Diese Geschichte hier benötigt einen mittellangen Vorlauf. Ich habe mich sehr lange der Szene der Digitalisten sehr zugehörig gefühlt. Wenn jemand die Auffassung vertrat, zu viel flaches Zeug im Netz sei nicht allzu gesund, hat das bei mir schnell Reflexe ausgelöst. Ich dachte dann sofort an Menschen der Kategorie Manfred Spitzer, die grundsätzlich alles für gehirnschrumpfend halten, was nicht auf Papier oder noch besser Buchseiten gedruckt ist. Ich habe an eine Print-Kamarilla geglaubt, die aus reinem Eigeninteresse alles verhindern will, was digital ist. Meistens kam ich mir vor wie in den späten 70ern, in denen es gerne mal hieß, Fernsehen führe zur Totalverblödung. Flachsinn im TV also immer, nur im Netz nicht?
Read MoreInzwischen sehe ich die Sache etwas anders. Was nicht nur damit zu tun hat, dass ich inzwischen sicher bin, dass nicht unwesentliche Teile des heutigen Fernsehprogramms tatsächlich zur Sofortverblödung führen. Ich habe vielmehr in den letzten Jahren zu viele Dinge im Netz gesehen, die mich sowohl an den Protagonisten als auch der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit des Netzes schwerwiegend zweifeln haben lassen. Laut gesagt habe ich das nie. Sie dürfen das gerne Feigheit nennen, aber es ist tatsächlich nicht so ganz einfach, wenn man sich in einem Umfeld von potentiellen Netzmenschen bewegt und dann erklären möchte, warum man zu dieser ganzen Geschichte ein mittlerweile eher ambivalentes Verhältnis hat.
Inzwischen ist das einfacher geworden. Auch, weil beispielsweise Autoren wie der großartige Gunter Dueck (ganz sicher kein Fortschrittsverweigerer) ihr Unwohlsein formulieren. Duecks neues Buch trägt mit „Flachsinn“ einen Titel, der dann auch schon das schwächste am ganzen Buch ist. Den Begriff „Flachsinn“ habe ich das erste Mal in der Mittelstufe meines Gymnasium gehört und das ist wirklich verdammt lange her. Schon damals hielt ich den Begriff nur für so mitteloriginell, daran hat sich bis heute nichts geändert. Dass ihn ein so brillanter Denker wie Dueck wieder aus der verdienten Versenkung kramt, ist erstaunlich, aber sei´s drum.
Duecks Theorie ebenfalls fasst mein seit längerem vorhandenes latentes Unbehagen in wenigen, wie immer sehr klugen Sätzen zusammen: „Störfeuer im Sekundentakt. Im Netz werden wir dauerbeschossen mit Sensationen und schießen infolgedessen immer kräftiger zurück. Nie zuvor war das Erzeugen von Rummel leichter. Ob in Politik, Wirtschaft oder anderen gesellschaftlichen Bereichen: Es wird schneller, lauter und dümmer“, heißt es im Klappentext.
Was zählt: Aufmerksamkeit um jeden Preis
Und tatsächlich: Ich bekomme mittlerweile beim Durchscrollen meiner diversen Timelines zunehmend öfter durchwachsene Laune. Weil über alledem immer öfter ein riesiges, virtuelles „ICH!“ steht. Ich und mein neuester Beitrag, ich in meinem sensationellen Urlaub, ich mit meinen unglaublich tollen Freunden, Ich und mein wunderbares Leben! Früher hätte ich jemandem mit einem solchen Genöle, wie ich es hier gerade praktiziere, vermutlich gesagt, er habe einfach die falsche Timeline oder die falschen Freunde oder beides zusammen. Mittlerweile aber habe ich das Gefühl, es gibt kein Entrinnen mehr vor dieser laufenden Ego-Show. Nicht mal die besten Filter der Welt helfen dagegen, weil die Sache mit der Aufmerksamkeit im Netz systemimmanent geworden ist: Bei den Fluten an Fotos, Videos, Texten haben weder Normalität noch ein wirklicher Tiefgang richtig gute Chancen. Duecks Formulierung, das Mittelmäßige falle zunehmend durchs Raster kommt mir fast etwas euphemistisch vor.
Ich könnte das alles für mich selbst mühelos abtun: Es hat schon immer Menschen gegeben, die ein bisschen mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung als andere gebraucht haben. Den Social-Media-Narzissmus hat es ebenfalls früher schon gegeben, nur eben ohne Social Media. Und außerdem muss man ja nicht jeden für voll nehmen, dessen Lebensglück in Likes, Followern, Selfies und Livestreams besteht.
Dumm nur, dass vieles dabei auf Kosten der Substanz geht. Dass etliche Beiträge ziemlich offenkundig nicht mehr danach ausgewählt sind, ob sie interessant, schlaumachend oder wenigstens witzig sind. Stattdessen: Aufmerksamkeit. Gebt mir AUFMERKSAMKEIT!
Welche Chancen bleiben einem Journalismus, der nicht permanent nach Aufmerksamkeit lechzt?
Aufmerksamkeit, auch das ist klar, bekommt man nicht fürs Normalsein. Nicht fürs Konventionelle. Aufmerksamkeit bekommt man für die ungewöhnlichen Dinge. Die sind im Idealfall spannend und interessant, im weniger idealen Fall hingegen einfach nur das, was Dueck als „Flachsinn“ bezeichnet. Aktionismus, als Journalismus getarnt. Selbstverliebtes Geposte, unter dem Deckmäntelchen der Interaktion. Und ganz viel gähnende Leere, die man sicherheitshalber als „Echtzeitjournalismus“ bezeichnet. Merke: Im Netz mit seinen immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen, mit Likes und Followern als Währung, geht die Bewertung einer Sache oder einer Person selten über den Augenblick hinaus. Ein Paradies für narzisstisch veranlagte Menschen, schon so rein infrastrukturell.
Dabei kann das Netz immer noch ein ziemlich großartiger Ort sein. Ich finde dort jeden Tag immer noch schlaue, witzige, unerwartete, inspirierende Dinge. Aber die Suche danach wird zunehmend schwieriger. Weil Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit nun mal ein begrenztes Gut sind und weil von diesen nur begrenzt verfügten Ressourcen schon allein deswegen viele verschwinden, weil man damit beschäftigt ist, den Unsinn auszusortieren. Das war, natürlich, schon früher nicht anders. Mit dem Unterschied, dass heute die Flachsinns-Mengen so groß sind, dass das Filtern enorm viel Zeit und Energie verbraucht.
Darf also jeder im Netz sagen, tun und lassen, was er gerade will? Auch dafür hat Dueck eine plausible Antwort: Die Freiheit hat Grenzen; die da ende, wo Verantwortung beginne. Keine schlechte Idee, speziell mal über dieses Thema „Verantwortung“
nachzudenken.
Pingback: Re:publica, Tag 2: Clash of Cultures - JakBlog