Alle reden über den „Spiegel“ und was dort alles schief läuft. Dabei ist der „Innovation Report“ in erster Linie eine Blaupause für viele andere in Deutschland.
Jaja, der „Spiegel“. Ein Hort der Aufgeregtheit und der strukturellen Mängel. Einer, in dem sich Journalisten immer noch sehr wichtig nehmen, vermutlicher wichtiger als sie schon vorher nicht waren. Einer, in dem Print und Online immer noch sehr getrennte Welten sind und in dem auf langen Fluren in sehr weit verstreuten Einzelbüros mittelalte, grauhaarige Männer das Sagen haben und in dem…ach, lassen wir das. Wenn Sie nicht gerade die vergangene Woche auf dem Mars verbracht haben, dann wissen Sie ja ohnehin schon längst, was in diesem „Innovation Report“ genannten Papier des „Spiegel“ so alles drinsteht. Ob das seine Berechtigung hat oder nicht, kann ich im Falle des „Spiegel“ nicht beurteilen, weil ich nicht dort arbeite. Aber ich kann mir natürlich vorstellen, dass da einiges Wahres drin steht.
Aus einem vergleichsweise einfachen Grund: Der „Spiegel“ ist naja, nicht überall, aber beinahe überall. Vermutlich ließe sich der „Innovation Report“ mühelos auf einen beträchtlichen Teil der deutschen Medienunternehmen übertragen (sogar auf solche, die jetzt dem „Spiegel“ applaudieren für so viel Offenheit und der Meinung sind, da müsse man natürlich dringend was ändern). Machen Sie die Probe aufs Exempel, lesen Sie den Bericht und ersetzen den Namen „Spiegel“ einfach mit dem des eigenen Hauses. Sie werden verblüfft sein, wie schnell Sie eine Blaupause für Ihr eigenes Unternehmen bekommen.
Es muss sich jemand kümmern: Klar, natürlich finden alle Innovationen irgendwie wichtig. Und dieses Internet sowieso. Schaut man sich dann aber um und fragt nach, bemerkt man in vielen Häusern immer noch, dass sich allerdings niemand hauptberuflich um dieses neue Zeug kümmert. Ich mag diese Begriffe nicht, aber an einem „Chief Innovation Officer“ wenigstens als kleine Stabsstelle kommt niemand mehr vorbei. Und an einem kleinen (noch so ein Unwort!) Lab, in dem Neuerungen ständig entwickelt und dann auch mal wieder verworfen werden. Schon alleine deswegen, weil diese Digitalisierung so schlecht planbar ist.
Nerds nach vorne: Doch, ja, man liest jetzt öfter mal davon, dass ein Digital-Chef jetzt auch Mitglied der Chefredaktion ist. Schön. Man liest eher selten davon, dass der Digital-Mann jetzt auch Chefredakteur ist; möglicherweise hat ja auch da der „Spiegel“ ganze Abschreckung-Arbeit geleistet. Aber in Ernst: Es ist ziemlich absurd, dass man sich immer noch freuen muss, wenn ein ausgewiesener Digital-Mensch in einem Führungszirkel aufgenommen wird. Setzt man aber voraus, dass aus allen Medienhäusern Medienmarken werden, die auf etlichen digitalen und vermutlich nur noch einem analogen Kanal publiziert, müsste die Verteilung eigentlich umgekehrt sein: Ein Digital-Mann steht an der Spitze und der Mann fürs Analoge ist auch Mitglied der Chefredaktion. Wird noch dauern, schon klar. Aber dass wir in den Redaktionen sehr viel mehr als nur einen Alibi-Nerd bräuchten, ist unstrittig.
Innovator´s Dilemma: Eigentlich ist die Sache einfach. Man kann sich dafür entscheiden, einfach sein Kerngeschäft weiterzuführen und darauf zu vertrauen, dass es noch über einen ordentlichen Zeitraum ordentlich gewinne abwirft (in vielen Fällen dürfte das sogar so sein). Dann vergessen Sie den ganzen Unfug der hier steht, scheffeln sie noch Geld und schließen dann irgendwann ihren Laden. Wenn Sie sich irgendwie in die Zukunft retten wollen, dann müssen Sie sich darüber im Klaren sein, im Innovator´s Dilemma zu stecken. Was bedeutet, dass man sich allmählich von seinem Kerngeschäft verabschiedet und beginnt in Dinge zu investieren, deren Ausgang zumindest unklar ist. Kann sogar sein, dass es nie wieder so schön und ertragreich wird wie früher. Aber wenn man sich dann schon dafür entscheidet, dann bitte richtig. Ein bisschen Internet gibt es nicht. Und ein bisschen Innovation auch nicht. Soll heißen: Wenn man sich wirklich ins digitale Abenteuer stürzen will, kostet das Zeit und Geld. Viel Zeit und viel Geld. Und viele Nerven.
Raus aus der Komfortzone: Ich habe mir inzwischen abgewöhnt, irgendwelche Thesen zu irgendwelchen Zukunftsszenerien zu lesen oder geschweige denn selber welche aufzustellen. Bisher ist es in den meisten Fällen dann doch ganz anders gekommen. Irgendwo habe ich mal den schönen Satz gelesen, man könne statt irgendwelcher Szenarien genauso gut betrunkene Affen Dartpfeile werfen lassen. Was wiederum bedeutet, dass das brutale Scheitern auf diesem Weg eingepreist ist. Das ist nicht immer angenehm, aber leider auch nicht zu ändern. Und es gehört zu unabdingbaren Grundhaltung bei diesen Themen. Den schnellen, bahnbrechenden Erfolg wird man bei der Suche nach der digitalen Medienzukunft eher selten haben.
Kommt zurück auf den Boden: Man überhöhe wohl ab und an die eigene Bedeutung, schreiben die „Spiegel“-Leute über sich selbst. Und man sei gleichzeitig ein bisschen selten wirklich überraschend. Beides kann man so unterschreiben, für viele andere allerdings auch. Tatsächlich schweben viele Redaktionen immer noch auf den Wattebällchen der eigenen Bedeutung und Originalität. Nicht bemerkend, dass es neben ihnen schon lange eine mediale Parallelwelt gibt, in der man zwischenzeitlich wunderbar lesen, leben und kommunizieren kann. So ganz ohne das, was wir momentan noch als etablierten Journalismus bezeichnen. Und in der es fast jeden Tag diese (guten) Überraschungen, die sie gerade beim „Spiegel“ und anderswo so schmerzlich vermissen…
(Hinweis in eigener Sache: Am 11. Mai werden ein paar dieser Gedanken in einen Vortrag von mir beim Kongress der deutschen Lokalzeitungen in Berlin einfließen).