Print lebt? Wenn man sich mal ungeschönte Einblicke in das Innenleben gibt, dann könnte man auch zu anderen Rückschlüssen kommen. Willkommen bei der Geschichte einer deutschen Musterzeitung…
Vor kurzem habe ich mich mit jemandem unterhalten. Einem Redakteur einer Tageszeitung. Um welche Zeitung es geht, ist völlig unerheblich. Ich erzähle einfach mal nur die Geschichten aus dieser Zeitung. Wer sich nicht angesprochen fühlt, prima. Wer sich angesprochen fühlt, darf gerne hier mit diskutieren. Oder wenigstens sich ein paar Gedanken machen. Schon alleine deshalb, weil ich die Geschichten nicht kommentiere, sondern nur wiedergebe. Welche Schlüsse daraus zu ziehen sind, bleibt jedem selbst überlassen…
Die Zeitung
Nennen wir sie einfach: die Musterzeitung. Sie ist nicht riesengroß, aber auch nicht ganz klein. Sie erscheint irgendwo in Deutschland. Nicht in einer Großstadt, sondern in der Struktur einer klassischen Regionalzeitung. Das bedeutet: Eine größere Mantelredaktion am Erscheinungsort, diverse mittelgroße und kleine Lokalredaktionen draußen auf dem Land. Die Region, in der sie erscheint, ist weder besonders arm noch übermäßig reich. Es gibt keine Auffälligkeiten, außer denen, die man aus dem Deutschland des Jahres 2014 kennt: Tendenziell ist auch hier der demographische Wandel spürbar. Von einer Landflucht zu sprechen, wäre übertrieben, aber die Tendenz, dass vor allem jüngere und gut ausgebildete Menschen eher der nächsten Großstadt zuneigen, ist unverkennbar. Von wenigen kleinen Randgebieten abgesehen ist das Blatt ein klassischer Monopolist. Natürlich gibt es auch hier die großen überregionalen Blätter, aber wer lokale und regionale Informationen haben will, kommt an unserer Musterzeitung nicht vorbei. Ihren höchsten Auflagenstand erreichte sie Ende der 80er-Jahre. Seitdem geht es sehr langsam, aber eben auch sehr kontinuierlich bergab. Nicht dramatisch, das. Und auch nicht über dem Durchschnitt liegend, irgendwo zwischen 1 und 2 Prozent pro Jahr. Die Rubrikenmärkte haben sich allerdings in den letzten Jahren beinahe in Luft aufgelöst. Seither verringert die Musterzeitung beständig ihre Umfänge und erhöht ihre Abopreise. Das Verhältnis zwischen Anzeigen- und Vertriebserlösen hat sich speziell in den vergangenen Jahren deutlich zu Lasten der Anzeigenerlöse gewandelt. Soll heißen: Der Anteil der Vertriebserlöse ist deutlich gestiegen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht.
Natürlich betreibt unsere Musterzeitung ein Onlineangebot. Sogar schon vergleichsweise lange. Und nicht mal ganz schlecht. Es ist sicher nicht gerade state of the art, aber umgekehrt hat man auch schon sehr viel schlechtere Angebote gesehen. Das Angebot steht auch deshalb bisher ganz stabil da, weil es, im Gegensatz zu anderen Regionen, noch keine hyperlokalen Angebote gibt, mit denen es konkurrieren müsste. Zudem gibt es auch eine Smartphone-App. Über eine App für Tablets wird nachgedacht, bislang aber gibt es noch keine. Immerhin aber kann man die Musterzeitung auch digital als PDF kaufen.
Die Chefredaktion
Unsere Musterzeitung hat eine mehrköpfige Chefredaktion, die auch als Musterchefredaktion einer Regionalzeitung durchgehen könnte. Mehrheitlich stammen ihre Mitglieder aus der Region und sind großteils auch Eigengewächse des Hauses, die Land, Leute und ihr eigenes Haus aus dem Effeff kennen. Oder wenigstens: kennen sollten. Sie alle sind klassische Zeitungsmacher. Erfahrungen in anderen Medien oder auch anderen Häusern besitzen sie überwiegend nicht. Der Chefredakteur würde keinesfalls bestreiten, dass das Internet wichtig ist, hat aber keinerlei Expertise in diesem Bereich. Böse Zungen in der Redaktion behaupten, sein digitales Können ende beim Schreiben einer Mail. De facto also kümmert er sich um die Zeitung. Für das Onlineangebot gibt es einen eigenen Verantwortlichen, der aber weder in die Chefredaktion noch in andere relevante Entscheidungsstrukturen des Hauses eingebunden ist.
Die inhaltliche Vorgabe der Chefredaktion ist ebenfalls deutlich. Klassisch-konservativ. Der Mantel steht vorne. Die Lokalteile sind im Regelfall im letzten Buch. Es gibt im Mantel Seiten für das Bundesland und die dortige Region. Dort können immer wieder Themen aus den jeweiligen Lokalredaktionen untergebracht werden. Zudem hat die Chefredaktion in den vergangenen Jahren auch immer wieder versucht, Themen mit regionalem Bezug zu kommentieren. Dennoch dominiert in den Kommentaren die große Politik.
Die Redaktion
Man tut der Redaktion gewiss nicht unrecht, wenn man sie als eine Art Zweiklassen-Gesellschaft bezeichnet. Es gibt die Minderheit der Mantelredakteure, die sich selbst statusmäßig eindeutig über den Lokalredakteuren ansiedelt, obschon letztere nicht nur die Mehrheit stellen, sondern auch jeden Tag das Kerngeschäft stemmen. Das allerdings ist das journalistische Schwarzbrot, wirkliche Meriten verdient man sich im Haus damit allen gegensätzlichen Beteuerungen zum Trotz aber nicht. Wer was werden will, sieht zu, dass er in den Mantel kommt. Wer länger als zehn Jahre im Lokalen sitzt, kann sich fast sicher darauf verlassen: Da bleibt er dann auch.
Der Kern der Redaktion ist schon lange dabei. 20, 25 oder 30 Jahre Betriebszugehörigkeit sind keine Seltenheit. Daneben gibt es Volontäre und jüngere Redakteure, wobei in den letzten Jahren aber zwei Trends auffällig geworden sind. Zum einen: Volontariate bei der Musterzeitung sind bei weitem nicht mehr so begehrt, wie sie es einmal waren. Es ist auch schon vorgekommen, dass Volo-Planstellen mangels geeigneter Kandidaten nicht besetzt werden konnten. Hinter vorgehaltener Hand beklagt sich die Redaktion auch schon mal darüber, dass die Volontäre, die in den letzten Jahren im Haus waren bzw. sind, bei weitem nicht mehr die Qualität haben, die sie früher hatten. Als Ursache sieht auch die Redaktion vor allem, dass ein Regionalzeitungs-Volontariat für eine digital aufgewachsene Generation nicht mehr so richtig sexy ist. Daraus resultiert auch ein zweiter Trend: Im Gegensatz zu früher verabschieden sich Volontäre gerne nach ihrer Ausbildung oder nach kurzem Aufenthalt als Jungredakteur. Die Gewissheit, während der Volontariate auch die Belegschaft der Zukunft auszubilden, existiert nicht mehr.
Ob die Redaktion überaltert ist, ist sicher Auslegungssache. Fakt aber ist: Das Durchschnittsalter in der Redaktion unserer Musterzeitung liegt bei deutlich über 40. Im Kern arbeitet sie schon viele Jahre zusammen und hat auch nur in den seltensten Fällen Zuwachs von außen. Den meisten in der Redaktion ist auch anderes klar: Zum einen haben sie sehr häufig feste Wurzeln in der Region geschlagen und wollen von dort auch gar nicht mehr weg. Zum anderen ist ihnen – auch dadurch bedingt – durchaus klar, dass ihre beruflichen Perspektiven eingeschränkt sind. Wer 15 oder 20 Jahre im selben Laden und zudem aus privaten Gründen weitgehend ortsgebunden ist, kann sich leicht ausrechnen, welche berufliche Möglichkeiten er hat – noch dazu in einer Region, in der es zumindest für den Journalisten-Job so gut wie keine Alternativen gibt. Dazu sind in den vergangenen Jahren diverse interne Dinge passiert, die das Verhältnis der Redaktion zu ihrem Arbeitgeber nicht unbedingt gefördert haben. Wenn man also von einer mäßig motivierten Redaktion spricht, tut man niemandem Unrecht.
Diese mäßige Motivation führt auch dazu, dass das Interesse an digitalen Themen wenig ausgeprägt ist. Und selbst dann, wenn die Motivation besser wäre, ist die viel geforderte Crossmedialität in der Praxis kaum umzusetzen. In vielen Redaktionen ist das Personal so ausgedünnt, dass zusätzliche Beiträge für digitale Kanäle in der Praxis nicht machbar sind. Oder aber: nur unter erheblichem zeitlichen Mehraufwand. Den will der Verlag zum einen aber nicht vergüten, zum anderen – siehe Motivation…
Dazu kommt, dass auch die Expertise von Chefredaktion und Geschäftsführung in Sachen Online kaum vorhanden ist. Weder existiert digitaltaugliches Equipment, noch gibt es inhaltliches Know-how. Einige wenige Versuche beispielsweise mit eigenen Videos führten nicht gerade zu Begeisterungsstürmen. Weder in der Redaktion noch bei den Lesern. In den sozialen Netzwerken ist die Redaktion zwar vertreten, das aber eher pflichtschuldig. Wirkliche Interaktion findet kaum statt. Beiträge auf der Facebook-Seite bringen es angesichts dessen nur selten auf mehr als zwei oder drei Kommentare. Der Twitter-Account schafft es auf einen Bruchteil dessen, was in Deutschland echte Netzgrößen haben; von einer fünfstelligen Followerzahl ist man weit entfernt.
In den meisten Lokalredaktion regiert der Terminjournalismus. Nicht etwa, weil die Redakteure dort nicht wüssten, dass und wie es auch anders ginge. Es ist die schlichte Personalnot, die die meisten Eigeninitiativen verhindert. Häufig müssen nominell drei oder vier Leute sowohl ihre Stadt als auch die umliegenden Gemeinden betreuen. Nominell drei oder vier bedeutet in der Praxis: Manchmal ist man wochenlang zu zweit. Urlaub, Krankheit, Weiterbildungen (doch, das gibt es manchmal noch), Abbau freier Tage von den Wochenenddiensten. Bei zwei Leuten kann man sich schnell ausrechnen, welche Möglichkeiten man noch hat, einen Lokalteil zu gestalten: die wichtigsten Termine wahrnehmen, Fremdtexte redigieren, Blatt machen – das war´s. Nicht sehr viel anders ist die personelle Lage auch in den größeren Lokalredaktionen. Und auch im Mantel nicht. Was dort wiederum bedeutet: Die dpa dominiert das Blatt, alles andere ist eine nette Zugabe, aber nur an guten Tagen oder zu besonderen Anlässen machbar.
Die Geschäftsführung
Besteht aus klassischen Verlagsleuten. Die ihr Kerngeschäft vermutlich sogar einigermaßen gut beherrschen, aber auf die Herausforderungen der Digitalisierung keine echten Antworten haben. Die Strategie der letzten Jahre bestand deshalb in den vergangenen Jahren vornehmlich aus Kostensenkungen. Eine eigene Stabsstelle für digitale Strategien und/oder Innovationen existiert nicht; darüber wird aktuell auch nicht nachgedacht.
Die Anzeigenabteilung
Ein beträchtlicher Teil der Menschen, die inzwischen „Mediaberater“ genannt werden, wird auf Provisionsbasis bezahlt, zumindest teilweise. Nachdem sich diese Provisionen an den Verkaufspreisen bemessen und diese immer noch bei Printanzeigen ungleich viel höher sind als bei Onlinewerbung, kann man sich leicht ausrechnen, wie groß das Interesse der Mediaberater ist, auch weiterhin in erster Linie die gute alte Anzeige zu verkaufen. Davon abgesehen hat der Verlag bisher online auch kaum wirklich lukrative Angebote in petto. Zumal auch bei der Anzeigenabteilung gilt: Die allermeisten von ihnen sind klassische Printmenschen, für die online bestenfalls noch ein Zusatzgeschäft ist.
Das Publikum
Drastisch gesagt: Vorne stirbt es aus, hinten kommt fast nichts mehr nach. Die klassischen Leserverluste sind nicht die, bei denen jemand empört oder wenigstens unzufrieden das Blatt abbestellt. Die meisten Leserrückgänge passieren inzwischen viel unspektakulärer: Jemand stirbt oder kann aus anderen altersbedingten Gründen die Zeitung nicht mehr lesen. Doch wo früher schon wie selbstverständlich die nächste Lesergeneration parat stand, die von Oma und Opa das Abo quasi übernahm, ist heute – nichts mehr. Gerade das jüngere Publikum erachtet die Lokalzeitung zunehmend als verzichtbar; nicht nur, aber auch aus Kostengründen. Dazu kommt, dass es zunehmend mehr junge Leser gibt, die schlichtweg mit dem Datenträger Papier nichts mehr anfangen können. Zumal auch jüngere Themen angesichts der Altersstruktur in der Redaktion kaum gemacht werden und sich jüngere Leser somit zunehmend weniger im Blatt wiederfinden.
Das Fazit
Wie gesagt, seine Schlussfolgerungen darf aus dieser Bestandsaufnahme jeder selbst ziehen. Ich habe mich intensiv bemüht, auch auf der Haben-Seite unserer Musterzeitung einiges zu entdecken. Ich habe aber beinahe nichts gefunden. Aber vielleicht sehe ich das ja auch nur zu düster. Wer mehr als ich auf der Haben-Seite sieht: In den Kommentaren ist noch reichlich Platz dafür.
Die Zeitung – auch die Musterzeitung – unterschätzt die Wichtigkeit des USP einer Zeitung: Sie hat ihren Vorteil in der Regionalität der Nachricht (http://bayartzconsulting.wordpress.com/verlags-beratung/) immer weniger gepflegt. Der einzigartige Vorteil über ‚Lokales ausgiebig und mit Hintergrund, Kommentaren und Geschichten‘ zu berichten, war den Zeitungs-Machern zu wenig. Hier haben andere Medien nach und nach den Zeitungen das Wasser abgegraben.
Meines Erachtens ist das der schwerwiegendste Fehler des Zeitungs-Managements – den sie bis heute nicht erkannt und revidiert haben.
Viel Spass bei der Zeitungslektüre
Hans Bayartz
Achtung: Print ist nicht gleich Zeitung. Print ist MEHR als Zeitung. Print ist beispielsweise AUCH Zeitschrift. Schade, dass das immer und immer wieder NICHT berücksichtigt wird. Bitte mehr Differenzierung bei der Beantwortung der Frage „Print lebt?“.
Mein mögliches Beispiel, wie so etwas aussehen könnte: http://juiced.de/16797/print-ist-tot-lang-lebe-print/
Best,
Daniel
Ach komm, da steht doch ganz groß, dass es um eine Tageszeitung geht. Und dass Print mehr ist als eine (Tages-)Zeitung, willst du mir doch jetzt nicht wirklich ernsthaft erklären, oder?
Neulich hat der Chefredakteur der Musterzeitung das Erscheinungsbild (für Profis: Layout) überarbeiten lassen. Sie jetzt schick aus und ganz anders als zuvor.
Nur leider hängen im ganzen Verbreitungsgebiet noch die alten Werbeschilder. An den Pressehäusern leuchtet das alte Logo und die Alte-Herren-Mannschaft des örtlichen Fußballclubs läuft in den alten Trikots herum.
Aufgefallen ist das der Chefetage drei Monate nach der Umstellung.
Und das Budget fürs neue Layout ist nun aber schon ausgeschöpft und die Geschäftsleitung will nichts nachschießen.
Der Kommentar von JUICEDaniel ist insofern witzig, als dass im verlinkten Artikel unter anderem auch Päng! als „Print lebt“-Beispiel genannt wird, aber Päng! vor etwa einem Jahr eingestellt wurde.
Das ist alles ganz wunderbar beschrieben, allein: Die Leidtragenden sind die Menschen in der Region der Musterzeitung. Von denen ja viele die Musterzeitung nur noch zähneknirschend lesen. Sich täglich drüber ärgern, und mit offenen Armen und Augen neue regionale Angebote wahrnehmen würden. Gerne hyperlokale. Doch die letzte Bastion der Musterzeitung, die sie vor dem Verschwinden rettet, sind ihre Informationsmechanismen. Sie macht es den Lesern zwar immer schwerer, die Art, wie die Informationen serviert werden, zu ertragen. Aber sie hat sie als einzige. Ein offenes Tor eigentlich, für alle, die es besser machen wollen und die nötigen Ressourcen haben, um das Info-Monopol anzugreifen.
Auf der Haben-Seite steht das treue und anspruchsvolle Publikum. Es wird zwar kleiner und die Leser werden auch älter, aber sie sind noch da – und wollen ihre alte Zeitung in akzeptabler Qualität behalten. Die meisten Leser nehmen die höheren Abopreise hin und auch, dass für die gedruckte Ausgabe weniger Ressourcen zur Verfügung stehen. Das bietet vielleicht keine langfristige Perspektive, aber für diesen Markt wird nach meinem Eindruck zu wenig getan. Die Stammleser hat man sowieso…
Aber ist jetzt ein kleiner und älter werdendes Publikum wirklich etwas, was man unbedingt auf die Haben-Seite packen muss? Einen sinkenden Kontostand würde man ja auch nicht als etwas Positives bezeichnen, nur weil auf dem Konto ja noch was drauf ist.
Doch. Den Vergleich finde ich sogar treffend. Mit 90.000 Euro kann man zum Beispiel eine Menge anfangen – auch wenn es ein paar Jahre zuvor noch 100.000 Euro waren.
Da hast du recht. Allerdings nur, wenn man auch wirklich etwas mit den 90.000 Euro anfängt. Wenn man einfach nur abwartet, sind auch diese 90.000 irgendwann mal weg 😉
Irgendwie ist der Titel dieses (sehr lesenswerten) Beitrages falsch: Von „Leben“ kann da kaum mehr die Schreibe sein.
Ja, wenn man sein Geld aber in immer wieder „neue“ Onlineformate steckt (die oft auch keine neue Innovation sind, sondern irgendwo abgekupfert wurden von Seiten/Ideen die schon jahrelang online sind) und kein Gewinn dabei bleibt – dann hat man auch nicht gewonnen. In der Musterzeitung werden die Online-Leute als goldenes Zukunfts-Kalb hochgelobt und die Printleute sind das „alte Eisen“ die verknöcherten Ewiggestrigen… Auch als Nicht-Digital-Native über 50 kann man noch gute Ideen haben und durchaus onlineaffin sein, auch wenn das von der Geschäftsführung weder gesehen noch eingefordert wird. Leider wird auch gerne übersehen, das es zwar Zuwächse bei Online und anderen neuen Geschäftsfeldern gibt, die schwarze Null dort aber meist noch in weiter Ferne liegt. Und das man mit dem ollen Anzeigen-Printgeschäft immer noch Gewinne einfährt von denen die Online-Eskapaden dann nach Try-and-Error Prinzip finanziert werden. Leider sind diese Gewinne stark rückläufig, das ist wahr. Aber statt sich auf das Wesentliche zu beschränken, das ist die Stärke im Lokalen, wird gespart, zugekauft wegen angeblicher Synergien – und am Ende schreiben sich die ganzen outgesourcten und natürlich tariflosen Konzerntöchter der Verlage dann gegenseitig Rechnungen… 🙁
Vieles ist ganz gut beschrieben, einiges deckt sich aber nicht mit meinen Erfahrungen mit und den Berichten einstiger Wegbegleiter aus anderen Regionalzeitungen. Hier einige Dinge, die ich anders wahrnehme:
1. Chefredaktion als Eigengewächs: Das ist nur sehr selten der Fall und meiner Meinung nach Teil des Problems. Mehrheitlich werden Posten in der Chefredaktion bis hinab zu Ressort- oder Lokalredaktions-Leitern mit Externen besetzt. Und denen fehlt leider oft das Gespür für die lokal wichtigen Themen. Natürlich kann eine gute Mischung aus Außenperspektive und lokaler Erfahrung eine Zeitung beleben, aber meist trauen die Verlagsleitungen ihren eigenen Leuten wenig zu und holen sich lieber Personal von zweifelhafter Eignung von außen.
2. Volontäre: Ob mangelnde Qualität der Bewerber, geringe Attraktivität des Lokalen und unbesetzte Stellen der Realität entsprechen, weiß ich nicht und bezweifle es eher. Ganz falsch ist nach meiner Erfahrung die Einschätzung, dass die jungen Leute schnell abspringen würden, weil ihnen das Lokale zu piefig wäre. Vielmehr ist es so, dass sie nicht übernommen werden.
3. Terminjournalismus: Die Geringschätzung des Terminjournalismus, die aus diesen Zeilen spricht, ist nicht angebracht. Das Problem ist doch eher, dass Lokalzeitungen heutzutage zu wenig oder falschen Terminjournalismus betreiben. Gerade bei wichtigen lokalpolitischen Terminen und Sitzungen sind zu selten Journalisten dabei, um Diskussionen und Entwicklungen wahrzunehmen, darzustellen, mit Recherche anzufüttern und zu kommentieren. Natürlich ist es nett, eigene Schwerpunkte zu setzen und ungewöhnliche Zugänge zu Themen zu erarbeiten, aber erst mal sollte die Redaktion überhaupt wieder dabei sein, wo was passiert, und das sind nun mal nicht zuletzt offizielle Termine.
Danke für deinen Kommentar. Nur zur Klärung: Diese Geschichten sind nicht von mir erfunden, ich behaupte auch nicht, dass sie in jedem Punkt repräsentativ sein müssen. Diese Zeitung existiert wirklich. So wie beschrieben. Nachdem aber in vielen (nicht in allen) Punkten Parallelen zu anderen Regionalblättern existieren, habe ich sie einfach mal Musterzeitung genannt. Zumal es mir nicht darum ging, eine einzige Zeitung quasi an den Pranger zu stellen. Deswegen steht hier auch nicht, um welches Blatt es sich handelt.
Eine interessante Debatte über eine n.m.E. Weitgehend korrekte Beschreibung des Status quo. Aber: welche journalistische Leistung könnte und sollte die „Musterzeitung“ in welcher Form anbieten, so dass ein Geschäftsmodell daraus wird?
Gute Frage. Wenn ich die jetzt soeben aus dem Stegreif beantworten könnte, wäre ich der meist gefragte Berater dieses Landes. Deshalb nur ganz generell gesagt: ich glaube, dass es vor allem Lokale und regionale Informationen sind, mit denen man auch weiterhin gutes Geld verdienen kann. Nur erstens nicht mehr aufgedruckten Papier. Und zweitens mit wirklichem Journalismus. Nicht mit schnell hin gehuschter Pseudo-Information.
Die Situation ist ja bekannt. Dass nun jeder seine Schlussfolgerungen selbst ziehen darf, finde ich nett. Aber wäre es nicht wünschenswert, sich über Alternativen Gedanken zu machen, anstatt immer nur am Krankenbett zu stehen und den sterbenden Patienten anzuglotzen?
Problem gut beschrieben. Aber es durch bessere Digitalstrategien nicht allein lösbar. Ohne Presse keine demokratisch verfasste Gesellschaft, die lebenswert ist. Man ahnt irgendwie, dass es so etwas wie eine „vierte Gewalt“ geben muss, weil sonst zu vieles zu sehr aus dem Ruder läuft. Aber warum soll denn der eine der dafür bezahlen, obwohl auch der andere davon profitiert? Das spürt man ganz konkret in Lokalredaktionen. Oft regen sich diejenigen am lautesten darüber auf, dass die Zeitung zu einem Misstand „nichts macht“, die sie selber nicht abonnieren. Auch wenn Verleger heute noch profitieren, eine Zeitung – sicher vor digitaler Manipulation und gewappnet auch für juristische Auseinandersetzungen – ist auf lange Sicht ein Solidarmodell. Guter Journalismus allein rettet nichts. Der wird „geteilt“, auf Facebook, und dabei durch Ausschneiden garantiert werbefrei.
Aber wie soll diese Solidarität entstehen? Ein Zwangsmodell wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann nicht die Lösung sein, die solche Modelle führen nur zu dem Bedürfnis der davon Abhängigen, irgendwie „mehr“ zu werden, um länger zu bleiben. Und eben der Ineffizienz und Inhaltsleere, wie wir sie bei den meisten Produktionen aus diesem Bereich erleben. Ich habe keine Antwort auf die Frage, wie sich die Solidarität mit der Zeitung herstellen ließe. Aber ohne sie gilt, was auch für Wahlen zutrifft: Wer in der Demokratie schläft, wacht in einer Diktatur auf.
@ cjakubetz: Mir ist schon klar, dass dir klar ist, dass Print mehr als eine (Tages-)Zeitung ist. Aber unterbewusst setzt sich bei den Lesern durch diese „Print lebt?“-Frage fest: Print ist tot. Und das finde ich schade.
Fast überall ist es das gleiche Bild: Print wird auf Zeitung reduziert und mit Online verglichen. Print vs. Online ist fast immer Zeitung vs. Online – was eben sehr einseitig ist. Wie z.B. dieser Artikel hier: https://spielraum.xing.com/2014/06/gar-nicht-heftig-das-medienverhalten-der-generation-y/ (Wahllos rausgegriffen, begegnet mir nahezu täglich.)
Anyways… will hier keine Off-Topic-Debatte vom Zaun brechen und nicht kleinlich sein. Du hast schon Recht, deine Überschrift weist sehr deutlich darauf hin, worum es hier geht. Von daher Sorry für meine überempfindliche Reaktion!
Pingback: Linkdump vom Mo, 11. August 2014 bis Mi, 10. September 2014 Links synapsenschnappsen
Wie meinte ein Kollege so schön, als ich ihm diesen Text präsentiert habe:“ich kann sowas nicht mehr lesen, tut mir leid. das problem: diese texte bewegen sich seit jahren auf dem gleichen stand. von den vordenkern denkt ja auch keiner weiter“. Recht hat. Wem hilft dieser Blogbeitrag? Außer vielleicht dem Autor sich zu profilieren? Und der Tatsache das er sich vom jetzigen Zustand distanzieren will. Kommt eines Tages DIE Lösung ist der Autor einer der ersten der schreibt, daß er es genauso auch gemacht hätte. Nur: Wo bleibt sein aktiver Beitrag?
„Ich denke auch, dass die Hyperlokalität weiterhin das Gold der Lokalzeitung bleiben muss – und auch bleiben kann. Wie man sehr erfolgreich diese Goldmine weiterhin selbst betreibt, zeigt zum Beispiel die Regionalmedien Austria in Österreich, die mit ihren 129 Wochenblättern genau diese Rolle des „medialen Nahversorgers“ (so bezeichnet sie sich selbst) übernimmt. Deren Strategie: Über alles informieren, was im Lokalen passiert. Da die 200 Redakteure nicht alle Themen abdecken können, wurde das Online-Portal für alle Menschen aus der Region geöffnet, so dass derzeit ca. 250.000 „Regionauten“ in Form von Privatpersonen das lokale Themensprektrum ergänzen. Dass davon nur ein Bruchteil in der gedruckten Zeitung landen kann, ist klar. Und es bleibt Aufgabe der Redakteure, Beiträge auszuwählen und für die Printausgabe zu redigieren.“