Was müssen digitale Journalisten können? Viel weniger als man glaubt. Weil digitaler Journalismus viel mehr eine Frage der Haltung als des Handwerks geworden ist.
Vor ein paar Tagen habe ich drüben beim „Universalcode“ eine dieser Aufzählungen geschrieben, die man ganz gerne liest, wenn man sich bei einem Thema schnell orientieren will. Es ging darum, was Journalisten heute alles können müssen. Oder zumindest sollten.
Nachdem das eine alte, aber nicht beendete Debatte ist, gab es dazu eine ganze Reihe von Reaktionen (und wie das inzwischen so ist: kaum auf der Seite selbst, dafür umso mehr in den diversen Netzwerken). Die Reaktionen fielen unterschiedlich aus. Die Palette: von der Frage, was das überhaupt sein soll, so ein digitaler Journalist – bis hin zu einer Auflistung von zusätzlichen Kompetenzen, die ich in meinem Beitrag gar nicht aufgelistet hatte.
Clemens Lotze kommentierte, man müsse das Folgende beherrschen, ansonsten solle man sich doch einfach Autor nennen und Bücher schreiben:
– eine Bildgröße den Erfordernissen der benutzen Kanäle zuschneiden
– einen Twitter-Kanal besitzen und regelmäßig benutzen.
– Die Bildauflösung dem Kanal anpassen
– Metadaten vergeben
– Keywords im erforderlichen Umfang verwenden
– ein Storytellingtool bedienen
– interaktive Maps und Timelines erstellen
– eine Infografk erstellen
– Bilder für SocialMedia-Kanäle vorbereiten
– Den Teaser brauchbar für Multichannel schreiben
– wissen wieviel Zeichen eine Überschrift in Facebook, Google+ oder Twitter haben darf.
– einen sinnvollen CTA setzen, falls erforderlich
– wissen wie Hashtags in den unterschiedlichen Kanälen verwendet werden
– Text-, Video und Audioformate kennen und umwandeln
– neben HTML selbstverständlich auch CSS kennen
– die unterschiedlichen Farbräume verstehen
– eine “mobilefähige” Schreibe und Formatierung beherrschen
– grundsätzlich nur in responsive-fähigen Medien veröffentlichen
Um ehrlich zu sein: Ich bin etwas zusammengezuckt. Weil ich bei dieser Liste passen müsste. Ich müsste eingestehen, dass es einiges bei diesen Dingen gibt, die ich nur so mittelgut kann. Und manches sogar gar nicht. Ich gebe beispielsweise zu, mich noch nie wirklich mit Farbräumen beschäftigt zu haben. Und wie viele Zeichen eine Überschrift bei Google + haben darf, ist mir eher gleichgültig.
Ich glaube tatsächlich nicht, dass man das alles können muss. Würde man uns das alles abverlangen, käme die journalistische Komponente deutlich zu kurz. Zumal ich mir sicher bin, dass die alte Weisheit, man müsse nicht alles wissen, wenn man stattdessen weiß, wo man nachzuschauen hat, es in diesem Fall sehr gut trifft.
Wichtiger für Journalisten und womöglich sogar die entscheidende Kompetenz in ihrem digitalen Dasein ist etwas anderes: Zu wissen, auf welchem Kanal welcher Inhalt der richtige und und wie man ihn dort präsentiert. Bei meinen diversen Vorträgen versuche ich das inzwischen auf die folgende Formel zu verknappen:
(Eigenwerbung: Hier gibt es mehr meinen Beratungs- und Vortragsprojekten gemeinsam mit dem großartigen Kollegen Kristian Laban. Werbemodus aus.)
Soll heißen: Es ist womöglich viel wichtiger, die Veränderungen zu begreifen, die der digitale Journalismus mit sich bringt. Ohne ein profundes Verständnis der Kanäle, der veränderten Nutzungsgewohnheiten, der grundsätzlichen Anforderungen, die Journalismus inzwischen mit sich bringt, können Journalisten heute nicht mehr überleben. Das ist zuweilen leider deutlich schwieriger, als ein bisschen Handwerk zu lernen.
Zumal diese Veränderungen noch einen weiteren Aspekt mit sich bringen: Sie gehen rasend schnell. So schnell, dass sich niemand der Illusion hingeben sollte, jetzt aber habe er es endlich begriffen, wie diese Medienwelt tickt. Ich bemerke das jedes Jahr aufs Neue bei mir selbst. Wenn ich meine Unterlagen für meine diversen Vorträge und Lehrveranstaltungen vorbereite und dann aus purer Bequemlichkeit nachschaue, ob ich zu dem Thema nicht schon mal ein Jahr zuvor etwas gemacht habe, dann stelle ich immer zweierlei fest:
- Ja, ich habe vor einem Jahr schon mal was zum Thema gemacht.
- Kannste wegschmeißen.
Journalismus bedeutet also inzwischen auch eine Art Dauer-Weiterentwicklung für jeden selbst. Ich würde nicht bestreiten wollen, dass ich das inzwischen selbst etwas ermüdend finde. ich bin ja schließlich keine 30 mehr. Immer dann, wenn man glaubt, etwas endlich begriffen zu haben, steht schon wieder etwas Neues vor der Tür; die Trends und Hypes kommen in Schüben. Ich kann auch jeden verstehen, der darauf wahlweise genervt oder auch verängstigt reagiert. Man macht es sich ein bisschen einfach, wenn man auf jeden, der einfach nur gerne mal seinen Job in Ruhe machen will, mit Fingern zeigt und ihn als analogen Gimpel verspottet.
Digitaler Journalismus ist eher eine Haltung als Handwerk
Zumal es ja nicht so ist, dass man mühelos unterscheiden könnte, was nun einfach Hype und was von Bestand ist. Von nahezu jedem Hype der letzten Jahre ist auch irgendwas Dauerhaftes übrig geblieben. Was wiederum bedeutet, dass man nicht daran vorbeikommt, sich alles zumindest mal anzuschauen und – noch besser – auch auszuprobieren. Das kann auf Dauer ziemlich anstrengend sein und macht vermutlich nur denjenigen so richtig viel Spaß, die eine ausgeprägte autodidaktische Ader haben (und die hat nun mal nicht jeder).
Journalismus hatte also schon früher mit Haltung zu tun – inzwischen womöglich sogar mehr denn je. Diese Haltung müsste so aussehen: akzeptieren, dass Journalismus nach wie in einem Veränderungsprozess steckt, der so schnell nicht beendet sein wird. Konstruktiv daran arbeiten, dass dieser Journalismus auch in einer digitalen Gesellschaft seine Existenzberechtigung behält. Als richtig und relevant Erkanntes dauerhaft wieder in Frage stellen. Die Kommunikation und Interaktion als einen festen und elementaren Bestandteil des Journalismus zu begreifen.
Der Rest kommt dann fast von ganz alleine. Beispielsweise diese Sache mit den Farbräumen.
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