Die Tage mal stand eine dieser bedauernswerten Damen im Supermarkt, die den Kunden Probeabos für die Heimatzeitung freundlich nahelegen sollen. Weil ich aus früheren Zeiten bei einer Regionalzeitung noch ganz gut weiß, was das für ein schwieriger, noch dazu auf irgendwelchen Provisionen basierender Job ist und weil es mich außerdem merkwürdigerweise interessiert hat, habe ich unterschrieben: Zwei Wochen Probeabo einer Regionalzeitung, deren Name hier nix zur Sache tut. Weil das, was ich da lese, vermutlich in nahezu jeder Regionalzeitung Deutschlands Alltag ist. Also, schauen wir uns mal durch: Alltag einer Zeitung, Anfang 2017.
Read MoreErstmal zu den Vorteilen: So eine Zeitung lenkt nicht ab, es blinkt und tutet nichts, man kann lesen, ohne in der Versuchung zu sein, mal eben die Mails zu checken oder Facebook oder WhatsApp. Es gibt auch keine Links, die einen vom Text ablenken können und die Daten sind auch sicher. Man bekommt außerdem, wenn man das womöglich schon nötig hat eine Erinnerungsfunktion für zurückliegende Ereignisse: Am Montag beispielsweise steht auf der Titelseite, dass ein gewisser Marc Terenzi Dschungelkönig geworden ist. Das war zwar schon am Samstag, aber es schadet ja nichts, wenn man das Wochenende nochmal aufbereitet bekommt.
Das gilt im Übrigen nicht nur für verhaltensoriginelle Has-Beens in Australien, sondern eigentlich für das ganze Wochenende. Fußball geht zurück bis Freitag Abend, Eishockey auch und alles andere, was am Samstag nicht mehr in die Zeitung gepasst hat auch. Schadet im Politik-Teil auch nicht, wenn dieser Trump in den USA so ein Höllentempo vorlegt, dass man gar nicht mehr weiß, wo genau wir jetzt gerade stehen. Mit der Zeitung drehen wir die Zeit einfach nochmal ein, zwei Tage zurück und sind wieder richtig auf dem Laufenden.
Gut auch, dass man die Umfänge inzwischen erheblich reduziert hat. Während der Woche kommt man mit 28, manchmal sogar nur 24 Seiten aus. Das komprimiert die Dinge auf eine ganz angenehme Art, man hat ja ohnehin genug zu lesen und zu schauen in dieser schnelllebigen Welt.
Das hat auch einen weiteren Vorteil: Man kommt schneller zum Lokalteil, weswegen man ja das Blatt hauptsächlich liest. Auch der ist im Übrigen inzwischen eingedampft, wobei man nach kurzem Blättern schnell eine Ahnung bekommt, woher der ausgesprochen liebenswürdige Kollege Ralf Heimann immer seine „Perlen des Lokaljournalismus“ herbekommt. Unter der Rubrik „Wohin am Wochenende?“ findet man da schon mal die Adresse des örtlichen Frauenhauses und insgeheim denkt man sich: Schlauer Fuchs, der Heimann. Platziert mehr Leute an strategischen Stellen als jeder Trump und sorgt dafür, dass es wahrscheinlich irgendwann mal Band 37 der „Perlen“ geben wird.
Heute war übrigens die gefühlt beste oder zweitbeste Freundin vom Fräulein Tochter mit einem sehr großen Foto im Blatt.
Ich: „Willst du sehen?“
Sie: „Nö.“
Karotten gegen Kopfschmerzen!
Soweit ist es jetzt gekommen. Früher wäre der beste Buddy in der Zeitung eine Weltsensation gewesen. heute interessiert die Kids das nicht mehr, weil sie sich eh dauernd selber bei Snapchat und bei Instagram sehen und die Zeitung außerdem ziemlich uncool ist, gemessen an Instagram. Ich versuche noch ihr zu erklären, dass so eine Zeitung aber auch ganz schön viele Follower hat, die sich halt nur Abonnenten nennen, ernte aber nur strafende Blicke.
Ich versuche, meiner Tochter das Prinzip Zeitung zu erklären. Schon lange bin ich nicht mehr so alt und nutzlos vorgekommen.
Also gut, denke ich mir – und vertiefe mich in den Lokalteil. Der Aufmacher heute erzählt ziemlich lang (und weilig), dass man bei Kopfschmerzen ruhig mal zum bewährten Hausmittel Karotten greifen soll. Potzblitz, denke ich mir, wer hätte das gedacht? Ich wüsste gerne noch mehr, frage mich aber zwischendrin, warum die Geschichte eigentlich im Lokalteil steht. Wenige Sätze später die Auflösung: Diese und viele andere wertvolle Tipps gibt der Leiter der örtlichen Krankenkasse. „Morgen Karotten kaufen“, notiere ich mir via Siri in mein iPhone – und: „Krankenkassen-Chef anrufen und mich bedanken!“.
Beim Stichwort „bedanken“ fällt mir ein, dass ich demnächst auch noch den 2. Bürgermeister anrufen und ihm gratulieren muss. Laut Lokalteil verrichtet er nämlich gerade auf „beeindruckende Art“ einen Job, der echt hart sein muss. Er vertritt den 1. Bürgermeister, der gerade etwas malad und deshalb abwesend ist. Vize vertritt erfolgreich den Chef, das ist eine derart aufregende Geschichte, dass sie nicht nur zum Aufmacher, sondern auch noch mit einem Kommentar flankiert wird. Wir können alle beruhigt weiterleben, heißt es da sinngemäß, weil der Vize die Sache schon im Griff hat.
Darunter folgt ein Gerichtsbericht. Ich verstehe kein Wort.
Noch eine gute Woche habe ich das Vergnügen. Danach wird mich wahrscheinlich jemand anrufen und freundlich fragen, ob ich nicht dauerhaft Abonnent werden will.
Und was soll ich dann sagen?
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