Jetzt also der „Mannheimer Morgen“: 40 Arbeitsplätze sollen dort im Lauf der nächsten Zeit wegfallen, 20 davon in der Redaktion. Die Branche nimmt solche Nachrichten inzwischen schulterzuckend zur Kenntnis. „Nur“ 40 Jobs sind immer noch besser als die nächste Insolvenz. Und ist diese Sache mit der Zeitungskrise nicht ohnehin unvermeidbar in Zeiten des Internets, das alles kaputt macht? Dabei zeigt genau dieser fatalistische Gedanke, dass in vielen Häusern noch immer eine essentielle Sache nicht verstanden wurde: Das Netz ist nur Teil des Problems. Ein kleiner Teil zudem. Der viel größere ist in vielen Fällen: das eigentliche Produkt. Das Blatt. Ein Überbleibsel aus den 80er Jahren, das man jetzt irgendwie noch in die Neuzeit hinüber retten will.
Was denn? Nicht das Netz als Ursache, als digitaler Borkenkäfer für Zeitungen, der langsam aber beständig alles auffrisst, was zuvor in jahrzehntelanger Arbeit aufgebaut worden ist? Wenn man eine solche These vertritt, wird man gerne angeschaut als würde man behaupten, der einzig verdiente Weltmeister 2014 wäre eigentlich England gewesen. Selbst bei denen, die es betrifft: Natürlich ist das Netz schuld an der Misere, wer denn sonst? Als vor kurzem der Kölner Zeitungsforscher Andreas Vogel die These vertrat, die Online-Medien seien nur ein nachrangiger Grund für den Niedergang, erntete er neben dem Erstaunen naturgemäß auch einiges an Widerspruch. Dabei hatte man es sich doch gerade so bequem gemacht in der Kuschelecke der einfachen Erklärungen.
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Als wir zum letzten Weltmeister waren, hatten Zeitungen so viel Auflage wie noch nie in Deutschland. Die Zahlen näherten sich der 30-Millionen-Grenze. Es gab noch keine Liveticker und kein Twitter und diesen ganzen anderen Kram, der in Beinahe-Echtzeit alles vorweg nahm, was eigentlich doch erst am nächsten Tag in der Zeitung stehen sollte. Davon abgesehen prophezeite ein gewesener Bundes-Kaiser damals gerade, die deutsche Mannschaft werde auf Jahre hinweg unschlagbar sei, weil zu dieser Weltmeister-Truppe jetzt auch noch der ganze Osten dazu komme. Damals wusste man allerdings auch nicht, dass neben dem Osten auch erst Berti Vogts und dann Erich Ribbeck kommen würden. Hätte man das eher gewusst, hätte vermutlich nicht mal der Kaiser einen solchen Firlefranz erzählt. Aber so ist das eben: Wie soll man schon wissen, was in der Zukunft wirklich passiert? Manchmal liegen sogar Beckenbauers hoffnungslos daneben.
Bei den deutschen Zeitungsverlagen hat damals zwar niemand behauptet, dass ihre Produkte über Jahre hinweg unschlagbar sein würden. Aber dass man in ernsthafte Probleme kommen könnte, das hatte man sich auch nicht gedacht. Wie auch, wenn man gerade auf dem Auflagengipfel steht?
Dabei – und damit kommen wir endlich zu dem Punkt, um den es eigentlich geht – hatte es schon viel früher die ersten Anzeichen gegeben, dass das mit der Unbesiegbarkeit ein Trugschluss sein könnte. Genau genommen: Schon Mitte der 80er-Jahrem also vor rund 30 Jahren, begannen die Auflagen zu stagnieren und leicht zu sinken. Es ist also einer der größten Denkfehler überhaupt, wenn man glaubt, dass erst ab den 90ern, irgendwann mit Beginn der Regentschaft von Berti Vogts, die Abwärtsspirale einsetzte. Tatsächlich begann die Bedeutung der Tageszeitung schon mit dem Beginn der privaten elektronischen Medien in Deutschland langsam zu sinken. Eine im Übrigen völlig nachvollziehbare Entwicklung: Je größer die Zahl der Angebote, desto geringer ist der Marktanteil der einzelnen Anbieter. Dass es in den 90er-Jahren noch einmal zu einem Auflagen-Höchststand mit über 27 Millionen kam, ist ebenso einfach und plausibel zu erklären: ein Sondereffekt der deutschen Einheit.
Seit 1991 aber kennen die Auflagenzahlen nur noch eine Richtung: nach unten. Nie dramatisch, ohne größere Veränderungen zudem. Aber eben auch: konstant und ohne jede Verlangsamung (einzige Ausnahme war das Jahr 2005, in dem die Auflagen stagnierten)
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1991? War da was (außer dass auch der deutsche Fußball sich in die Abwärtsbewegung verabschiedete)? Es gab kein www, keine Handys, keine Tablets. Keine sozialen Netzwerke, keine TV-Sender, die plötzlich ebenfalls um die Gunst der Zeitungsleser buhlten. Kurzum: Nichts hatte sich geändert, von Medienwandel keine Spur. Und trotzdem begannen die Zeitungen wieder, an Auflage und an Bedeutung zu verlieren. Da fällt es ein bisschen schwer, an die Geschichte vom bösen Netz zu glauben, das eine blühende Zeitungslandschaft ohne Voranmeldung gnadenlos zerstört. Das klingt ein bisschen nach der Geschichte einer digitalen Dolchstoßlegende.
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Am vergangenen Wochenende war ich mal wieder in Passau, was übrigens immer einen Besuch wert ist, wenn ich diese Empfehlung mal unaufgefordert aussprechen darf. Sieht man davon ab, dass Passaus Altstadt wirklich sensationell schön ist, handelt es sich dabei um eine stinknormale Stadt mit knapp 50.000 Einwohnern, in der es seit gefühlt 200 Jahren eine einzige Tageszeitung gibt. Und weil ich gerade in der entsprechenden Laune war und noch etwas Zeit bis zu meinem Zug hatte, habe ich mir am Bahnhof eine Ausgabe gekauft (gerne geschehen, liebe Ex-Kollegen). Man muss die „Passauer Neue Presse“ einfach mögen. Zumindest dann, wenn man es mit Veränderungen nicht so sehr hat und an es zu schätzen weiß, wenn manche Dinge immer noch so sind wie früher. Die gute alte PNP jedenfalls sieht im Wesentlichen nicht sehr viel anders aus als 1991 und das journalistische Prinzip dahinter ist auch immer noch das selbe. Verändert hat sich allerdings, dass es Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre immer wieder neue Jubelmeldungen auf der Titelseite gab: Heute mit neuer Rekordauflage! Unter Hinzurechnung aller erlaubten und halb erlaubten Mittel landete man kurzzeitig sogar über der Marke von 200.000 Exemplaren. Heute liegt man bei knapp 160.000 – und dass auch diese Zahl demnächst unterschritten wird, ist so sicher wie das Amen in den Passauer Kirchen.
Alleine diese Zahl müsste zu denken geben: ein Auflageverlust von rund 40.000 Stück in gerade mal zwei Jahrzehnten. In einer Region, in der es ansonsten keine ernstzunehmenden Mitbewerber gibt, zumindest nicht im eigentlichen Kerngeschäft. Und auch hier fällt auf: Der Auflagenrückgang begann schon zu einer Zeit, in der man vom Netz noch nicht mal träumte.
Aber ist das wirklich ein Wunder? Das Produkt (regionale) Tageszeitung hat sich in sehr vielen Fällen bestenfalls etwas weiter entwickelt. Aber im Kern stammt es immer noch aus einer Zeit, die selbst für heute 30-Jährige weit entfernt ist. Das Prinzip ist immer noch: Wir fassen die große weite und die kleine lokale Welt auf 30 oder 40 Seiten zusammen (mit eintägiger Verspätung). Die Seite 1 sieht immer noch aus wie die „Tagesschau“ von gestern, inzwischen im Zuge der Evolution ab und an auch mit ein paar lokalen Einsprengseln versehen. Chefredakteure gefallen sich nach wie vor in der Kommentierung der neuesten Entwicklungen in Syrien. Danach kommt dann ein bisschen Politik, ein bisschen Wirtschaft, etwas mehr Sport und so mittelmäßig viel aus dem Lokalen. Das war noch ok zu einer Zeit, als Beckenbauer mit seinen Deutschen Weltmeister wurde. Aber damals war die Übertragung des Finales auch nach der Siegerehrung sofort vorbei und ein paar hupende Autos auf der Straße wurden schon als eine emotionale Aufwallung nationalen Ranges bewertet. 24 Jahre später jedenfalls kann man so nicht mehr Zeitung machen.
Am lustigsten war übrigens in diesem Zusammenhang die „Abendzeitung“ in München, die das legendäre 7:1-Halbfinale leider nicht mehr mitnehmen konnte und deswegen am nächsten Tag titelte: Immer mehr Senioren trinken. Als ich das gesehen habe, habe ich kurzzeitig überlegt, ob ich nicht auch zu saufen beginnen soll. Man erträgt dann manches eindeutig leichter.
Tatsächlich also ist es nur die eine Hälfte der Wahrheit, wenn jetzt verstärkte Investitionen in den digitalen Journalismus gefordert werden. Das funktioniert aber erst dann vernünftig, wenn man die andere Hälfte der Wahrheit auch kapiert: dass sich nämlich auch das eigentliche Kernprodukt ändern muss. Nicht in Form von ein paar mehr oder weniger hübschen Retuschen. Nicht mit geänderten Fonts oder ein bisschen mehr lokalen Inhalten im Mantel. Es nutzt ja nichts, wenn man ein adäquates Onlineprodukt abliefert und dazu eine Zeitung, die leicht abgestanden riecht.
Aber dazu müsste man eben erst einmal diese Erkenntnis haben. Die, dass es eben nicht das Netz ist, das es den Zeitungen so schwer macht. Sondern dass es die Zeitung selbst ist, die man sich gelegentlich etwas genauer anschauen sollte.
Der „Mannheimer Morgen“ jedenfalls, um wieder an den Anfang zurückzukommen, baut jetzt erst mal Stellen ab. Eine ziemliche beliebte Strategie in diesen Zeiten. Wenn man allerdings danach das gleiche Produkt nur mit ein paar Leute weniger macht, sollte man sich über nichts wundern. Nicht mal darüber, dass Fußball-Deutschland sogar die Jahre mit Erich Ribbeck überstanden hat.
Was allerdings dann auch wieder seinen Grund hat: Nach Ribbeck und Völler kamen radikale Reformer. Seit Sonntag könnte man sogar eine Ahnung haben, warum das eine gute Idee war.
Mir fehlt da irgendwie der Küchenzuruf. Vermutlich das übliche „ihr müsst alles ganz anders machen, aber ich verrate euch nicht wie“, oder? 😉
Aber, aber Christian. Du sollst doch nicht immer alles über einen Kamm scheren. Ganz so doof sind die Zeitungsmacher auch nicht.
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Über den lokalen Chefredakteur mit Syrien-Kommentar habe ich sehr gelacht- der ist einfach typisch zwischen Ostsee und Alpen. Noch typischer ist dann der, der auf „Reaktionen“ aus Damaskus wartet. 🙂 Richtig ist, es ging schon vor dem Internet los. Der Grund liegt aber erst einmal beim Leser. Es gibt ihn in der Art von 1990 nicht mehr. 99% der Nachrichten einer Lokalzeitung sind für moderne Leser ohne jegliche Relevanz. Das Problem: Für die Zahl 99% ist völlig unerheblich ob die Lokalzeitung gut oder schlecht gemacht wird. Das Internet war dann nur noch der Brandbeschleuniger, der es ermöglichte, das eine interessante Nachrichten-Prozent auch auf anderen Wegen zu finden ohne im Bündel die 99% mit kaufen zu müssen. Die Erkenntnis war auch für mich schmerzlich, aber in der digitalen Welt gibt es keinerlei Bedarf für Lokalzeitungen. Egal ob gut oder schlecht. Der Markt existiert nicht. Es werden keine Revolutionäre kommen, es wird dahinsiechen bis der letzte Alt-Leser verstorben ist.
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