Der „Spiegel“ und ich – das ist wie eine lange Ehe. Die von der Liebe zur Zweckgemeinschaft erkaltet ist. Aber mit ein bisschen mehr neuem Pepp wäre diese Beziehung schon noch zu retten. Auch wenn langsam der Glaube schwindet.
Von den internen Verhältnissen und Vorgängen beim „Spiegel“ habe ich natürlich keinerlei Ahnung. Deshalb weiß ich auch nicht, ob diese Geschichte aus der „Berliner Zeitung“ stimmt und wie sie einzuschätzen ist. Ich würde mir auch keinerlei Urteil über einen Chefredakteur und dessen Arbeit erlauben, wenn ich ihn nicht kenne.
Aber über den „Spiegel“ erlaube ich mir eines. Zumindest aus der Sicht eines interessierten Lesers. Oder besser gesagt: eines zunehmend gelangweilten Lesers.
Also, lieber „Spiegel“ wenn ich da mal eine Bitte äußern dürfte: Könntet ihr mich in Zukunft wieder etwas weniger langweilen, etwas weniger ritualisiert daherkommen, ein bisschen was von eurer Attitüde ablegen und möglicherweise öfter wieder solchen Lesestoff bieten, dass ich mein iPad nicht mehr aus der Hand legen will? Es ist nämlich so, dass ich euch schon ziemlich lange lese und deswegen inzwischen einige Dinge, nun ja, quasi antizipieren kann.
Mit tödlicher Sicherheit habt ihr in einer Ausgabe eine Geschichte über einen Politiker/Funtionär/Manager drin, der kurz vor dem Fall steht. Und mit ebenso tödlicher Sicherheit raunt ihr dann was im Sinne von „Schon formieren sich die ersten Kritiker…“.
Ein „Spiegel“ ist nicht ein „Spiegel“, wenn nicht mindestens irgendeine Gesetzesvorlage zur künftigen Mindestgröße von Regenabflussrohren als wenigstens dilettantisch beschrieben wird. Beliebte Formulierung bei diesem Thema: „Jetzt rächt sich, dass…“
Einmal pro Jahr beglückt ihr mich mit der Feststellung, dass die CDU/SPD/sonstige künftige Regierungspartei zum Kanzlerwahlverein verkommen ist. Das habe ich gelesen über: Kohl. Schröder. Merkel. Verbunden ist meistens die Feststellung, dass es der CDU/SPD/allen anderen Parteien spürbar an geeignetem Nachwuchs fehlt.
Irgendeine Straße/Bahntrasse/Bauwerk ist nicht rechtzeitig fertig geworden/wird nicht rechtzeitig fertig. Beliebtes Einsprengsel in ungefähr jeder dritten Ausgabe.
Ganz neu und dafür umso gruseliger: der Konsenskommentar. Ich bin meistens nicht einer Meinung mit Jan Fleischhauer oder Jakob Augstein, aber über die kann ich mich wenigstens halbwegs ordentlich aufregen. Der Konsenskommentar lässt mich meistens schulterzuckend zurück. Ihr braucht sicher keine Ratschläge von mir, aber eines habe ich mir früh zur Gewohnheit gemacht: Wenn ich Kommentare schreibe und bekomme ihn nach dem Gegenlesen mit einer Anmerkung wie „Sind keine Fehler drin“ zurück, werfe ich ihn weg. Eure Konsenskommentare sind meistens frei von Fehlern, aber ungefähr so aufregend wie Regenwetter in Hamburg. Momentan warte ich nur noch auf einen Kommentar, der mit dem Satz „Bleibt zu hoffen…“ endet.
Gerade im Moment überlege ich angestrengt, welche Geschichte aus den letzten Ausgaben bei mir irgendwie haften geblieben ist. Wahrscheinlich ist das jetzt ungerecht und euch fallen auf den Schlag irgendwelche lesenswerten Stücke ein, aber in meiner Erinnerung ist da: Langeweile. Das letzte wirklich bemerkenswerte Stück war das von Cord Schnibben über die Nazi-Vergangenheit seiner Familie, das habe ich verschlungen. Aber sonst? Ja, kann man alles machen, was ihr macht, Muss man aber nicht. Für mich ist es einigermaßen schlimm, so einen Satz hinzuschreiben. Weil ich sonst sowas nur beim „Focus“ denke.
Achja, dann habt ihr ja auch noch „Spiegel Online“, das ihr jetzt irgendwie näher ans Blatt führen wollt, was aber anscheinend gar nicht so einfach ist. SPON war für mich mal vor etlichen Jahren das Maß der onlinejournalistischen Dinge, weil dort immer wieder mal Neues und Aufregendes passiert ist. Inzwischen ist SPON so aufregend wie….ach nö, halt, den Regenwetter-Vergleich hatten wir ja schon. SPON ist wie eine publizistische Verwaltungsbehörde. Das ist alles ok, man schaut zweimal am Tag rein, weil man als Journalist ja auch einmal täglich in den Ticker einer Nachrichtenagentur schaut. Dass ihr laut „Berliner Zeitung“ gerne den Kollegen Stefan Plöchinger zurückgehabt hättet, glaube ich euch in dem Zusammenhang gerne. Weil der euch jeden Tag bei „süddeutsche.de“ vormacht, wie man ein gutes und erfolgreiches Nachrichtenangebot macht, das sich trotzdem permanent entwickelt. Blöd jetzt, dass der angeblich lieber in München bleibt, bei euch hätte er sicher eine lohnenswerte Aufgabe gefunden (wenn man mal davon absieht, dass in München auch das Wetter meistens besser ist).
Wie gesagt, ich kenne eure Interna nicht und sie sind mir auch vergleichsweise egal. Aber als Leser habe ich mehr und mehr den Eindruck, dass es euch nicht schaden könnte, wenn ihr mal alle Fenster aufmacht und ordentlich durchlüftet. Wenn ihr mal eure Routinen hinter euch lasst. Weil ich euch ja immer noch mag, trotz alledem.
Trotzdem, es ist so ein bisschen wie in einer alten Ehe: Ab und an mal wieder ein bisschen Spannung in die Beziehung bringen, das würde uns ganz gut tun.