Drei Magazine, zweieinhalb gefeuerte Chefredakteure: Der Blick auf die drei wichtigsten Magazine Deutschlands zeigt, wie sehr das Thema „Digitalisierung“ inzwischen auch bei den Wochentiteln angekommen ist. Und wie wenig selbst den Großverlagen dazu einfällt.
In einer seiner letzten Ausgaben hatte der „Focus“ einen Titel darüber, wie man irgendwie sein Hirn wieder in Schwung bringen kann. Ich hatte die Ausgabe am Flughafen-Gate mitgenommen. Als dann im Flieger die Durchsage kam, dass man neuerdings sein iPad auch bei Start und Landung nutzen kann, habe ich die Ausgabe ungelesen wieder weggelegt. Ertappt hatte ich mich dabei, dass ich ein Magazin wie den „Focus“ nur noch in die Hand nehme, wenn ich für 5 Minuten beim Starten oder Landen mal eben Lektüre zum Durchblättern brauche. Aber irgendwelche Gehirntrainings? Himmel, nein, solche Geschichten gibt es wie Sand am Meer und wenn ich das denn unbedingt machen wollte, könnte ich solche Spiele im Netz dann auch gleich in die Praxis umsetzen.
Dominik Wichmanns letzte „Stern“-Ausgabe wartete unterdessen mit einem Titel darüber auf, dass es sich auf Deutschlands Autobahnen öfter mal staut, vor allem jetzt zur Ferienzeit. Und dass das Stress bedeute. Weil solche Magazine sich gerne über den wie auch immer gearteten „Nutzwert“ definieren, schrieb der „Stern“ auch noch brav auf seine Titelseite, dass es im Heftinneren Tipps gebe, wie man dem Stress entgehe.
Der „Spiegel“ hat in dieser Woche eine Nazi-Geschichte auf dem Titel. Das ist nicht gerade nutzwertig, beim „Spiegel“ jetzt aber auch nicht gerade eine Überraschung. Immerhin hatte der „Spiegel“ zu Mascolo-Zeiten auch mal eine Titelgeschichte über „Hitlers Uhr“ und damit den Beweis angetreten, dass man aus nahezu allem eine Geschichte machen kann, wenn „Hitler“ draufsteht.
Drei Magazine, drei Titelgeschichten. Und drei Chefredakteure, von denen zwei mit vielen warmen Worten gefeuert sind und einer öffentlich angezählt worden ist. Innerhalb von gerade mal drei Wochen. Das mag man für Zufall halten. Ist es aber nicht. Vielmehr zeigt der langsame Verfall der deutschen Magazine, wie sehr sich der Journalismus gerade verändert. Und wie sehr auch den Dickschiffen der Branchen plausible Antworten fehlen. Das beginnt bei der Personalauswahl und hört bei inhaltlichen Fragen noch lange nicht auf.
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Vielleicht muss man, um das eigentliche Problem zu begreifen, erst mal in die nahe Zukunft schauen. Denn zumindest „Stern“ und „Focus“ haben bereits Nachfolger für ihre Chefposten gefunden, ehe der bisherige Chefredakteur offiziell vor die Tür gesetzt worden ist. Es ist bezeichnend, dass sie sich für die homöopathische Lösung entschieden haben – nach dem Grundsatz: Gleiches mit gleichem behandeln. Beim „Stern“ kommt jetzt der bisherige „Gala“-Chef an die Spitze, beim „Focus“ der Ex-Chefredakteur der WAZ. Beides gestandene Printmänner. Kein einziger davon mit dem Ansatz einer Digital-Expertise. Was zeigt, wie sehr die Macher in den Verlagen immer noch ihren Fokus auf das Heft legen und dabei keinen einzigen Gedanken an die Möglichkeit verschwenden, dass ein Magazintitel mittelfristig nur noch eine Chance hat, wenn er sich als digitale Marke auf allen Kanälen positioniert. Es ist ebenso bezeichnend, dass Wolfgang Büchner mit seinem „Spiegel 3.0“ als einziger konkret in diese Richtung denkt und es nicht nur bei lauwarmen Willensbekundungen belässt, dass dieses Internet schon irgendwie auch ein bisschen wichtig ist. Was Büchner davon hat, sieht man ja jetzt. Dass die neuen Männer an der Spitze von „Stern“ und „Focus“ auch nur ansatzweise in diese Richtung denken, kann man sich derzeit kaum vorstellen.
Was sie aber wiederum anders essentiell anders machen wollen als ihre Vorgänger, erschließt sich nicht so ganz. Natürlich, man wird das übliche Branchengerede hören. Aber speziell der „Focus“ hat ja am eigenen Leib zu spüren bekommen, dass es mit ein paar besseren und „härteren“ Geschichten alleine in der digitalen Welt nicht mehr getan ist. Der „Focus“ hatte u.a. den Gurlitt-Skandal und die Hoeneß-Geschichte als erster. Gebracht hat es ihm ungefähr gar nichts. Davon hätte man in analogen Zeiten lange zehren können, nicht aber in einer „always-on-Zeit“. Möglicherweise – halt, nein: ganz sicher – werden die neuen Männer an den Spitzen beider Magazine ein paar Dinge neu justieren. Aber nur mit dem Heft alleine wird sich das Überleben auf dem Markt dauerhaft nicht sichern lassen.
Es wäre also keine ganz schlechte Idee, würde man sich konzeptionell Gedanken machen, wie man das Blatt und das Online-Angebot enger miteinander verzahnen könnte. Das ist weniger eine organisatorische Frage als eine inhaltliche. Denn tatsächlich haben sich Print und Online bei „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ in den letzten Jahren inhaltlich eher voneinander entfernt, als dass man das als eine konsequente Strategie auf allen Kanälen wahrnehmen könnte.
Beispiel „Spiegel“: Das Heft kommt immer noch daher mit dem Anspruch, ein kerniges Nachrichtenmagazin zu sein (trotz aller Rückenschmerzen-Titel). „Spiegel Online“ hingegen hat sich schon lange zu einem eher bunten Sammelsurium des Tages entwickelt. Erfolgreich in der Breite, auch und vor allem deswegen, weil man sich dort nicht scheut, bunte Geschichten an exponierter Stelle zu fahren und sich möglichst massenkompatibel zu geben. Eine Klickstrecke über eine Pandabärin, die eine Schwangerschaft vortäuscht – das ist eben „Spiegel Online“. Wie weit das zu einem Nachrichtenmagazin mit dem Anspruch des „Spiegel“ passt, lässt sich diskutieren…
Beispiel „Focus“: Ulrich Reitz wird vermutlich den politischen Anspruch des „Focus“ und dessen Seriosität und sein Gewicht herausstellen. Könnte allerdings ein Problem mit der Glaubwürdigkeit geben, wenn sein Online-Chefredakteur Daniel Steil weiterhin darauf setzt, Geschichten über das „heiße Nacktbaden“ bei „Promi Big Brother“ zu bringen. Wenn das Blatt gerne der konservative „Spiegel“ wäre und die Online-Ausgabe nur eine mühevoll gezähmte und etwas weniger hechelnde Variante der „Bild“ ist, verzweifelt jeder Marketingstratege. Und ja, Seriosität im Journalismus hat schon auch was mit dem Umfeld zu tun, in dem sie sich bewegen soll. Leitartikel zur Lage der Nation und heißes Nacktbaden, das beißt sich.
Bei „Focus Online“ findet sich heute auch diese hübsche Passage: „Paul und Alexandra und Mia und Aaron. Da knistert es heftig im „Promi Big Brother“-Container. Alexandra sagt über die Flirterei: „Paul und ich haben einen sehr, sehr engen Draht. Ich habe schon eine starke Verbindung zu ihm. Paul ist auf jeden Fall ne Schnitte, hübscher Kerl.“ Heißt: Sie findet ihn heiß, er hat sich noch nicht geäußert. Solo sind sie beide.“
Da darf man gespannt sein, ob sich der neue Chefredakteur auch mal Gedanken darüber macht, inwieweit „Focus“ und „Focus Online“ überhaupt noch zusammenpassen…
Und der „Stern“? Hat „stern.de“. Das einzige, was mir von „stern.de“ in Ernennung ist, ist die Ankündigung des damaligen Chefredakteurs Frank Thomsen, demnächst „Spiegel Online“ überholen und die Nummer 1 der deutschen Webseiten werden zu wollen. Das war vor etlichen Jahren. Thomsen ist inzwischen wieder zum Blatt zurückgekehrt und der Online-Ableger ist…nun ja, vorhanden.
Umgekehrt lohnt sich der Blick auf die „Zeit“ und „Zeit Online“. Ob man das Blatt nun mag oder nicht, unbestritten ist: Kein Wochentitel in Deutschland führt online so konsequent fort, was es gedruckt ist. Wo „Zeit“ draufsteht, ist „Zeit“ drin. Ohne Wenn und Aber. Wer die Online-Ableger von „Spiegel“ und „Focus“ anschaut, landet hingegen in einer sehr eigenen Welt. Das mag kurzfristig beim Blick auf Klicks und Quote vielversprechend sein. Die eigentliche Marke stärkt man damit ganz sicher nicht. Nach allem, was man hört, geht es der „Zeit“ erstaunlich gut. Vielleicht denken die Kollegen in Hamburg und München ja mal darüber nach, ob das auch andere Gründe als den Chefredakteur haben könnte.
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Problem Chefredakteur? Speziell der „Focus“ hat in den letzten Jahren ungefähr alle Varianten mal probiert. Den konservativen Haudrauf, den politischen Feingeist, den Nutzwert-Handarbeiter. Jetzt kommt wieder jemand, der das konservative Blattmachen als Lebenselixier hat. Ebenso beim „Stern“. Und auch bei den Kandidaten, die beim „Spiegel“ als potentielle Nachfolger für Wolfgang Büchner genannt wurden, war kein einziger dabei, den man mit dem Digital-Thema in Verbindung gebracht hätte. Dabei haben die Wochenblätter mit dem Netz ebenso zu kämpfen wie die Tageszeitungen – man hat nur bisher weniger darüber gesprochen. Tatsächlich ist aber gerade das Manko einer wöchentlichen Erscheinungsweise nur dann wettzumachen, wenn die Marke ihre Geschichte auch durch die Woche hindurch erzählen kann. Wenn sie für den Nutzer als gegenwärtig wahrzunehmen ist. Und als relevant. Wer seinen Lesern montags von Weltpolitik und dienstags von heißem Nacktbaden erzählt, hat ein Problem. Das wird sich nicht ändern, solange weiter an den Spitzen der Blätter Blattmacher stehen, die sich zwar mit viel Liebe zum Detail einem Softrelaunch im Blatt widmen, alle anderen Kanäle ihrer Marke außer acht lassen. Aktuell würde es mich reizen, den designierten „Fcous“-Chef mal zu fragen, ob er weiß, wie Instagram tickt. Oder YouTube. Vine, Storify, Popcorn, Pageflow. Und ob er dafür irgendeine Idee hat, die darüber hinausgeht, Werbung für die kommende Print-Ausgabe zu machen.
Eine Zeitlang hatte ich ja auch mal gedacht, dass die Grabenkämpfe zwischen Print und Digital vorbei seien. Zumal sich ja nicht nur die „Süddeutsche“ den Herrn Plöchinger, sondern auch der „Stern“ mit Anita Zielina eine ausgesprochene Könnerin in die Chefredaktion geholt hatte. Inzwischen ahne ich, dass ich mich getäuscht habe. Weil in 98 Prozent aller Fälle zwar inzwischen die Online-Redaktionen wenigstens nicht mehr das Schicksal publizistischer Kellerasseln zu tragen haben. Aber direkt Einfluss auf die Unternehmensstrategie, auf das gedruckte Blatt bekommen sie nur selten.
Womit wir wieder beim „Spiegel“ wären. Mehr Einfluss der Onliner auch aufs Blatt, nicht weniger als das steht hinter der Idee von „Spiegel 3.0“. Anders wird sich im digitalen Zeitalter kein journalistisches Produkt machen lassen. Genau hier beginnt aber der neue Grabenkampf.
Die letzten beiden Wochen bei „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ haben genau eines gezeigt: Daran wird sich auch in nächster Zukunft nichts ändern. Die aktuellen Personalentscheidungen sind der beste Beleg dafür.