Es wäre ganz früher (also noch vor ungefähr 20 Jahren) eine völlig undenkbare Idee gewesen: Technik treibt den Journalismus. Genauer gesagt: Es gibt irgendwelche neuen Tools und Kanäle – und für die müssen sich Journalisten Inhalte ausdenken. Doch inzwischen ist das genau so.
Früher mal, Sie verzeihen bitte die Phrase, früher mal also war das genau andersrum: Journalisten machten ihre Zeitung, ihr Radio, ihr TV – und irgendwann mal wurden Hilfsmittel entwickelt, die diese Arbeit ein kleines bisschen einfacher machen sollten.
Bevor das jetzt zum nostalgischen Gejammer ausartet: Man muss keineswegs der Auffassung sein, dass die Zeiten schöner waren, als wir noch mit sperrigen analogen Gerätschaften hantierten. Man kommt aber an der Feststellung nicht vorbei, dass durch die Digitalisierung ein essentieller Job für Journalisten hinzu gekommen ist: sich permanent neue Kanäle und Entwicklungen anzusehen und sich dann Gedanken darüber machen, ob und wie und was man damit anfangen kann.
Technik treibt den Journalismus
Es hat sich also einiges gedreht in der Branche. Und es wäre gut, wenn wir zu einem entspannten Umgang mit diesem Wandel fänden. Schon alleine deswegen, weil wir damit den Zustand der dauernden Getriebenheit beenden könnten, wenn wir akzeptieren würden, dass diese Prägung des Journalismus durch neue Technologien noch eine ganze Zeit lang anhalten wird und es schlichtweg ein Teil unseres Jobs ist, damit umzugehen und uns Antworten auf offene Fragen einfallen zu lassen.
Es würde dabei übrigens auch helfen, wenn wir uns eine vergleichsweise banale Tatsache vor Augen führen würden: Nicht aus jedem Tool, aus jedem neuen Kanal wird das nächste große Dinge des Journalismus erwachsen. Es ist überhaupt kein Fehler, wenn man nach ausführlicher Betrachtung zu der Erkenntnis kommt: Das ist dann doch eher nichts für uns. Das Ergebnis ist in Ordnung, an der vorherigen Betrachtung kommt man allerdings trotzdem nicht vorbei.
Das aber wiederum begründet zweierlei. Zum einen: An der Idee des trial&error werden wir auf absehbare Zeit nicht vorbei kommen. Schon alleine deswegen, weil es angesichts des aktuellen Tempos der Entwicklungen keine bessere Alternative gibt und uns die User vermutlich auch nicht die Zeit geben werden, uns lange zu überlegen, ob uns das jetzt passt oder nicht. Beispiel „WhatsApp“: Wenn sich dort schon eine halbe Milliarde Nutzer versammelt haben, dann schaffen diese 500 Millionen Menschen vollendete Tatsachen. Eine Abstimmung mit dem Smartphone, wenn man so will.
„WhatsApp“ ist auch ein schöner Beleg für die zweite Sache, die aus dieser Technikgetriebenheit resultiert. Die Zahl der Kanäle und Plattformen, auf denen wir potentiell vertreten sein müssen, ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Sie ist mittlerweile so hoch dass sich zwei Fragen durchaus mit einiger Berechtigung stellen lassen. Zum einen: Wo soll das alles noch enden? Zum anderen: Wie sollen wir das alles noch bewältigen?
Was die Sache auch nicht eben einfacher macht: Ein Zeitalter der schnellen Entwicklungen ist leider auch ein Zeitalter der potentiellen Hypes. Beispiel gefällig? Noch vor ein paar Wochen konnte sich jeder imagemäßig in ungeahnte Höhen schwingen, wenn er eine Einladung für „Ello“ zu vergeben hatte. Inzwischen ist der Boom auch schon wieder vorbei. Womit sich die Frage, was Journalisten denn jetzt auch noch auf „Ello“ anbieten sollen, wieder erledigt hat. Vorerst zumindest. Man weiß ja nie, was als nächstes kommt in diesem Netz.
Alles kann, nichts muss
Inzwischen gibt es mit „Meerkat“ und „Periscope“ das nächste Ding, das gerade enorm gehypt wird. Man kann (und wird) sicher noch einige Zeit darüber streiten, was Journalisten mit diesem Ding anfangen können. Und auch bei dieser App wird der Grundsatz gelten: Wenn wir es nicht ausprobieren, werden wir es nie herausfinden. Trotzdem zeigt auch „Meerkat“ geradezu mustergültig, wie die Sache im Journalismus inzwischen läuft. Es gibt neue Technik, neue Plattformen – und wir sind gefordert, die Form mit Inhalt zu füllen. Selbst dann, wenn wir nicht mal wissen, ob sich die Arbeit, die man sich damit macht, jemals lohnen wird. Das erzeugt so ein bisschen Frustpotential. Und man wäre angesichts dessen auch gut beraten, nicht jeden, den diese Entwicklung nervt, sofort als technikverweigernden Ewiggestrigen zu brandmarken.
Aus „Meerkat“ und all den anderen kann etwas werden. Muss aber nicht. Alles kann, nichts muss – mit diesem Motto werden wir im Journalismus wohl noch einige Jahre leben müssen.