst wenn es vermeintlich gecheckte Fakten sind. Da sind wir wieder bei dieser Geschichte mit dem Confirmation Bias. Natürlich heißt das nicht, dass man künftig jeden Fake stehen lassen soll, weil es eh nix nützt. Aber die Problematik geht sehr viel tiefer. Fake News sind nur ein Symptom, keine Ursache. Die Ursache sind auch nicht ein paar vermeintliche Eliten, die sich ein bisschen zu wenig um die abgehängten gekümmert haben.
Zu schnell zu viel, zu radikal: Warum sich Menschen überfordert fühlen
Ursachen dafür finden wir stattdessen dort, wo wir bisher das geheiligte Land vermutet hatten. In Tech-Zentren wie dem Silicon Valley beispielsweise. Nein, an dieser Stelle folgt jetzt nicht das wohlfeile Lamento über die Macht von Facebook, Google oder Apple, obwohl auch das seine Berechtigung hätte.
Das Problem ist eher eines der Haltung. Einer Haltung, die Fortschritt per se für gut hält. Einer Haltung, die Schnelligkeit und radikalen Wandel für grundsätzlich begrüßenswert hält und die von der Lebenswelt der allermeisten derart weit entfernt ist, dass man sich besser nicht wundern sollte, wenn sich zunehmend viele Menschen überfordert fühlen. Wer sich überfordert fühlt, neigt zu einfachen Lösungen, weil das Leben ohnehin schon kompliziert genug ist. Und wer sich erst einmal abgehängt fühlt, wird wenig Neigung verspüren, den Ideen deren zu folgen, von denen er sich gerade ziemlich schlecht behandelt fühlt.
Auch die schiere Menge an Inhalten hat damit zu tun, dass man sich jedes nur denkbare Weltbild zusammenzimmern kann. Früher waren es ein paar Medien, Tageszeitungen und Tagesschau, die für einen Grundkonsens gesorgt haben. Diesen Konsens gibt es nicht mehr. Nicht in einer Gesellschaft, in der man die Tagesschau für eine unter Tausende anderen Quellen halten kann. Und in der sich sicher jemand findet, der das genaue Gegenteil behauptet.
Die Neigung zur Verschwörungstheorie gibt es, seit es den Menschen gibt. Nur hat sich noch nie so schnell jemand gefunden, der sie auch verbreitet. Medienvielfalt hat ihre Schattenseiten; vielleicht muss man das auch mal akzeptieren. Weil diese Vielfalt auch bedeutet, dass für nahezu jeden blühenden Unsinn ein Eckchen Platz ist.