Visuelle Inhalte, Digital-Native-Style, Communities und User-Finanzierung: Fünf Thesen zu den wichtigsten Entwicklungen des Journalismus 2020.
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1. Video, Foto, Animation: Journalismus 2020 wird visueller
Seit geraumer Zeit bevorzugt der Facebook-Algorithmus ganz eindeutig Beiträge mit Videos. Und wenn nicht das, dann wenigstens Fotos. Reines Textposting? Kann man schon mal machen, hat aber ordentliche Chancen auf einen gepflegten Untergang im täglichen Postingnirvana.
Instagram wiederum hat den Text zu ein paar Hashtags geschrumpelt und bei Snapchat geht ohne irgendwas mit Foto oder Video gleich gar nichts. Man kann also ohne weiteres davon ausgehen, dass es vor allem die sozialen Netzwerke sind, die unsere Vorstellung von Storytelling im Netz erheblich verändert haben. Genau genommen haben sie sich umgedreht: Man hat ein Foto, ein Video, eine Grafik – und erzählt dann eine Geschichte dazu. Menschen meines unfassbar hohen Alters, die noch aus der analogen Steinzeit kommen, wissen nur zu gut, dass das vor allem bei Tageszeitungen früher und manchmal auch noch heute völlig anders war und ist: Man schreibt einen hübschen Text und wenn man dann auch noch ein passables Foto findet, wunderbar. Muss aber nicht.
Heute? Ein Foto ist eine Geschichte, ein Video ist eine Story, sogar ganz ohne dass man damit Geschichten erzählt. Zumindest nicht so, wie wir das mal definiert hatten: Wenn schon Video, dann ein gebauter Beitrag. Mittlerweile kann man sich auch schnell vor eine Kamera stellen und mittendrin aus einem Geschehen irgendwas live in die Welt hinein streamen. Selbst ein 30-Sekünder, ganz ohne Offtext und irgendwelche Schnittbilder, gehört zu dieser neuen Form des digital-visuellen Journalismus 2020.
Als Arbeitsgerät rückt damit das Smartphone in den Mittelpunkt. Es ist das einzige Gerät, mit dem dieses unmittelbare, schnelle, authentische und visuelle Storytelling möglich ist.
Erinnern Sie sich noch an Zoe Barnes, House of Cards, erste Staffel? Sie war der Inbegriff dieses neuen Smartphone-Journalismus. Wie so oft war die Serie mal wieder viel näher an der Realität, als man sich das vor Jahren noch vorstellen konnte.
Umgekehrt: Wer nicht allmählich zumindest in der Lage ist, so wie diese Zoe Barnes zu arbeiten, wird es im Journalismus zunehmend schwer haben. Weil Journalismus zunehmend mehr zu einer 24/7-Veranstaltung wird, die neben dem Verbreiten von Information noch ganz viele andere Sachen beinhaltet. Bevor es jemand anmerkt: Ja, das muss man schon sehr mögen, um es machen zu können. Journalismus wird noch viel weniger ein 9to5-Job, als er es jemals war.
2. Der Digital-Native-Style wird das neue Normal
Ja klar, wenn man rund um die Uhr online und das Smartphone immer eingeschaltet und in Reichweite ist – dann nimmt man die Lebensform ein, die den Digital Native ausmacht. Allerdings, ganz so einfach ist es dann auch wieder nicht. Dieses always on ist ja nicht nur ein technischer Zustand. Sondern einer, der bedeutet, dass man, von den wenige Schlafstunden abgesehen, immer auch bereit zur Interaktion ist. Das ändert aber auch die Art, wie wir erzählen. Insofern gibt Snapchat, ob man es mag oder nicht, einen ziemlich guten Vorgeschmack auf Kommunikation und Medien der nächsten Jahre. Man könnte es ein wenig verächtlich Schnipsel-Journalismus nennen, tatsächlich aber steckt schon ein bisschen mehr dahinter.
Formal heißt das: Wir werden immer weniger „gebaute“ Beiträge sehen. Nicht mal mehr solche, die lange technische Vorbereitungen erfordern. Digital-Native-Style, das bedeutet, zumindest im Kleinformat so weit vorbereitet zu sein, dass man in Echtzeit etwas produzieren kann. Und tatsächlich ist das im Zeitalter von Mobile Reporting auch kein Hexenwerk mehr. Smartphones sind inzwischen potentiell großartige Kameras geworden. Mit einem kleinen bisschen Zubehör macht man aus dieser Kamera ein Studio in der Hosentasche. Einschalten, rausgehen, Menschen mitnehmen: Journalismus 2020 definiert sich viel mehr über seine Fähigkeit zur schnellen Reaktion, zur Interaktion und des spontanen Erzählens als über die Fähigkeit, möglichst viel teures und technisch komplexes Zeug von A nach B zu fahren.
Bevor die Bewahrer des echten Journalismus aufjaulen: Niemand behauptet, dass diese Säule des Journalismus, nennen wir es Hochglanz oder Highend-Journalismus, verschwinden wird. Im Gegenteil. Wenn man den ganzen Tag potentiell zugeschüttet wird mit lauter kleinen Journalismus-Fetzen, dann ist der Bedarf nach Analyse, Einordnung und Kommentierung umso größer. Von kleinen Snacks alleine wird man auf Dauer ja nun auch nicht satt.
3. Medien werden Communities
Rund 300.000 neue Abonnenten hat die News York Times seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten dazu gewonnen. Das hat vermutlich damit zu tun, dass die Times eine verdammt gute Zeitung ist. Andererseits wäre es ja schon verwunderlich, wenn das über die Jahre niemandem so recht aufgefallen wäre und urplötzlich innerhalb weniger Wochen diese Erkenntnis über hunderttausende Menschen gekommen ist.
Der Grund liegt anderswo. Darin nämlich, dass man sich gerade bei der Times um ein kuscheliges Lagerfeuer versammelt und einer Community beitritt. Einer Gemeinschaft all derer, die sich sicher sind, dass Trump so ungefähr das Schlimmste ist, was diesem Land und eigentlich auch der ganzen Welt passieren konnte.
Natürlich geht es nicht um Haltungen und Überzeugungen alleine. Medien, vor allem Zeitungen, sind seit jeher nicht nur eine reine Informationsquelle. Sie sind immer auch eine Selbstbestätigungsquelle: Den confirmation bias kennen Wissenschaftler schon lange. Kaum etwas eignet sich mehr als Beleg für diese These als Medien. Sie informieren nicht nur, sie bestätigen auch das, was man schon immer zu wissen glaubte. Was ja auch ein Grund dafür ist, warum beispielsweise Facebook so gut funktioniert. Man ist in seiner eigenen Komfortzone, in der Filter Bubble der eigenen Wahl. Und nickt dann zustimmend mit dem Kopf, wenn man in einem Kommentar mal wieder etwas gelesen hat, was man für besonders zutreffend hält. Alles andere führt zur Kündigung, man will sich ja schließlich nicht ständig gegen den Strich bürsten lassen (das ist im Übrigen auch der plausiblste Grund für den Facebook-Algorithmus. Sie glauben ja gar nicht, wie schnell Sie Facebook nicht mehr besuchen würden, wenn man Ihnen dort täglich sagen würde, dass Ihre Sicht der Welt ziemlich daneben ist.)
Ganz so einfach ist das aber natürlich nicht auf diesen Communities. Sie entstehen nicht von alleine und pflegen sollte man sie auch halbwegs. Zumal Community auch bedeutet, dass sie sich potentiell über viele Wege erstreckt. Über soziale Netzwerke, die eigene Zeitung, das gute alte Telefon. Wer Mitglied in einer solche Community wird, will sich nicht vorschreiben lassen, welcher Weg für ihn der angenehmste sein könnte. Das ist im Übrigen etwas, was viele Häuser in naher Zukunft vor die größten Probleme stellen wird: Wie erweitert man das Portfolio um eine ganze Reihe von Angeboten, ohne sich damit in ernste finanzielle Turbulenzen zu stürzen? Umgekehrt ist allerdings auch klar: Investitionen in Personal und digitale Infrastruktur sollte jeder Geschäftsführer ganz oben auf seiner Prioritäten-Liste stehen haben.
Weil er damit schließlich in ein Geschäftsmodell für den Journalismus 2020 investiert. Menschen sind nicht mehr einfach nur „Abonnenten“. Sie bezahlen für die Mitgliedschaft in einer Community.
4. Die Abhängigkeit reduzieren – und die alten Medien trotzdem besser machen
Sind Zeitungen nun tot oder nicht doch eher eine tragende Säule, die noch über viele Jahre hinweg so viel Geld abwirft, dass man in aller Ruhe sein Digitalgeschäft entwickeln kann? Darüber wird vermutlich noch so lange gestritten werden, bis die Realität die richtige Antwort gegeben hat. Unbestritten ist allerdings, dass viel Häuser (das schließt Radio und Fernsehen natürlich mit ein) immer noch von ihrem analogen Kerngeschäft abhängig sind. Daran lässt sich so schnell auch nichts ändern.
Und natürlich wäre es eine denkbare und nachvollziehbare Strategie, würde man einfach das bisherige Kernprodukt auslaufen lassen. Es wäre schließlich naiv zu glauben, dass seitens des jüngeren Publikums noch sehr viele Zeitungs-Abos oder Hardcore-TV-Zuschauer zu erwarten sind. Konkret gesagt: An – beispielsweise – einer Regionalzeitung jetzt noch allzu viel zu ändern, wäre nüchtern betrachtet vergebliche Liebesmüh. Weil deren durchschnittliche Leser inzwischen irgendwas um die 60 sind und große Veränderungen nicht mehr allzu sehr schätzen. Und die Jüngeren? Wer mit Smartphone und Video on demand aufgewachsen ist, dem kommen gedruckte Nachrichten vom Tag zuvor und ein Fernsehprogramm, in dem vielleicht mal was Interessantes kommen könnte, nur als zweitbeste Option vor.
Es ist trotzdem nicht so, dass man an den bisherigen Blättern und Programmen nicht noch einiges besser machen könnte, ohne dass man gleich eine Revolution ausruft. Und ein bisschen sollte man sich ja diese aktuelle Käufer- und Zuschauergeneration noch warmhalten. Sie ist es schließlich, die den halbwegs sanften Übergang in die digitale Welt finanzieren soll. Und es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass diese Generationen wie in früheren Tagen ewig bleiben, weil sie ja nichts anderes haben. Auch 60jährige wissen mit einem Smartphone umzugehen und sich bei Amazon Filme anzuschauen.
5. Journalisten werden immer mehr von ihren Nutzern bezahlt
Weil wir gerade beim Thema „Finanzierung“ sind: Der Trend, dass Medien immer abhängiger von der Finanzierung durch ihre eigentlichen Nutzer werden, ist unübersehbar. Zeitungen wie die SZ oder die FAZ nehmen über ihre digitalen Inhalte bereits zweistellige Millionenbeträge ein. Das muss so sein in einer Zeit, in der Online-Werbung bei weitem nicht mehr die Erlöse bringt wie ihr analoges Pendant.
Aber die Idee, dass Nutzer direkt Journalismus finanzieren, gibt es zunehmend öfter auch im Mikro-Bereich. Portale wie „Übermedien“ oder „Krautreporter“ leben ausschließlich von den Beiträgen ihrer Nutzer. Mit allen dazu gehörenden Risiken, wie gerade die „Krautreporter“ im ersten Jahr ihres Bestehens erfahren durften.
Für den Journalismus muss das kein Schaden sein: Wer hauptsächlich von seinen Lesern bezahlt wird, wird sich vermutlich erheblich sehr anstrengen als jemand, dessen Finanzierung halbwegs auch durch andere Einnahmen gesichert ist. Vor allem bei Regionalzeitungen hat man gesehen, was passiert, wenn man es sich in einer nahezu konkurrenzlosen Situation bequem macht…