Die Vorgänge am Münchner OEZ, Würzburg, Ansbach und Nizza haben eines gezeigt: Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen Journalismus und sozialen Netzwerken. Was bedeutet, dass wir als Journalisten auch etwas ganz anderes leisten müssen. Wir sind nicht Twitter – und das ist auch gut so.
Die Kollegen des Schweizer „Medienspiegel“ staunten nicht schlecht. „Ausgerechnet“ Sascha Lobo habe in seiner letzten SPON-Kolumne verkündet, künftig bei Nachrichtenlagen wie denen, von denen wir unlängst öfters welche hatten, dieses Twitter ausschalten zu wollen (angeblich auf Anraten seiner Frau). Das ist allerdings gar nicht so erstaunlich, wie es auf den ersten Blick aussehen mag, sondern spricht ziemlich für Lobo und noch mehr für seine Frau. Weil Twitter (und andere soziale Netze) in den Tagen der Anschläge und Amokläufe unfreiwillig die Crux solcher Plattformen offenbart haben: Sie sind Fluch und Segen zugleich. Das zwingt Journalisten und Redaktionen dazu, ihre häufig uneingeschränkt positive Haltung zu solchen Instrumenten wenigstens zu überdenken.
Twitter war am Abend des Münchner Amoklaufes am OEZ eindeutig mehr Hölle als Himmel. Natürlich sind dort an diesem Abend großartige Dinge passiert. Aber in der Summe dessen, was an diesem Abend auf uns einstürzte, war es unbrauchbar und manchmal abstoßend. Man muss für letzteres nicht mal die wie immer kalkuliert provozierenden AfD-Tweets („Mit uns würde das alles nicht passieren“) heranziehen. Das ist mittlerweile so erwartbar wie öde. Es ist vielmehr der Schutz der Anonymität. In ihm entstehen Tweets wie der, in dem jemand um kurz nach 18 Uhr behauptete, am OEZ habe es einen Bombenanschlag mit 250 Toten gegeben. Das war erkennbar Unsinn. Vermutlich ist es deshalb bei diesem einen eklatanten Blödsinn geblieben.
Es war vielmehr die Flut, die Twitter zu einem Kanal machte, der kontraproduktiv wirkte. Eine Echokammer, in die unzählige Menschen hinein brüllten, so dass am Ende nichts mehr zu verstehen war. Ein Newsfeed, der vorgaukelte, es handle sich um Nachrichten im klassischen Sinn. Dabei gab es an vielen Stellen nicht nur Spekulatives sondern schlichtweg Falsches zu lesen. Selbst wenn man dagegen hält, dass es ohne soziale Netzwerke Aktionen wie die „Offenen Türen“ nicht hätte geben können: Unter dem Strich konnte man zwar Richtiges aus der Echokammer heraushören, man brauchte aber viel Glück dafür.
Lehren aus OEZ, Ansbach, Würzburg, Nizza
Das müsste man als Lehre aus den letzten Wochen als Journalist oder als Digitalstratege bedenken: Natürlich können soziale Netzwerke ein echter Segen sein. Aber sich in einen Wettlauf mit ihnen zu begeben, zu versuchen, in einem Rattenrennen um die am schnellsten herausgehauene Nachricht zu sein, führt zu nichts. Schnelles Heraushauen ist ohnehin eine eher fragliche Angelegenheit. Wenn man dann in solche Situationen wie am Münchner OEZ gerät, dann stößt diese ganze Atemlosigkeit des sogenannten Echtzeitjournalimus an ihre Grenzen. Und spätestens dann stellt sich die Frage, ob wir diese Sache mit dem Live- und Echtzeitjournalismus in sozialen Netzwerken nicht nochal überdenken sollten. Aus mehreren Gründen:
- Echtzeit bedeutet zwangsweise immer, dass man eben auch nur Eindrücke wiedergibt. Und da ist es einfach ein Unterschied, ob man solche Eindrücke von einem Fußballspiel oder einem Amoklauf wiedergibt.
- Soziale Netzwerke sind ein süchtig und nie zufrieden machender Mahlstrom. Sie haben keinen Anfang und logischerweise auch bei Ende. Es gibt niemanden, der sich hinstellt und sagt: Das war´s für den Augenblick, mehr wissen wir nicht – und wenn ihr noch so oft auf Aktualisieren geht. Genau das müsste man aber machen, wenn man es mit den Aufgaben des Journalismus in solchen Situationen erst meint.
- Weil dieser Mahlstrom niemals endet und weil er nach immer neuen Tweets, Posts, Fotos und Videos schreit, ist die Verlockung naheliegend. Man redet weiter, selbst wenn gar nichts Neues und Essentielles mehr zu sagen hat. Bei Twitter findet man trotz allem nochmal irgendwas. Im TV stehen Reporter hilflos da und müssen irgendwie verklausulieren, dass es für den Moment nichts Neues gibt.
Irgendwann gelangt man dann zu einer Simulation des Journalismus. Was unsinnig ist, ebenso übrigens wie die hysterische Debatte darum, dass ARD und ZDF während des Türkei-Putsches nicht sofort alle Programme unterbrochen haben. Da mag nichts alles optimal gelaufen sein, aber trotzdem: Wenn es halt nichts Neues gibt, dann wird das auch durch eine sofortige Programmunterbrechung nicht besser.
Ich bin in den letzten Wochen öfter mal gefragt worden, ob der Journalismus in den letzten Wochen nicht versagt hat. Die Frage zielte zumeist darauf ab, ob „der Journalismus“ nicht einfach zu langsam gewesen sei im Vergleich mit Twitter und Konsorten. Das glaube ich absolut nicht. Versagt hat Journalismus bestenfalls dann, wenn er versucht hat, das Tempo der Netzwerke mitzugehen. Es gibt nämlich einen entscheidenden Unterschied zwischen Journalismus und sozialen Netzwerken: Von Twitter erwartet niemand, dass alles, was dort steht, auch richtig ist. Von Journalisten kann und muss man das erwarten.