Vor drei Wochen hat der „Spiegel“ eine Titelgeschichte von Cordt Schnibben und die Nazi-Vergangenheit seines Vaters gemacht. Vor zwei Wochen befasste sich der Titel damit, dass es angeblich immer mehr Menschen gibt, die mit über 40 Eltern werden. In dieser Woche fragt sich der „Spiegel“ auf dem Titel, ob es womöglich bald wieder Krieg in Europa gibt (Antwort: vermutlich eher nicht).
Die Kollegen vom „Stern“ haben zwischenzeitlich eine Titelgeschichte über veganes Leben gemacht. Davor gab es Titel über alles Mögliche, ich weiß nur nicht mehr genau, was es war. Was der „Focus“ getitelt hat, weiß ich beim besten Willen nicht mehr, im Zweifelsfall könnten es ein paar Listen gewesen sein oder auch Gesundheitstipps.
Das steht hier, weil es vergangene Woche eine interessante Meldung zum Thema Auflagen gegeben hat. Demnach geht es den Zeitschriften in Deutschland auch nicht mehr unbedingt gut – auch den zweieinhalb publizistischen Flaggschiffen „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ nicht mehr. Zusammen mit dem seit Jahren anhaltenden Abwärtstrend der Tageszeitungen könnte man jetzt wieder in das übliche Lamento über den Niedergang von Printmedien anstimmen. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit. Denn am Trägermedium alleine liegt es nicht, dass der Journalismus auf gedrucktem Papier zunehmend schwierigeren Zeiten entgegen geht.
Bleiben wir deshalb nochmal kurz beim „Spiegel“ – der „Stern“ hatte sich ja schließlich schon immer als eine gedruckte inhaltliche Wundertüte definiert. Natürlich kann man das schon machen: eine Woche mit Nazis aufmachen und dann wieder mit alten Eltern. Das ist schließlich über Jahrzehnte das Prinzip von Wochentiteln gewesen: Man bildet ungefähr alles ab, was in Deutschland und der Welt passiert, so ein wöchentlicher Welterklärer kann ja auch mal ganz nett sein. Nur: Braucht es den noch, wenn es alle diese Themen sehr viel umfangreicher auch im Netz gibt? Schafft man es wirklich, so unterschiedliche Interessen und Themen und damit auch Zielgruppen hinter einem einzigen Titel zu versammeln? Das ist ja auch die Frage, der sich die Tageszeitungen stellen müssen: Ist es ein Konzept, alles ein bisschen gut zu können, alles ein klein wenig anzureißen, nirgends aber in die Tiefe zu gehen?
Das Prinzip „Wundertüte“ kommt langsam an sein Ende. Das ist kein Problem, das Printmedien exklusiv für sich haben, auch das analoge TV beispielsweise steht zunehmend vor dem Problem, dass sich Nutzer die Inhalte, die sie wirklich sehen wollen, irgendwo rauspicken – und nicht warten, ob zwischen Nachrichten, Spielfilmen, Ratgebersendungen und Sportübertragungen möglicherweise auch mal eine Serie kommt, die sie interessiert. Man könnte auch sagen: Das Nutzerverhalten wird durch die unfassbaren Mengen, die es in der digitalen Welt gibt, zunehmend selektiver. Weil es gar nicht mehr anders geht.
Was können, was müssen Redaktionen tun? Sich eindeutig positionieren. Klare Haltungen einnehmen. Zur Community werden. Nein, nicht durch eine Facebook-Seite, sondern durch Kompetenz und Zugehörigkeit zu einem Thema, zu einem Lebensgefühl. Zugehörigkeit zu einer Community, das ist es, für was Nutzer im Zweifelsfall auch zu zahlen bereit sind.