Heute Abend war ich auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Medienzukunft. U.a. mit Giovanni di Lorenzo und Ulrich Wilhelm. Dabei habe ich so viel gelernt wie schon lange nicht mehr. Darüber, warum der Graben zwischen Digitalmenschen und den eher analogen Medienmachern so unglaublich groß ist. Darüber, dass es in der Branche inzwischen zwei Parallelgesellschaften gibt. Und darüber, dass auch Hochkaräter wie di Lorenzo und Wilhelm nur die Sachwalter einer untergehenden Welt sind.
Aber der Reihe nach. Eingeladen hatte die Münchner Universitätsgesellschaft, das Thema war irgendwas mit der Medienzukunft und als prominenteste Gäste hatte man immerhin den „Zeit“-Chefredakteur und den Intendanten des BR auf dem Podium sitzen. Dazu einen irgendwie bedauernswerten Prof. Neuberger von der LMU in München, der sich als einziger ernsthaft auf den Abend vorbereitet hatte und mehr erzählte als Schnurren und Platitüden. Und ein Professor aus München, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe und dessen einzige Bemerkung, an die ich mich erinnern kann, darin bestand, dass er die These, der Leser/User sei inzwischen zu einer Art 5. Gewalt geworden, nichts anfangen kann.
Als Moderatorin hatte sich der Veranstalter Prof. Ursula Münch ausgesucht, die sich vor allem dadurch hervor tat, dass sie mehr redete als alle anderen. Und dass sie es als Höhepunkt ihrer Recherche-Reise nach Digitalien bezeichnete, dort am Wochenende auf etwas ganz Neues gestoßen zu sein, was auf den Namen „Buzzfeed“ höre (an dieser Stelle denken Sie sich bitte ungläubiges Raunen beim Publikum, das durchaus goutierte, was Prof. Münch auf sich nahm).
Giovanni di Lorenzo wirkte da das erste Mal schon müde. Man könnte, wenn man weniger höflich ist, auch sagen: gelangweilt. So richtig dazu beitragen, dass die Veranstaltung etwas an Fahrt gewinnt, wollte er allerdings auch nicht. Di Lorenzo gab den mäßig unterhaltsamen, manchmal etwas bräsig-pessimistischen Mahner, der darauf verwies, dass im Netz der Ton schon manchmal ziemlich rau sei, dass man (sprich: Die ZEIT) immer noch das meiste Geld gedruckt verdiene, die Wahrheit durch Dichtungen so gefährdet sei wie nie zuvor und dass es deswegen schon ziemlich gut sei, dass es die ZEIT gibt. Von „Zeit Online“ war an diesem Abend eher weniger die Rede, was ein bisschen schade ist, weil deren Chefredakteur Jochen Wegner der Moderatorin bestimmt hätte erklären können, was es mit diesem „Buzzfeed“ auf sich hat.
Inwieweit sich denn das Verhalten der Nutzer verändert habe, fragt die Moderatorin, die zur Antwort bekommt, dass die Leser inzwischen die Zeitung erziehen, was aber gar nicht so schlecht sei, weil die Zeit-Redaktion früher schon eher mal das Blatt so gemacht hätte, wie es ihr am besten gefallen hat. Sonst aber mahnt di Lorenzo nochmals vor den rauen Tönen im Netz und attestiert der Branche auch, dass sie offenbar eine große Lust am Gerede vom eigenen Untergang habe. Wenn ich das richtig verstanden habe, muss sich also gar nicht mal so viel ändern, so lange es die tapferen Verteidiger des anständigen Journalismus gibt. Jedenfalls dachte ich mir danach dann umso mehr, dass sie ganz schön Glück bei der „Zeit“ haben, sich erst Wolfgang Blau und dann Jochen Wegner an die Spitze von „Zeit online“ geholt zu haben.
Der BR-Intendant Ulrich Wilhelm war mal Regierungssprecher. Nur so kann man wohl diese unfassbare Eloquenz und die Unerschütterlichkeit erklären, mit der Wilhelm durch alle Lebenslagen geht und Einlassungen von sich gibt, die erst einmal ganz enorm spannend klingen und sich erst beim dritten Hinschauen als nicht mehr ganz so spannend erweisen. Jaja, räumt der Intendant ein, das sei schon eine gefährliche Entwicklung beim BR-Fernsehen, da sei der Altersschnitt der Zuschauer stramm auf die 70 zugehend. Bei der App der „Tagesschau“ hingegen seien die User allerdings nur etwas über 30. Ich habe dann nur noch darauf gewartet, dass er vorrechnet, dass der durchschnittliche BR-Zuschauer demnach quasi gerade mal um die 50 sei, wenn man die beiden Altersgruppen addiere (hat er aber dann doch nicht). Außerdem gebe es ja auch die segensreiche Erfindung der Mediatheken. Weswegen jetzt die Menschen, gerade die Jungen, nicht mehr auf den linearen Ablauf eines Programms angewiesen sein. Mein Blick auf meinen Kalender bestätigte mir dann übrigens, dass ich mich tatsächlich auf einem Podium im Jahr 2015 befand.
Zum Echtzeit-Journalismus hat Wilhelm auch etwas gesagt und zwar sinngemäß, dass speziell die Politik durch dieses Echtzeit-Gedöns ganz schön vor sich hergetrieben werde und es deshalb schon gut wäre, wenn wir Journalisten ab und an auch mal „innehalten“ würden. Da klang er dann wieder ein bisschen wie ein Regierungssprecher. Sehr viel mehr blieb mir nicht mehr von Wilhelm in Erinnerung, was man aber auch darauf zurückführen muss, dass Frau Prof. Münch freundlicherweise darauf verzichtete, ihn und die anderen Podianten mit Nachhaken zu belästigen.
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Frau Professor Münch beendete die Debatte dann übrigens nach 45 Minuten, obwohl sie der Meinung war, man könne sicher noch stundenlang weiter diskutieren (die Auffassung hatte sie eher exklusiv, fürchte ich). Und obwohl mir so gut wie nichts als denkwürdig in Erinnerung blieb, habe ich enorm viel gelernt an diesem Abend. Wie wahnsinnig tief und breit dieser digitale Graben ist. Darüber, dass in unserer Branche mittlerweile zwei echte Parallelgesellschaften existieren, bei denen es so gut wie keine Berührungspunkte gibt und die auch künftig weitgehend inkompatibel bleiben.
Vermutlich ist es sogar legitim, ein immer noch gut funktionierendes Geschäftsmodell einfach noch so lange wie möglich fortführen zu wollen. Nach digitalen Konzepten und einer echten Idee, wie man diese Transformation überstehen könnte, klang das alles nicht. Muss es auch nicht. Wenn gerade die Karten neu gemischt werden und sich Machtverhältnisse buchstäblich umdrehen, dann bedeutet das ja nicht, dass am Ende etwas Schlechteres stehen muss.
Danke für Ihren Bericht. Herr di Lorenzo wirkt auf mich immer so, als ob er gleich einpennen würde. Ist der so überarbeitet? Bei Prof. Neuberger habe ich studiert, damals noch in Münster. Ich denke, er könnte was zum Thema beisteuern, wenn man ihn ließe.
Und im Publikum sehe ich nur graue Köpfe. Die kennen Buzzfeed sicherlich nicht. Die haben also auch was gelernt, an diesem Abend.
Nun, was soll sich ein Herr Wilhelm auch Gedanken über dieses ominöse „Neuland“ machen? Dafür hat er seine Leute und wenns hart auf hart geht, holt er sich, was er braucht, auf dem Rechtsweg. Fritz Pleitgen hat es ja vorgemacht.