Auf die Idee muss man ja erst mal kommen: Da ist die „Abendzeitung“ in die Insolvenz gegangen – und erhöht jetzt mal eben die Preise. Und zwar nicht so, wie man das gewohnt ist, die verschämten zehn Cent, über die man dann auch noch lange Erklärstücke schreibt. Von wegen, dass irgendwie alles teurer geworden ist und dass die Zeitung XY natürlich dennoch auch weiterhin die gewohnte Qualität liefere und dass man weiterhin zu den preisgünstigsten Blättern auf der ganzen Welt gehöre. Nein, die AZ verlangt künftig für die Wochenausgabe 1 Euro und am Wochenende 1,20. Damit ist sie die mit Abstand teuerste Boulevard-Zeitung Deutschlands und fast doppelt so teuer wie ihre Münchner Mitbewerber.
Spinnen die, könnte man sich jetzt fragen. In die Insolvenz gehen und als Konsequenz daraus die Preise ganz erheblich anheben, das wäre in jeder anderen Branche Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Der „Abendzeitung“ würde ich für diesen Schritt gerne stehend applaudieren. Sieht man davon ab, dass sie ohnehin nichts mehr zu verlieren hat: Erstens können die Leser jetzt mal selbst zeigen, was ihnen ihre AZ wert ist (oder ob überhaupt). Wenn nicht, dann muss man leider festhalten: Ok, offensichtlich will das Publikum eine gedruckte AZ nicht mehr. Zweitens: Man kann sich auch ohne betriebswirtschaftliche Kenntnisse ausrechnen, wie weit eine Zeitung mit einem Copypreis von 60 Cent kommt. Das ist ein Zwitter: Dann macht man entweder gleich ein Gratisblatt draus – oder man versucht, einen marktgerechten Preis zu erzielen.
Dass sich Journalismus und Journalisten seit etlichen Jahren zu wenig selbstbewusst und deutlich unter Wert verkaufen, ist keine Feststellung, die dann anschließend in einem Genöle über die vermeintliche Kostenlos-Mentalität endet. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass man für guten Journalismus auch gutes Geld verlangen darf. Und ja, eine gut gemachte Zeitung darf und muss mehr Kosten als ein Päckchen Kaugummi. Insofern, auch wenn das aus der Verzweiflung geboren ist: Die Preiserhöhung ist ein mutiger und richtiger Schritt der AZ.
Und sie wird, ob sie das will oder nicht, zu einer Probe aufs Exempel: Sieht ihre Zukunft womöglich so aus, dass sie irgendwann wochentags nur noch kostenlos im Netz und am Wochenende zudem gedruckt und gegen einen passenden Preis verkauft wird? Dass derjenige, der unbedingt bedrucktes Papier in die Hand nehmen will, dafür auch tatsächlich seinen Preis bezahlen muss? Es wäre ein Modell, das nicht ganz wenige Menschen schon vor Jahren als Zukunft für die Zeitungen prophezeit haben – das aber gleichzeitig immer als schwer vorstellbar erschien. Vielleicht werden wir ja in ein paar Jahren sagen: Die AZ, das war der Anfang. Dem dann viele andere gefolgt sind.
Der AZ jedenfalls drücke ich aus den unterschiedlichsten Gründen alle Daumen. Und wer zufällig in München ist , der sollte ruhig mal zur AZ greifen. Ob die jetzt einen Euro oder 60 Cent kostet: Wem es das nicht wert ist, der muss sich vermutlich fragen, ob ihm Journalismus überhaupt etwas wert ist.
Journalismus ist mir durchaus etwas wert, ob die taz auf Papier oder die SZ auf dem Tablet.
Für die AZ jedoch mit Aufmachern wie „Handwerkerärger – das sind Ihre Rechte“,“Richtig Einkaufen an Ostern“ oder „Das verdienen die Münchner“ sind mir sogar 20 Cent zu viel.
Denn das hat mit Journalismus nichts zu tun.