Der „Spiegel“ macht mal wieder irgendwas mit Hitler und der Rest debattiert über die Echtheit eines ausgestreckte Mittelfingers. Einiges läuft gerade ziemlich schief, wenn es um Journalismus und so komplexe Themen wie Griechenland geht. Was auch damit zu tun hat, dass man mittlerweile viel lieber über Personen als über Themen spricht.
Politik ist eine komplizierte Sache und Wirtschaft auch. Zusammen genommen sind Politik und Wirtschaft also eine derart komplexe Geschichte, dass es selbst für Experten nicht mehr so ganz einfach ist, Dinge plausibel zu erklären. Man hat das während der Hoch-Zeit der letzten Wirtschaftskrise gesehen, als man mit unfassbar hohen Summen irgendwelche Banken retten musste, von denen man bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Dasselbe Spiel erlebt man nun seit einigen Jahren mit Griechenland. Da ist also ein Land, das sich offensichtlich hoffnungslos verschuldet hat und anscheinend auch nicht gewillt ist, mit der gebotenen Demut angebotene Hilfsleistungen entgegenzunehmen. Trotzdem muss man dieses undankbare Land irgendwie vor dem finanziellen Exitus retten, weil sonst irgendwie ganz Europa gefährdet ist, wenn wir Laien das richtig verstehen.
Ist es da nicht ein Traum, wenn sich die neue griechische Regierung so wunderbar auf Personen reduzieren lässt? Auf einen jugendlich-attraktiv wirkenden Regierungschef und einen Finanzminister, der so einen revolutionär-unkonventionellen Auftritt hinlegt? Und der dann auch noch, göttliche Fügung des Schicksals, den Deutschen einen echten, richtigen Stinkfeiner zeigt? Großartig. Weil sich über so einen Stinkefinger und die Frage ob er denn nun hat oder nicht wunderbar erregt debattieren lässt. Viel besser und einfacher und mit sehr viel klareren Antworten, als wenn es um die Frage geht, was ein Grexit am Ende jetzt eigentlich für die Eurozone bedeuten würde.
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Gewissheiten hat man ja inzwischen so gut wie keine mehr. Weder weiß man, was richtig noch was falsch ist noch weiß man, wer jetzt noch gut und böse ist im großen Spiel um die möglichst einfache Darstellung einer immer schwierigere Welt. Bei Jauch und Bild zeigen sie einen Finanzminister mit ausgestrecktem Mittelfinger, um sich darüber gebührend zu erregen. Böhmenmann behauptet, er habe den Mittelfinger gefaked, um dann kurz darauf zu erklären, dass die Geschichte vom Fake natürlich nur ein Fake war. Und weil die Welt in diesen Tagen so furchtbar kompliziert geworden ist und die einfachen Bilder – Mittelfinger! – ja so schrecklich verlockend sind, hat auch der „Spiegel“ zu diesem Mittel gegriffen (und nebenher seiner Irgendwas-mit-Hitler-Leidenschaft endlich mal wieder frönen können):
Zwischendrin beklagt sich der Bild-Chef bei einem der Spiegel-Chefs, der früher mal einer der Bild-Chefs war, über dieses zweifelsohne leicht beknackte Titelbild, was auf der einen Seite schon richtig, aber auf der anderen Seite etwas irre ist angesichts dessen, dass in der Bild der Grieche als solcher bestenfalls noch als „Pleite-Grieche“ wegkommt und ansonsten nicht eben mit Samthandschuhen angefasst wird:
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Tatsächlich also ist eine hochkomplexe Debatte auf dem Level angekommen, dass darüber diskutiert wird, ob jemand einen Stinkefinger gezeigt hat und ob der „Spiegel“-Titel nicht mal der „Bild“ zu blöd gewesen wäre. Das ist auf der einen Seite irgendwie menschlich, weil es sich darüber natürlich sehr viel einfacher und mit einem angemessenen Erregungsgrad debattieren lässt; man kann seine Meinung zu solchen Themen sogar auf 140 Zeichen unterbringen. An solchen Tagen ist es mir übrigens sogar machmal richtiggehend peinlich, zu dieser ganzen Griechenland-Sache keine echte Meinung zu haben, weil man ja heutzutage zu allem eine griffige Meinung haben muss und es vermutlich problematisch ist, wenn man einräumt, weder von Finanzpolitik noch von Wirtschaft so viel zu verstehen, als dass man die Frage beantworten könnte, was jetzt wohl passiert, wenn die Griechen tatsächlich nicht mehr Mitglied der Eurozone wären.
Es hat aber auch in mehreren Dimensionen mit dem zu tun, was der notorisch kluge Stefan Plöchinger in dieser Woche geschrieben hat. Nämlich damit, dass wir mittlerweile in einer daueraufgeregten Welt viel zu sehr über Personen als über Themen reden. Hätte man sich mit der gleiche Akribie, mit der man versucht hat, die Echtheit des Fingers nachzuweisen, in das eigentliche Thema Griechenland eingearbeitet, man hätte womöglich sogar so etwas wie einen Erkenntnisgewinn daraus gezogen.
So aber weiß man jetzt noch nicht mal mit echter Gewissheit, was es jetzt mit dieser Geste auf sich hat.
„Wie die Europäer auf Deutschland blicken“ ist immerhin eine interessante Fragestellung, und die Antworten könnten uns die Augen öffnen. Wie unsere Politiker ein Volk ansprechen, das zu großen Teilen arbeitslos und nicht mehr krankenversichert ist und teilweise hungert, macht mir Angst. Und zu dieser Art Angst passt der Spiegel-Titel ganz gut. Allerdings traue ich dem Spiegel nicht (mehr) zu, das Thema objektiv aufzubereiten. Mir als oberflächlicher Beobachter scheint, das Magazin schwimmt entweder im Mainstream oder schert bewusst aus, um einen programmierbaren Aufreger zu verursachen.