Zugegeben, etwas früher als sonst: Der Jahresrückblick 2015. Mit vielen tollen Fakten. Und der Erkenntnis: Du weißt, dass Du in der Medienkrise lebst, wenn das Jahr plötzlich um zwei Monate gekürzt wird…
Januar: Das Jahr beginnt mit einer erstaunlichen Groß-Fusion: GDL und Gruner&Jahr schließen sich zusammen. Das neue Großgewerkschaftsmedienunternehmen GDLGJ erkennt in einer gemeinsamen Pressemitteilung „erstaunliche Ähnlichkeiten in der Weltsicht“ und zudem enormes Synergie-Potenzial. Die freigestellten Brigitte- und Geo-Redakteure werden beim nächsten Lokführer-Streik eingesetzt und zwar als Traffic-Manager in einem Lok-Pool, von wo aus sie die leerstehenden Züge auf verschiedene Abstellgleise dirigieren sollen. Die GDLGJ definiert sich zudem als Content- und Traffic-Haus. In einer neuen Lok mit dem Namen „Brigitte“ will man ein revolutionäres System erproben: Vier Traffic-Manager überwachen und steuern die Fahrt des Zuges, Lokführer werden nach Bedarf in einem Netzwerk entlang der Strecke eingekauft. Zudem kündigt das Großunternehmen an, frühere Geo-Redakteure zu freiberuflichen Lokführern umschulen zu wollen. Auch Maßnahmen der übrig gebliebenen Gewerkschaften laufen ins Leere: Ein angekündigter Streik in den Redaktionen von „Brigitte“ und „Geo“ scheitert daran, dass niemand da ist, der streiken könnte.
Februar: Und noch ein Paukenschlag: Spiegel, Stern und Focus fusionieren zum Spiegelsternfocus. Die an der Fusion beteiligten Manager sprechen von einem revolutionären Befreiuungsschlag und verweisen auf die zu erwartende Produktions- und Qualitätssteigerung von ca. 37,5 Prozent, die vor allem durch die Entlassung von Personal erreicht worden ist. Auch auf die Installation eines Chefredakteurs verzichtet das neue Super-Magazin. Erstens sind die zu erwartenden jährlichen Abfindungen zu hoch. Zweitens sprachen sich im Vorfeld der Fusion insbesondere „Spiegel“-Redakteure gegen einen solchen Posten eines Chefredakteurs aus: „Auf den hört eh niemand“, soll es im kleinen Kreis geheißen haben. Für betretenes Schweigen sorgt der Moment, an dem eine Putzfrau Wolfgang Büchner aus seinem Büro holt. Vertieft in das Konzept „Spiegel 4.1“ hatte er offenbar nicht bemerkt, schon seit Wochen alleine im Gebäude zu sein. Zudem behauptet er, in Wirklichkeit Moritz Rodach zu sein. Der neue Groß-Gesellschafter GDLGJ kündigt unterdessen an, die neue Redaktion mit einigen ehemaligen Lokführern zu verstärken. Letztere wettern zwar gegen den „unzumutbaren sozialen Abstieg“, willigen aber schließlich ein, als ihnen als einzige Alternative angeboten wird, sich an der Nannen-Schule weiterbilden zu müssen. Dort hatte man im Vorfeld angekündigt, künftig Ausbildungsgebühren zu erheben. Eine solch hochkarätige Ausbildung könne es schließlich nicht umsonst geben, heißt es seitens GDLGJ.
März: Die ersten Fälle werden bekannt, in denen Banken Journalisten ihre Dispo-Kredite kündigen. Experten raten, als Berufsbezeichnung keinesfalls „schreibende Redakteure“ anzugeben. Im internen Scoring bei Banken wirke sich dies extrem negativ aus.
April: Die unter sinkenden Einschaltquoten leidende Sendung Spiegelsternfocus TV zieht die Notbremse und entlässt ihren Moderator. Nachfolger wird ein Lokführer. In der ersten Sendung mit ihm debattieren Julia Jäkel und Claus Weselsky zum Thema „Wer bin ich und wenn ja, warum gibt’s dann nicht noch viel mehr von uns?“ Gleichzeitig werden Magazin-Umbenennungen bekannt: „Brigitte“ heißt künftig Julia und „Geo“ Claus.
Mai: Spiegelsternfocus online stellt alle seine Blogs und Kolumnen ein. Fortan schreibt nur noch Sascha Lobo. Zur Einstimmung auf die 17. Staffel seines thematischen Monolithen „Ich und die NSA“ wiederholt die Redaktion zunächst alle bisherigen 734 Beiträge Lobos zu diesem Thema. Den Verdacht, es handle sich dabei um eine reine Sparmaßnahme, weist Lobos neuer Pressesprecher Stefan Niggemeier in einem 42.000 Zeichen-Beitrag für die Krautreporter zurück.
Juni: Eine 11-seitige Wochenend-Ausgabe der FAZ sorgt für Aufsehen. So viel Umfang hatte das Blatt das ganze Jahr noch nicht.
Juli: Das Thema Medienkrise zieht weite Kreise. Ein Beitrag der „HuffPo“ mit dem Titel „37 Dinge, die in München anders gemeint sind als in der Medienkrise“ bekommt 9866 Likes bei Facebook und wird 3092 mal retweeted. „Buzzfeed“ zieht nach mit dem Stück „23 untrügliche Anzeichen dafür, dass sie dir nur in der Medienkrise begegnen können“. Der Hashtag #MK2014 geht viral ziemlich steil. Bei YouTube tauchen erste Wolfgang-Büchner-Parodien auf. Aus den Berliner Problembezirken wird berichtet, dass Jugendliche dort neuerdings nicht mehr „hartzen“ als Berufswunsch angeben. Sie möchten jetzt lieber „was mit Medien“ machen. Oder zu Buzzfeed gehen.
August: GDLGJ stellt eine neue und von ihr entwickelte Zug-Variante vor. Das Besondere ist: Die Loks werden von niemandem mehr gesteuert. Die Tatsache, dass auch fast jemand mehr mit diese Zügen fährt, wird von der GDLGJ begeistert gefeiert. Mit der Reduzierung des Bahnverkehrs sei es ihr gelungen, sowohl die Personalkosten signifikant zu senken als auch die Zahl der Verspätungen deutlich zu reduzieren. Auch die Umweltbelastung sei spürbar zurückgegangen.
September: GDLGJ kündigt eine Fusion mit Cockpit an. Die Bundesregierung lässt vorsorglich die Grenzen abriegeln, um die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren. Die Maßnahme erweist sich als unnötig, da ohnehin weder Züge fahren noch Flüge gehen. Der erfolgreichste Medienbeitrag des Monats kommt von Buzzfeed: „23 Gründe, warum GDLGJCOCKPIT noch immer nicht so schlimm ist wie Putin.“
Oktober: Die Medientage München stehen in diesem Jahr unter dem Motto „Mut zur radikalsynergetischen Totaltransformation“. Aus Kostengründen interviewt bei der traditionellen Elefantenrunde Julia Jäkel Julia Jäkel.
November/Dezember: Die beiden letzten Monate des Jahres 2015 werden gestrichen und fallen deshalb aus. Bundeskanzler Weselsky gibt einem Antrag der GDLGJCOCKPIT statt, wonach die Monate ohnehin überflüssig seien und zudem hohe Heizkosten verursachen.