Es ändert sich gerade mal wieder ungefähr alles: Journalismus ist auf dem Weg zu einer Art digitalem Dauer-Narrativ. Vor allem Bewegtbild und Realtime-Jornalismus spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Die ersten großen Branchen-Meetings sind vorbei, die re:publica 15 steht vor der Tür – eine schöne Gelegenheit also, das erste Quartal des neuen Jahres Revue passieren zu lassen. Erster spontaner Eindruck (außer dem, dass es wahnsinnig schnell gegangen ist, wie dieses erste Viertel von 2015 schon wieder vergangen ist): Kann es sein, dass sich das Medien-Rad gerade mal wieder noch einen Tick schneller dreht? Dass es noch schneller geht, dass neue vermeintliche Trends entstehen und sich dabei gerade wieder eine völlig veränderte Welt entwickelt, selbst dann, wenn man in diese Überlegung noch einen deutlich dämpfenden Hype-Faktor einrechnet? Sicher ist zumindest so viel: Wer sich bisher mühevoll vorgearbeitet hat in eine digital-crossmediale Welt, der läuft gerade Gefahr, den Anschluss schon wieder zu verlieren. Tatsächlich liegt das allerdings nicht an uns Journalisten alleine; wir sind ja schon froh, wenn wir bei diesen ganzen Entwicklungen irgendwie hechelnd Schritt halten können. Stattdessen verändern sich aktuell ein paar Parameter, weil die beiden großen Trendsetter dieses digitalen Planeten gerade wieder an ein paar Stellschrauben drehen: die großen Konzerne und die User.
Zusammen genommen leider ein Gemisch, das in den nächsten Monaten dafür sorgt, dass sich die Medienwelt massiv verändert. Und dass wir einmal mehr vor etlichen unbeantworteten Fragen stehen.
Social Video: Die neue Rolle des Bewegtbilds
Bewegtbild, das hieß ganz früher: Fernsehen. Dann hieß es eine Zeit mal: Fernsehen im Web (aka: Mediathek). Inzwischen gibt es auch noch die schöne Gattung „Webvideo“, eine Art Fernsehen im Web, das auf keinen Fall wie Fernsehen aussehen darf. Doch inzwischen gibt es ein paar neue „Sender“, bei denen Bewebtbild entweder die Hauptrolle spielt oder zumindest doch eine sehr dominierende Funktion bekommt. Facebook, Instagram, Twitter und natürlich das aktuell allgegenwärtige Meerkat: Das bewegte Bild spielt inzwischen eine Rolle, die man sich noch vor wenigen Jahren kaum hätte vorstellen können. Und: Bewegtes Bild verlässt seine bisherigen Formatierungen. Der gebaute 1.30-Beitrag steht im Netz plötzlich neben dem 15-Sekünder von Instagram. Was nicht bedeutet, dass das eine besser und das andere schlechter ist. Es ist nur: anders. Die Frage, was Journalisten mit einem 15-Sekunden-Video oder mit der Möglichkeit, von irgendwoher auf der Welt jetzt irgendwas zu streamen, anfangen können, bleibt naturgemäß noch offen. Sicher ist nur: Wenn beispielsweise Instagram inzwischen gerade bei einem jüngeren Publikum zu den wichtigsten sozialen Netzwerken zählt, dann wäre es fahrlässig, sich nicht ein paar Gedanken darüber zu machen, wie man damit umgehen will. Sowohl, was den Kanal als auch das Format des 15-Sekunden-Videos angeht.
Zumal das „soziale“ Video auch wegen seiner Verbreitungswege ganz anders tickt als das frühere Bewegbild. Sozial heißt, dass es sich viral verbreitet, dass es in sozialen Kanälen ebenso geteilt wird wie es auf Handys verschickt wird. Wenn sich Journalismus also auch auf diesen Kanälen abspielen soll, dann brauchen wir auch die entsprechenden Inhalte. Und eine Idee, wie mir mit dem Phänomen des „social Video“ umgehen.
Ich habe am Dienstag bei der BLM in München einiges genau zu diesem Thema erzählt. Im Video gibt es das hier:
Danach gab es dann eine Diskussion mit Julia Bönisch (süddeutsche.de), Martin Wanninger (PNP), Christoph Neuberger (LMU München), Lucian Kim (Freelancer) und Benjamin Ruth (VICE Germany). Die verlief dann so:
Eine Audio-Zusammenfassung gibt es beim Kollegen H.R.Bruns.
Funktionieren auf allen Kanälen
Bevor irgendjemand mich daran erinnert: Ja, ich habe mal ein Buch geschrieben, das den Titel „Crossmedia“ trägt. Aber das ist erstens schon ein paar Tage her und zweitens ist es ja auch nicht so, dass ich den grundsätzlichen Inhalt dieses Buchs widerrufen müsste. Das Prinzip „Crossmedia“ existiert immer noch, hat seine Berechtigung und wird auch weiterhin seinen Platz haben. Es hat nur seine generell Bedeutung verloren. Vor ein paar Jahren war grossmediales Publizieren für uns der Inbegriff des digitalen Storytellings, obwohl es in Wahrheit schon immer ein eindimensionales Prinzip war. Eines, das davon ausging, dass man einfach noch ein bis zwei Zusatzinhalte für irgendwas schafft, diese Dinge miteinander vernetzt und damit eine Art journalistische Erlebniswelt schafft.
Das ist immer noch ok so – und ich würde nie beispielsweise einem Zeitungsredakteur abraten wollen, wenn er zu einem guten Text noch (beispielsweise) ein Video hat. Aber inzwischen haben die verschiedenen Kanäle im Netz ein Eigenleben entwickelt. Eines, das die frühere Charakteristik, das man dort noch ein paar Zusatzinhalte finden könnte, weit hinter sich gelassen hat. Mittlerweile gibt es im und für das Netz derart viele unterschiedliche Kanäle, Plattformen und Darstellungsformen und zusätzlich auch noch Endgeräte, dass es völlig unmöglich ist, den einen netztauglichen Inhalt definieren zu wollen. Das gilt auch für den einen Nutzer, die eine Nutzungssituation und überhaupt alles andere, was sich irgendwie pauschalisieren ließe. Journalismus muss also auf allen Kanälen funktionieren, zumindest auf allen für ihn relevanten. Herauszufinden, welche das sind, ist die eine Aufgabe (da wird jeder für sich möglicherweise zu sehr unterschiedlichen Resultaten kommen). Herauszufinden, wie solche Kanäle funktionieren, ist das andere. Ich weiß, es klingt banal, aber tatsächlich muss man sich mit einem Kanal, auf dem man reüssieren will, auch mal auseinandersetzen. Ich schreibe das hierhin, weil sich diese banale Erkenntnis noch nicht überall durchgesetzt hat. Was ja irgendwie dann auch wieder erstaunlich ist: Jeder Sender, jeder Verlag, der ein neues Produkt lancieren will betreibt vorher ausführliche und teure Marktforschung. Im (sozialen) Netz gilt häufig immer noch das Prinzip: Schau wir mal, denn sehen wir schon. Und: Haben wir nicht noch einen Volo? Diese jungen Leute kennen sich doch aus mit diesem Facebook und sonstigem Netzkram.
Man kann das „transmediales Erzählen“ nennen. Muss man aber nicht, weil man bei einem solchen Begriff schnell eine akademische Debatte an der Backe hat. Nennen wir es also so: Journalismus ist ein Ding, das schon jetzt auf sehr vielen unterschiedlichen Kanälen gleichermaßen funktionieren muss. Und das ist etwas ganz anderes als „Crossmedia“. (Davon abgesehen empfehle ich neben dem „Crossmedia“ natürlich wärmstens den „Universalcode“, gerne auch als Webseite).
Jetzt! Journalismus bildet die Echtzeit ab
Was waren das noch für schöne Zeiten, als wir uns irgendwie auch als Chronisten unserer Zeit fühlen durften. Als diejenigen, die das Geschehen ihrer Zeit irgendwie niederschrieben und so eine Art Berichterstatter waren. Das alles sind wir heute zwar auch noch, wenngleich in einem ganz anderen Tempo und unter einem viel größeren Druck als in analogen Tagen.
Daneben aber kommt eine weitere Funktion hinzu, die keineswegs nur ein nettes Gimmick ist. Wenn wir heute von so etwas wie Echtzeit-Journalismus reden, dann geht es dabei ja nicht darum, schnell irgendwas Aufregendes aufgeregt in die Welt zu pusten. Sondern darum, eine Art Echtzeit-Welt zu beschreiben, so weit das möglich ist. Das ist eine mediale Zusatzfunktion, die sich nicht einfach im Aspekt der Schnelligkeit erschöpft. Tatsächlich wird niemand dauerhaft den Kampf um die User gewinnen, weil er eine Eilmeldung achteinhalb Sekunden vor allen anderen rausgebracht hat. Stattdessen zählen auch bei diesem vergleichsweise neuen Thema alte Werte: Einschätzung und Analyse, Kuration und Verifikation gehören zu dem Thema Echtheit-Journalismus genauso dazu, wenn man es wirklich ernst meint. Man auch das vermutlich so ausdrücklich dazu sagen, weil man bei vielen Debatten zu diesem Thema den Eindruck hat, als sei Echtheit-Journalismus so eine Art mediales Kart-Rennen, das der gewinnt, der am schnellsten ist. Dahinter steckt tatsächlich aber eine neue journalistische Kunstform, die weder in ihrer Bedeutung noch in ihrer Komplexität zu unterschätzen ist.
Alles so neu hier…
Natürlich, einzeln betrachtet handelt es sich bei diesen ganzen Geschichten um Phänomene, die man sich anschauen kann, aber nicht muss. Dahinter steckt jedoch mehr: eine Wandlung des tradierten Journalismus mit seinen vergleichsweise wenigen Darstellungsformen hin zu einer Art digitalem Dauer-Narrativ. Der Journalist als eine Art digitaler Geschichten-Erzähler und Begleiter durch einen langen Tag und eine vergleichsweise komplex gewordene Welt.
Pingback: Linktipps mit der Zeit, Niggemeier und Daniel Schüler - Marvin Strathmann