Wenn ich mich ab und an mit branchenfremden Menschen unterhalte und mich dann als Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erkennen gebe, dann höre ich in regelmäßigen Abständen die Frage, warum ARD und ZDF eigentlich dauern die Sendungen schon nach 7 Tagen aus den Mediatheken nehmen. Meistens ist das gepaart mit wüsten Verwünschungen der Öffis: Da zahlt man so viel Gebühren und der Saustall schafft es nicht mal, die Sendungen dauerhaft anzubieten. Ich erzähle dann lieber nicht, dass es noch gar nicht solange her ist, als ARD und ZDF mit einem hohen personellen und finanziellen Aufwand zig Tausende Inhalte aus dem Netz gelöscht haben. Muss man sich mal vorstellen: Man nimmt richtig viel Geld in die Hand, um Journalismus zu löschen. Es gibt Regionen in dieser Welt, da sollte man das besser nicht erzählen.
Der Hintergrund war schon damals ein ähnlicher, wie er auch heute hinter einer Klage der bayerischen Zeitungsverleger gegen die BR24-App des BR ist: Die Verlage sind nicht mehr ganz alleine in dieser Medienwelt, im Netz gibt es keine abgesteckten Claims und auch keine Monopole. Also klagt man. Man sorgt dafür, dass die ÖR´s nichts mehr machen dürfen, was „nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote“ und „flächendeckende lokale Berichterstattung“ sein könnte. Man klagt deshalb gegen die App der „Tagesschau“ und gegen BR 24, so wie man auf der anderen Seite versucht hatte, Google mit dem Leistungsschutzrecht einzudämmen (was übrigens grandios gescheitert ist, selten war ein Gesetz so tot wie das LSR). Kurz gesagt hätte man das Internet gerne für sich, zumindest den Teil, der nach Verleger-Vorstellung irgendwie „presseähnlich“ ist.
Genau darin liegt der grundsätzliche Fehler der Argumentation, der auch die diversen Richter m Rechtsstreit um die App der „Tagesschau“ zum Stirnrunzeln brachte: „Presseähnlich“ im Netz, was soll das eigentlich sein? Der Begriff ist ein ein derartiges Kunst-Produkt, dass sogar der „Duden“ etwas irritiert ist, wenn man ihn sucht:
Ein wesentlicher Kern der Argumentation der Verlage ist also auf einen Begriff gestützt, der weder im Duden existiert noch juristisch definiert ist (deswegen streitet man ja jetzt auch schon gefühlte 20 Jahre). Und auch die Medienwissenschaft kennt diesen Begriff nicht. Wohl aber kennt sie den Begriff „Multimedia“. Wie aber soll in einem multimedialen Umfeld etwas presseähnlich sein? Und käme man auf die Idee, den Verlagen zu unterstellen, sie seien „fernsehähnlich“, weil sie jetzt auch Videos machen. Man sieht, dass es zu nichts führt, wenn man eine völlig neue Mediengattung mit den Maßstäben der bisherigen Medien messen will. (Nebenbei bemerkt: Es wundert mich aufrichtig, dass sich hochbezahlte Juristen zu einer derart mauen Strategie hinreißen lassen.) Wenn wir also nicht wollen, dass irgendwann mal in Zeichen festgelegt wird, wie lang ein Text sein darf oder wie viel Text eine App enthalten darf, dann sollten wir diese Debatte beenden. Das ist schon beim Versuch, legale Snippets bei Google News zu definieren, ziemlich schief gegangen.
Letztlich geht es für beide um das selbe: eine Rolle in einer digitalen Welt zu finden
Dabei geht es bei diesen ganzen Klagen gar nicht so sehr um Apps. Sondern eher um die Frage, welchen öffentlich-rechtlichen Rundfunk wir in einer digitalen Welt haben wollen. Wenn er seinem Auftrag nachkommen soll, dann muss er sich auch in einer digitalen Welt entwickeln können. Gibt man ihm diesen Freiraum nicht, kann man ihn ebenso gut in 10 Jahren zusperren. Weil er, wie alle anderen auch, ohne vernünftige digitale Angebote nicht überlebensfähig ist.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Man kann vieles, sehr vieles am öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisieren. Die Apps von „Tagesschau“ und BR sind im digitalen Mediengebilde nur kleine Bausteine, die weder die Lage der Verlage noch der Sender wesentlich verändern.
Umgekehrt müssen sich allerdings auch die Verlage fragen, wie sie sich diese digitale Welt der Zukunft vorstellen. Weil sie letztendlich in der gleichen Lage wie die Öffis sind. Ihr eigentliches Kern- und Monopolprodukt existiert auf den Rechnern und Smartphones dieser Welt nicht mehr. Sie sind genauso Sender und Zeitung und Hörfunk wie alle anderen auch. Sie werden sich ihre Rolle in dieser Welt erst noch erkämpfen müssen (ebenfalls wie alle anderen auch).
Unter dem Strich jedenfalls wird bestenfalls ähnlicher Nonsens herauskommen wie damals bei der großen Depubliaktions-Orgie: Gerichte werden eine Definition finden müssen, was diese „Presseähnlichkeit“ überhaupt sein soll, wo sie beginnt und wo sie endet. Das wird Jahre dauern und irgendwann wird man einen Kompromiss haben, den beide Seiten als sensationellen Erfolg werten.
Allerdings, und diese Wette biete ich jedem an: Der Auflagenrückgang der Zeitungen wird um kein Promille weniger, selbst wenn man die „presseähnlichen Apps“ irgendwie ein bisschen zurückstutzt.
(Offenlegung: Ich arbeite regelmäßig für den BR und bin in das Projekt BR 24 eingebunden. Dieser Beitrag ist meine Privatmeinung und in keiner Weise mit dem BR abgestimmt.)
Und da kam wirklich „pferdeähnlich“? Ist aber irgendwie passend. Zebras beschreiben das Schwarz-Weiß-Denken der Presseherausgeber und Esel … aber lassen wir das.
Letztendlich kann man sich auf das alte Weistum zurückziehen „Qualität setzt sich durch“. Manchmal dauert es nur eine Weile. Aber genau daran hapert es eben. Bei den Verlegern geht es meistens eben letztendlich nicht um Qualität, sonder höchstens um Quantität, während der ö.-r. Rundfunk in der luxuriösen Situation ist, Qualität liefern zu können. Davor kann man schon ein wenig Angst haben, wenn man Verleger ist. Nur ist das Image bereits im Ansatz beschädigt. Wirkliche Qualität, wie man sie auch immer definieren mag, wird man dort nicht erwarten.
Ups. Daß Du für den BR (also den Bayrischen Rundfunk, nicht den Betriebsrat) arbeitest, war mir bislang unbekannt. Du bist also
offensichtlich bislang nie „unneutral“ aufgetreten, nie polemisch, sondern immer vernünftig. Wie die meisten Kollegen dort.
Der Kokolores um die Apps ist ebenso absurd (was bitte soll denn Teletext sonst sein als textlastig? Und das hat noch nie Verleger gestört, sie haben doch selbst Teletext gemacht) wie diese blöde 7-Tage-Regel, gegen die ich schon oft genug geschrieben habe und die niemand will, auch die Verleger nicht mehr, weshalb ich nicht verstehe, daß sie endlich wieder verschwindet.
Doch sind es nicht die Verleger, die das Internet für sich alleine wollen, sondern die Öffis. Es ist die „dritte Programmsäule“, im
Internet darf nur noch Broadcast stattfinden, jegliche Nutzung des Internets zur Telekommunikation, ob nun E-Mail, Chat, FTP,
Dateiversand von Autoren an Redaktionen etc. etc. ist unerwünscht, ist „Feind“, muß bekämpft werden („Internet-Offensive“ – eine Offensive ist ein Angriffskrieg, ARD & ZDF sehen also das „Internet“ als Gegner). Wenn man im Internet kommunizieren darf, dann nur
so wie hier öffentlich, auch Facebook ist ok, E-Mails, die technisch leider am Domain Name System hängen, werden dagegen über den Mißbrauch des Markenrechts einfach einkassiert, und damit allerdings auch alle privaten Accounts, von Facebook, XING, Ebay, Amazon bis Otto (der selbst gerne fremde Domains einkassiert) und Baby Walz. Das ist dann ein „unvermeidbarer Kollateralschaden“ in diesem Angriffskrieg, in dem ich, nur weil ich bei einem bösen bösen „kommerziellen“ (ich mag das Wort „privaten“ nicht, weil es eben den Öffis das Argument liefert, alles Private zu attackieren, also auch und gerade die Privatsphäre) Arbeitgeber angestellt war, mal eben auf eine halbe Million verklagt wurde, nur weil ich private E-Mails meiner damaligen Lebenspartnerin nicht ausgerechnet im öffentlich-rechtlichen Fernsehen haben wollte und die Frau Eva-Maria Michel, inzwischen als Belohnung für ihr rabiates Vorgehen gegen mich zur stellvertretenden Intendantin befördert, dies als „unverschämt“ ansah!!!
Ja, weil ich fand, daß absolut intime Dinge nicht ins Fernsehen gehören, zumal, wenn ich dies auch nicht will (wenn ich es wollte, könnte ich zu RTL2 gehen und bekäme dann Geld dafür, aber das ist ja böse, während Frau Michel bei den „Guten“ ist, weil sie mir dafür noch Geld abnehmen läßt, mich bloßzustellen), wurde ich zum „Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems“ hochstilisiert. Dazu haben sich die Öffis damals sogar mit der „bösen kommerziellen“ Springer-Presse zusammengetan, um mich dort als „Trittbrettfahrer und Schmarotzer“ zu beschimpfen, der ihr schönes Internet für private E-Mails „mißbraucht“… 🙁
Die Öffis schimpfen aktuell ständig gegen die Amerikaner und die NSA, daß diese die Privatsphäre verletzen. Was die Geheimdienste machen, ist auch nicht korrekt. Aber die NSA liest nur mit, sie konfisziert keine fremden E-Mails und betreibt auch kein Veröffentlichungsmedium.
Meine Partnerin war Amerikanerin und konnte es nicht fassen, daß Privatsphäre in Deutschland nichts gilt. Daß ein von ihr auch noch bezahlter Rundfunksender sich erdreistet, ihre E-Mail an mich für sich zu beanspruchen. Daß man sogar in meinem Namen und auf meine Kosten auf Shoppingtour gehen darf.
Mich erstaunte das weniger, schließlich hatte ich schon Chefs, die private Briefe an mich einfach anderen Kollegen gaben. Dafür habe ich dann aber immerhin noch ein Gehalt bekommen…und es waren Briefe an die Dienstadresse gewesen, nicht nach Hause.
Und diese juristischen Exzesse haben ARD & ZDF ja nicht nur gegen mich oder andere nicht im ÖRR arbeitende Journalisten gefahren, sondern gegen Hunderte, Tausende!
Diese App-Klagen sind dagegen absolut Pillepalle. Kein kommerzieller Verleger würde soviel Energie in Prozesse und juristische Aktionen stecken wie ARD & ZDF, die ja auch tatsächlich Anstalten des öffentlichen RECHTS heißen und leider nicht Anstalten des öffentlichen Rundfunks, denen die juristischen Mitarbeiter lieber sind als die jornalistischen, wo man angeblafft wird „also wenn Sie mit einem Journalisten gesprochen haben, dann hätten Sie auch den Pförtner fragen können, die haben bei uns nichts zu melden“.
Von Technikern und Ingenieuren ganz abgesehen…
Also ich sehe dieses ganze dämliche Geplänkel nur als Reaktion darauf, daß ARD & ZDF selbst -zigmal soviel klagen wie alle Verlage zusammen. Und sogar ausdrücklich Rundfunkgebühren auf E-Mail erheben wollten. Das geht einfach zu weit. Da muß man sich dann nicht wundern, wenn die Verlage auch anfangen, unfair zu werden.
Mit „Felle wegschwimmen“ hat das nichts mehr zu tun, hier geht es weit mehr als um ein paar Texte im Netz oder auf Papier, hier geht es für manchen wie mich um die Existenz. Und der, der sich als Wettbewerber versteht, der alle anderen platt machen muß, das ist der ÖRR. Der sich ja sogar erdreistet, mich deshalb als Konkurrenten zu sehen, weil er auch Print macht. Eine Mitarbeiterzeitschrift namens WDRPRINT. Die wurde vor Gericht als Argument genommen, warum ich, wenn ich für eine gedruckte Zeitschrift arbeite, ein böser Konkurrent bin und man deshalb mal eben exklusiven Zugriff auf meine E-Mail, meine Online-Accounts und selbst meine Kreditkarte haben muß. Und dann als zweites Argument noch mein Amateurfunkhobby, das zwar Funk ist, aber per Definition niemals komemrziell oder / und Rundfunk sein darf.
Christian, bei jedem anderen würde man so etwas klar kriminell nennen. Nur die ÖRR dürfen sowas. Sie haben eine Sonderstellung. Sie sollten sie nicht mißbrauchen. Wir brauchen Qualitätsjournalismus. Aber nicht Angriffskriege.
Und hier haben wirklich die ÖRR mit dem Krieg angefangen, leider.
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