Warum sich Journalismus 2017 so drastisch wie nie wandeln wird, welche Trends 2017 kommen und welche eher nicht – ein Blick in die Glaskugel…
Nachrichten für alle? Das war einmal.
Nüchtern betrachtet konnte das ja nicht immer gut gehen: Immer noch mehr Informationen, mehr Texte, Videos, Bilder. Tausende Postings und Kommentare in sozialen Netzwerken. Und nicht mal mehr das Handy ist eine medienfreie Zone, im Gegenteil. Wer heute zu dem greift, was wir früher lustigerweise Telefon genannt hatten, muss sich erst mal durch eine Unzahl von Pushmeldungen, Apps und anderem Kram wühlen, ehe er zum Telefonieren kommt. Aber wieso überhaupt noch telefonieren, wenn man mit Messengern mal kurz das loswerden kann, wofür man früher erst umständlich ein Gespräch hätte beginnen müssen? Dumm nur, dass in einem solchen Messenger mittlerweile auch schon massenweise Medien-Content liegt.
Kurz gesagt: Dass Nutzer personalisieren müssen, ist eine logische Konsequenz aus dem ganzen medialen Überfluss, von dem wir umgeben sind. Selbst der Interessierteste ist nicht mehr in der Lage, überall dort zu lesen und zu schauen, wo er eigentlich müsste, um als halbwegs informiert zu gelten. Davon abgesehen: Die Suche nach dem, was wirklich interessant und relevant ist, kann ganz schön viel Zeit in Kauf nehmen. Und Nerven noch dazu.
2017 wird also das Jahr werden, in dem Medien sich endgültig verabschieden werden (müssen) von der Idee, man könne es mit einem Angebot allen recht machen. Und von der Idee, der User suche sich dann schon das Passende aus dem Haufen Informationen heraus, dem man ihm hinwirft. Stattdessen: Entbündelung, Personalisierung, das ganze Programm.
Projekte wie „XMinutes“ sind ein Vorläufer dessen, was uns erwartet: Die Idee nämlich, Medien und Informationen so zu präsentieren, dass wir nicht mehr endlos suchen und scrollen müssen.
Wenn man so will, dann sind auch die inzwischen einigermaßen angesagten Chatbots ein Schritt zur Personalisierung. Denn bei ihnen geht es nicht nur primär um die andere Ansprache, sondern eben auch darum, dem User nicht einfach Nachrichten hinzuwerfen, sondern ihm die Möglichkeit zu geben, andere Aspekte zu erfahren. Für jeden ist damit eine Nachricht anders – eben personalisiert.
Alles ist Video
Was waren das für selige Zeiten, in denen man als Journalist auch mal noch ein Video zu irgendwas produzieren konnte. Das war dann aber schon der Gipfel der Multimedialität: Wow, wir haben auch ein Video zu der Geschichte!
Heute: Video ist alles. Alles ist Video. Video ist nicht nur eine Erzählform, sondern der wichtigste Bestandteil eines virtuellen Echtzeit-Parallel-Universums. Egal, ob mit den inzwischen fest etablierten Livestream-Angeboten von sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter oder mit irgendwas anderem: Künftig werden wir es mit einer ganzen Reihe von Anwendungen zu tun haben, die jederzeit on air gehen können, um die Wirklichkeit live zu streamen oder in kurzen Fetzen aufzunehmen. Die Snapchat-Brille ist ein erster Schritt in diese Richtung. Einer, der im Gegensatz zur Google-Brille aus zwei Gründen nicht scheitern wird. Grund eins: Die Google-Brille ist als potentielles Monster wahrgenommen worden. Eines, dass eine Welt- und Bewusstseinsveränderung bewirkt und zudem jederzeit und ohne Vorwarnung aufnehmen und senden kann.
Die Snap-Brille positioniert sich clevererweise anders. Als ein ebenso cooles wie witzig-harmloses Gadget, das eigentlich nur spielen will. Eine GoPro in klein und als Brille. Da kommt niemand auf die Idee, es handle sich dabei um ein Privatsphäre-Datenmonster. Schon gleich gar nicht in der Snapchat-Zielgruppe. Und auch nicht beim clever aufgebauten Image der Snapchatter, nachdem es sich dabei ja nur um ein lustiges Tool für alberne 16jährige handle. Bei Google hatte man immer im Hinterkopf, dass der Konzern ja mindestens die Weltherrschaft anstrebt und es außerdem mit Daten und Privatsphäre eh nicht sehr genau nimmt.
Wie dem auch sei: Video wird das Fenster in die Welt und geht weit über das hinaus, was das Fernsehen bewirken konnte. Digitales Video ist keine „gebaute“ Kunstwelt. Keine Beiträge, in denen Menschen in merkwürdigen Verrenkungen für „Schnittbilder“ posieren müssen und in denen erst mal Kulissen aufgebaut werden müssen.
Video: haben wir alle bei uns, nutzen wir inzwischen sogar bevorzugt zum Telefonieren und ist auch für Journalisten ein Instrument, auf das sie keinesfalls verzichten sollten.
360 Grad/VR
Bei ungefähr jedem Ding, das mal groß werden könnte, tauchen ein paar grundsätzliche Fragen auf. Ist das jetzt ein Hype oder doch von Dauer? Spielzeug – oder braucht mal das wirklich? Das ist beim Thema 360 Grad auch nicht sehr viel anders und erinnert an die Debatte um das inzwischen wieder ganz schön zurückgefahrene Thema 3D. Im Kino ist man nach ein paar Filmen als Besucher schnell wieder an der Erkenntnis angelangt, dass ein Film in 360 Grad nicht besser oder schlechter, sondern bestenfalls effektreicher wird.
Da ist es natürlich legitim, diese Frage auch beim Thema 360 Grad zu stellen. Der Unterschied könnte allerdings der sein: Ein Film in 3D sieht halt einfach anders aus, ist aber immer noch derselbe Film. 360 Grad bietet dagegen eine ganze Reihe journalistischer Optionen. Die wichtigste dabei: Man kann endlich den User buchstäblich an den Ort des Geschehens mitnehmen. Er kann sich selbst ein Bild machen. Und das ist dann in der Tat ein Mehrwert. Wie man eine Geschichte in 360 Grad am besten erzählt, wie man Bild, Text und andere Elemente miteinander vermischt, das wird noch eine ganze Reihe von Experimenten nach sich ziehen. Trotzdem: Auch wenn man natürlich auch in Zukunft nicht jede Geschichte als 360Grad-Story erzählen wird – spätestens im kommenden Jahr wird die Technologie zu einem (digital-)journalistischen Standard werden.
Das Ende der Homepage
Vor kurzem habe ich mal einen Vortrag gehalten über dieses Internet und wie es sich entwickelt. Vor Menschen, die sich zwar dafür interessieren, aber nicht gerade zur digitalen Avantgarde gehören. Irgendwann sagte jemand dann mal was zum Thema „Homepage“. In dem Moment habe ich mich ertappt, wie ich innerlich ein leicht nostalgisches Grinsen aufgesetzt habe. Ach ja, die gute alte Homepage, Tage, an denen man irgendwo noch „www“ eingeben musste.
Tempi passati, es lebe der Intermediär. Also jener Zwitter, der zwar eine wie auch immer geartete Plattform zur Verfügung stellt, in dem sich Menschen und Anbieter treffen. Facebook, Snapchat, WhatsApp, der ganze Kram. Oder auch: der kleine Roboter. Nicht mehr lange – und in vielen Häusern stehen so lustige Dinger wie Amazons Alexa rum, die (wenn sie denn erstmal ein bisschen schlauer sind) die Homepage endgültig zu einem Relikt der Anfangstage des Netzes machen.
Was letztendlich mit einem Phänomen zu tun hat, das immer stärker wird. Die Flut an Medien ist nicht mehr beherrschbar. Würde man den Gedanken des Systems Homepage im Jahr 2017 konsequent zu Ende denken, er würde bedeuten, dass man aus dem www-Tippen nicht mehr herauskäme. Klar, ich mache das ab und an selbst noch gar gerne, mich mal an einem bevorzugt Sonntag-Nachmittag ein bisschen durchs Netz treiben zu lassen, verschiedene Seiten anzusteuern und einfach mal zu lesen, was die so machen. Meistens ist das aber spätestens am Montag wieder vorbei. Weil mir die Zeit fehlt. Und weil es ausreichend viele Angebote gibt, die mir alles bringen, was ich brauche, ganz ohne langes Surfen.
Ruft da jemand Filter Bubble? Weiß ich schon. Bringe ich dann ab und zu zum Platzen. Bevorzugt Sonntagnachmittags. Nur weil ich halbwegs intelligente Formeln meinen Info-Bedarf ermitteln lasse, heißt das ja noch lange nicht, dass ich dieser Formel alles glaube. Sonst müsste ich mich ja immer noch über einen Präsidenten Trump wundern.
Geschlossene Systeme, Dienstleister, Assistenten
Das alles schreit also zunehmend nach Personalisierung, die demnächst nicht mal mehr im Ansatz das sein wird, was wir momentan fälschlicherweise noch so nennen. Bisher ist das ja meistens so: Man kann anhand von ein paar Rubriken und Tags festlegen, was man bevorzugt wissen möchte. Was grundsätzlich ja nicht verehrt ist. Nur leider meistens nur so lala funktioniert. Zumindest dann, wenn Menschen dahinter stecken. Algorithmen hingegen sind, auch wenn´s weh tut, in dieser Hinsicht meistens schon schlauer als wir Menschen.
Mittlerweile sogar schon so schlau, dass Konzerne wie Google ihre Smartphone inzwischen umbauen zu echten persönlichen Assistenten. Allerdings auch zu geschlossenen Systemen, in dem sich Nutzer noch mehr als bisher aufhalten sollen. Wer die Entscheidung für ein Smartphone trifft, entscheidet sich auch dafür, sein halbes Leben in die Hände eines Großkonzerns zu geben.
Engagement
Und was machen wir jetzt mit all diesen Erkenntnissen? In einem Jahr, in dem sich der Wandel noch rasanter fortsetzen wird und in dem Donald Trump Präsident werden wird? In dem Google, Facebook, Snapchat und all die anderen uns zeigen werden, was Homeless Media wirklich bedeutet? Und in dem man uns weiter als Lügner und Manipulatoren und weiß Gott noch alles bezeichnen wird?
Reden!
Das Zauberwort Engagement ist eines, dass im Journalismus auch 2016 allen Sonntagsreden zum Trotz noch nicht erst genommen wurde. Zumindest, wenn man unter Engagement mehr versteht, als gelegentlich auch mal auf einen Nutzerkommentar zu antworten.
Engagement ist mehr: Rein in die Netzwerke! Auf in den journalistischen Häuserkampf! Nicht einfach warten, bis jemand sich mal zu uns bequemt. Nicht gleich kopfschüttelnd „Populismus“ schreiben und nicht gleich jeden als Dummkopf bezeichnen, der ernsthaft (mit Betonung: ernsthaft) besorgt ist. Den Satz „Du könntest recht haben“ hart man, zur Seite gedacht, im Netz ohnehin viel zu selten.
Engagement heißt: Raus aus der journalistischen Komfortzone. 2017: mehr als je zuvor.
Gibt’s den Bericht auch ohne die vielen Grammatik und Schreibfehler?
Ich vermisse das 360-Grad-Video dazu…
Grammatik und Orthographie? Wäre schon froh, wenn der sonst von mir sehr geschätzte Kollege drüber gestolpert wäre, dass die Aufforderungen in seinem Beitrag selbst die Entwicklungen fördern, deren Folgen er eingangs beklagt…
Also, lieber Herr Jakubetz: Ich muss mich durch ziemlich genau Null Pushmeldungen, Apps und anderen Kram wühlen, ehe es mir gelingt, mit meinem ach so smarten Phone zu telefonieren. Schlicht, weil meine Wahrnehmung nur von einer Gewalt automatisiert abläuft: der Natur! Klarer ausgedrückt: Wahrnehmung, je intensiver oder aufmerksamer sie sein soll, bedarf vor allem mentaler Präsenz und Selbstreflektion – und keiner Algorithmen! Auch keiner Ablenkung. Ist stetes Screenglotzen auf Mobiles etwas anderes als „Soziallegasthenie“?
Wenn ich mich freilich recht unkritisch auf die erstmal eingelassen, vllt. gar von ihr abhängig gemacht habe – dann, und nur dann, macht Ihr Ruf nach (noch mehr – scheinbarer?!?) Personalisierung Sinn! Da muss man sich echt etwas Cleveres überlegen – oder etwas sehr Einfaches: Abschalten! In doppeltem Wortsinn… Entzug schafft eine klare Birne!
Ihrer Aufforderung hingegen zu folgen, m. E. nur neue, komplexere und damit schwerer zu durchdringende und überwindende Filterblasen beim Einzelnen.
Dieses ewige Hyperventilieren, man dürfe bloß nix Wichtiges verpassen, müsse stets im Netz präsent sein – das hat uns den von Ihnen beklagten Schlamassel doch erst eingetragen! Dem einzelnen Nutzer wie unserem Beruf. Und es verdirbt das Netz, weil es diese grandiose Errungenschaft immer mehr zur „mentalen Müllkippe“ macht.
Und diesem Rad wollen Sie nun den nächsten Schwung verleihen? Schade! Da hätte ich bei dem Namen CJ mehr/was Besseres erwartet…
Video braucht aktuelle Geräte, stellt hohe Ansprüche an Performance, Bandbreite, Speicherplatz etc. Video kann man auch nicht querlesen und den Gehalt der meisten Inhalte kann man knicken. Ich glaube nicht daran, dass Video das allesbestimmende Medium wird. Schon weil man nur eine begrenzte Anzahl von Videos am Tag konsumieren kann.
Artikel an sich ist interessant, aber_ Furchtbar, diese elend langen Zeilen quer über den ganzen Bildschirm. Tu doch mal was für die Lesbarkeit dieses Themes auf PC/Notebook!
Wo man kommentieren kann, fand ich auch erst nach längerer Suche…
Ich hab ja gar nix gegen Abschalten. Im Gegenteil. Und ich bin auch keineswegs der Meinung, dass Hyperventilation eine gute Idee ist. Wenn man sich Technik allerdings intelligent zunutze macht, dann bietet sie einen echten Nutzwert. U.a. den, dass man sehr genau festlegen kann, was man noch an Push- und sonstigen Meldungen durchlassen will. Wenn Sie sich für sich selbst als die einzige Instanz entscheiden, ist das natürlich völlig ok. Aber trotzdem würde ich in Betracht ziehen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt…