Mehr Digital, weniger Print? Falsche Debatte. Journalismus der Zukunft muss zu einem großen sozialen Netzwerk werden.
Vermutlich wäre kaum etwas so einfach zu schreiben wie der zu erwartende Beitrag eines (Medien-)Bloggers über die Lage der FAZ. Noch dazu von einem, der bekanntermaßen seit vielen Jahren gebütsmühlenhaft predigt, dass sich die Verlagshäuser digitalisieren müssen. Besser gestern als heute. Aber ganz so einfach ist das leider alles nicht mehr.
Die in dieser Woche bekannten Personal-Kahlschläge in Frankfurt sind nämlich nicht einfach nur die Konsequenz aus nicht so ganz gelungenem Management. Stattdessen markieren sie, gemeinsam mit vielen anderen Entwicklungen aus den letzten Wochen, nicht weniger als das: Auch in Deutschland sind die bisherigen analog-linearen Geschäftsmodelle des Journalismus an ihr endgültiges Ende gekommen.
Natürlich gab es einige sehr FAZ-spezifische Entwicklungen, die dort hingeführt haben, dass man in Frankfurt jetzt da steht wo man steht. In ihrer Digitalstrategie ist die FAZ seit 15 Jahren ein notorischer Spätstarter; erst seit dem vergangenen Jahr beispielsweise hat man mit Matthias Müller von Blumencron eine Personalie an die Spitze des Onlineangebots gestellt, die die Vermutung zuließ, man meine es jetzt wirklich mal ernst mit dem Qualitätsjournalismus auch im Netz. Auf der anderen Seite ist das ja auch mal ein spannendes Gedankenspiel: Bei den Spekulationen um die Schirrmacher-Nachfolge fiel der Name des Digitalchefs nicht ein einziges Mal und wahrscheinlich ist das für jeden alteingesessenen FAZ-Menschen eine absurde Vorstellung: Ein Onliner auf dem Sessel des Herausgebers? Wo kommen wir denn dahin? Ist ja schon abenteuerlich genug, dass man jetzt ernsthaft darüber spekuliert, eine Frau in das Gremium zu berufen. Eine Frau! Als Herausgeberin! Ja, so sind sie bei der FAZ, eine konservative Grundhaltung erfordert manchmal eben auch ihre Opfer.
Aber es wäre zu einfach, den digitalen Spätstart der FAZ jetzt für die Misere verantwortlich zu machen. De facto haben auch die anderen Qualitätsblätter in Deutschland in den letzten Jahren zu spüren bekommen, dass ihr früheres Geschäftsmodell so nicht mehr tragbar ist. Die SZ? Hat ihre Sparrunden hinter sich und inzwischen den Online-Chef in der Chefredaktion. Die FR? Nur noch ein Torso. Die Welt? Man darf bezweifeln, ob sie überlebensfähig wäre, stünde hinter ihr nicht Springer. Die FTD? Tot. Nüchtern betrachtet: Die Realität kommt jetzt auch bei der FAZ an. Und auch, wenn man über die Grenzen blickt, sieht man ähnliche Entwicklungen: Gerade eben erst hat die NZZ angekündigt, die Zeitung dünner zu machen und künftig mehr ins Digitale investieren zu wollen; sowohl finanziell als auch inhaltlich.
Das alles ist im Übrigen keine Sache der Tageszeitungen alleine. Dass der „Stern“ und der „Focus“ mal eben ihre Chefredakteure gefeuert haben, hat neben den übliche Interna auch damit zu tun, dass der konventionelle Journalismus an seine Grenzen stößt. Die Debatten beim „Spiegel“ um Chefredakteur Büchner sind ja auch nur bedingt Debatten um seine Person, als vielmehr ein Kulturkampf, ein kleiner Glaubenskrieg: Wie digital wollen wir sein, wie viel klassischen (Print-)Journalismus können wir uns noch erlauben?
Dabei ist gar nicht mal mehr so die Frage, ob Journalismus gedruckt oder digital stattfindet (die Frage ist auf mittlere Sicht ohnedies entschieden). Eher geht es darum, Journalismus aus den geschlossenen Strukturen zu befreien, in dem er meistens immer noch stattfindet. Das Prinzip ist in den allermeisten Redaktionen immer noch das Gleiche: Eine weitgehend homogene und geschlossene Einheit definiert Themen und Geschichten, die sie dann wieder in einer weitgehend geschlossenen Struktur erzählt. Sowohl, was die äußere Form als auch die Interaktion mit dem Nutzer angeht. Die Redaktion entscheidet über Wertigkeit, über Bedeutung, über Darstellung. Sie selektiert, sie gewichtet. Alles so, wie wir es seit hundert Jahren machen und wie wir es gelernt haben. Danach lassen wir etwas mehr Interaktion zu als früher, man darf jetzt ein bisschen mehr kommentieren. Die allermeisten Redaktionen aber sind ihrem Nutzer deshalb auch nicht wirklich sehr viel näher als zu den Zeiten, als man noch Leserbriefe schicken durfte.
Ja und, wie soll man das auch anders machen, werden Sie jetzt womöglich entgegnen. Die Kollegen der „NZZ“ haben genau zu diesem Thema ein interessantes Experiment gestartet. Sie haben ihre Webseite für einen kleinen Versuch so umgebaut, dass die Konservativeren unter den Journalisten sofort argumentieren würden, das sei doch jetzt aber schon etwas umjournalistisch. Die Seite ist nämlich eben nicht mehr das starre und fertige Produkt einer Redaktion. Sondern stattdessen der Stream-Metapher der sozialen Netzwerke angepasst und zudem personalisierbar. Wenn man also so will: facebookisiert. Das ändert natürlich nichts daran, dass es sich immer noch um die hochwertigen Inhalte der NZZ handelt. Nur: so präsentiert, dass sie die geschlossenen Strukturen des konventionellen Journalismus verlassen. Das Ergebnis war durchaus verblüffend: Bei den digital-affinen Nutzern stieg die Verweildauer im Vergleich zu der klassischen NZZ-Seite ganz erheblich an.
Möglicherweise stellen sich Ihnen an diesem Punkt zwei Fragen. Zum einen: Darf man das überhaupt? Und zweitens: Ist es nicht gerade die Aufgabe des Journalismus, Dinge zu selektieren, dem Nutzer die Ereignisse des Tages/der Woche so zu servieren, dass er sie mundgerecht in feinen Häppchen konsumieren kann? Gerade letzteres dürfte der größte Trugschluss sein, dem man im digitalen Zeitalter erliegen kann. Es war seit jeher eine Illusion zu glauben, man könne die Realitäten der Welt innerhalb von 40 Zeitungsseiten oder 30 Minuten Sendezeit abbilden. Das waren schon immer sehr kleine und sehr subjektive Ausschnitte. Das Netz hat das jetzt auch der überwältigend große Mehrheit von Menschen klar gemacht, die sich nicht mit Medien und Kommunikationswissenschaft beschäftigt. Man muss „Facebook“ beim besten Willen nicht mögen. Eines aber ist unstrittig: Das soziale Netzwerk hat erstmals einer breiten Masse – wenn auch vielleicht ungewollt – klargemacht, dass auf der Welt jeden Tag ungleich viel mehr passiert als es eine Zeitung oder eine Sendung wiedergeben können.
Dadurch hat sich zweierlei dramatisch verändert. Zum einen: die Nutzung von (digitalen) Medien. Speziell bei einem jüngeren Publikum ist es inzwischen gelerntes Verhalten, irgendwann mal in einen Newsstream einzutauchen, ihn nach Belieben zu nutzen und ihn dann nach Belieben zu verlassen. Es hat ebenso gelernt, sich sehr selbständig die Inhalte rauszupicken, die es interessiert. Und nicht die, die andere für wichtig erachten (auch wenn das natürlich eine Illusion ist, weil im Falle von Facebook der Algorithmus eine entscheidende Rolle spielt). Dieses digitale Publikum betrachtet also womöglich Journalisten gar nicht so sehr als diejenigen, die entscheiden sollen, welchen Ausschnitt aus der Welt sie gerade zu sehen bekommen sollen. Sondern als diejenigen, die als Geschichtenerzähler das Material liefern. Dadurch – und das ist der zweite Punkt – ändert sich auch die Rolle des Journalismus. Er wird zunehmend mehr zu einem Pool guter Geschichten und idealerweise auch zu einem Treffpunkt der Interaktion. Wenn man so will, dann werden Medien künftig eher zu sozialen Netzwerken. Dass es den Bedarf für diese Form des digitalen Medienkonsums und der Interaktion gibt, mögen konservative Medienmacher gerne bestreiten. Der tägliche Blick auf Facebook sollte sie aber eines Besseren belehren. Es wäre also demnach gar nicht erstaunlich, würde man Angebote wie den NZZ-Stream in Zukunft öfter sehen. Auch wenn die Tatsache, dass die NZZ dieses Experiment nicht mehr weiter verfolgt, auf den ersten Blick nicht gerade für diese Annahme spricht.
Die Debatten beim „Spiegel“, Stern“, „Focus“, bei Gruner&Jahr und jetzt wohl auch bei der FAZ gehen deshalb nicht weit genug. Klar wäre es hübsch, wenn man Print und Online irgendwie näher zusammenführt, mehr Geld ins Digitale steckt. Der Ansatz müsste dennoch ein anderer sein. Nämlich nach Antworten auf die Fragen zu suchen, wie ein zeitgemäßer und zukünftiger Journalismus aussehen kann; wie er den Anforderungen einer digitalen Gesellschaft gerecht werden könnte. Dass man künftig Doppel-Ressortspitzen schafft, geschenkt. Das kuriert maximal ein paar Symptome, mehr nicht.
Mir ist allerdings schon jetzt, beim Schreiben dieses Betrags, durchaus bewusst, dass es sich dabei um eine Außenseiter-Meinung handelt. Die Realitäten sehen gerade ganz anders aus: Gruner&Jahr und FAZ streichen erstmal beträchtlich Stellen, der „Stern“ und der „Focus“ haben mit ihren jüngsten Personalentscheidungen eher den Eindruck erweckt, als hielten sie „Zurück in die Zukunft“ für die geeignete Strategie. Und beim „Spiegel“ stößt der Umbauer Wolfgang Büchner auf derart heftige Widerstände, dass man sich kaum vorstellen kann, dass es einen „Spiegel 3.0“ auf absehbare Zeit wirklich geben könnte.
Dumm nur, dass sich die digitale Medienwelt schon längst ihre eigenen Realitäten schafft.
Die Kulturkämpfe in den Medienbetrieben nehme ich als existenzielles Ringen wahr. Und das führe ich gerade darauf zurück, dass die bisherigen journalistischen Strukturen von der digitalen Moderne aufgelöst werden. Das ist an manchen Stellen sicher eine Chance, an anderen eine reale Bedrohung für Menschen und Organisationen.
Es ist ja richtig: bisherige Geschäftsmodelle werden hinfällig, genauso wie „Journalismus alter Schule“. Nur stimmt ja auch, dass neue finanzielle Grundlagen oder ein verlässliches neues Rollenverständnis der Medienmacher ebenfalls fehlt.
Deshalb reagieren Institutionen und Menschen vielerorts ängstlich auf den Wandel. Seine Segnungen sind bislang überwiegend Versprechen, die Verluste dagegen spürbar. Auch im „großen sozialen journalistischen Netzwerk“ stellt sich die Frage, wer man dort gesellschaftliche Öffentlichkeit organisiert und finanziert.
Insofern sage ich zu Ihrer These grundsätzlich „Ja“ und frage gemeiner Weise gleichzeitig: „Wie“?
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