Die Abendzeitung in München hat einen Insolvenzantrag gestellt – und selten war ein solcher Antrag eine geringere Überraschung als in diesem Fall. Das ist, vorweg genommen, eine sehr traurige Geschichte. Nicht nur wegen der Kollegen dort, die vor allem in den letzten Jahren einen guten Job unter ausgesprochen schwierigen Bedingungen gemacht haben. Sondern auch, weil die AZ nicht einfach nur eine Zeitung ist. Die Abendzeitung, das war und ist auch immer noch ein Stückchen Münchner Lebensgefühl. Wer jemals „Kir Royal“ gesehen hat, weiß was ich meine.
Die Insolvenz der AZ ist aber – leider- auch eine Geschichte, die einiges über die Tageszeitungs-Branche, ihre jüngste Vergangenheit und ihre Zukunft aussagt. Sie ist ein ungewolltes role model und ein Beleg dafür, dass diejenigen, die schon seit etlichen Jahren den Tageszeitungen große Probleme prophezeien, keineswegs die Kassandra-Rufer und Nörgler sind, zu denen sie gerne gemacht werden. Es geht dabei nicht darum, ein „Ich hab´s euch ja schon immer gesagt“ in die Welt zu posaunen. Stattdessen zeigt die traurige Geschichte der AZ, wie groß die strukturellen Probleme der Branche sind, was in den vergangenen Jahren alles versäumt wurde und warum es von Jahr zu Jahr schwieriger wird, das Ruder doch noch herumzureißen.
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Arno Makowsky ist vom „Medium Magazin“ im Jahr 2008 zum „Journalist des Jahres“ gewählt worden. Mit einiger Berechtigung. Als Makowsky sein Amt als neuer Chefredakteur antrat, fand er eine Zeitung vor, die inhaltlich nur noch ein Trümmerhaufen war. Makowskys Vorgänger in der Chefredaktion hatten konsequent alle Trends verpasst, die für eine lokale Tageszeitung relevant gewesen wären. Die AZ wollte zu dieser Zeit irgendwie ganz groß sein, keine kleinen, miefigen Münchner Themen fahren, sondern in der Liga der überregionalen Blätter mitspielen. Im Netz passierte zu dieser Zeit ungefähr gar nichts. Was die AZ im Jahr 2008 in der Vor-Makowsky-Ära als Webseite bezeichnete, war ein schlechter Treppenwitz. Und nicht nur das: Es gab nicht nur keine Idee, wie man mit digitalen Medien umgehen wollte – ihre Bedeutung wurde innerhalb des Verlags und (man muss das leider so deutlich sagen) auch innerhalb der Redaktion mehr oder minder negiert. Mit den üblichen Argumenten: Mit diesem Internet verdient man kein Geld, unser Kerngeschäft ist die Zeitung und das Netz nur ein Schnorrermedium. Was im Übrigen so ungewöhnlich nicht ist, es gibt selbst heute, im Jahr 2014, noch ausgewachsene FAZ-Redakteure, die diese Meinung vertreten.
Im Fall der AZ ist diese Verweigerungshaltung allerdings noch grotesker gewesen. Ich erinnere mich, dass ich dort vor zwei Jahren eingeladen war und mir ein nicht ganz unbedeutender Kollege der Redaktion nach meinem Vortrag sagte, das sei alles Unfug: Geld verdiene man, indem man gute Geschichten finde, sie aufschreibe und dann am nächsten Tag in der Zeitung verkaufe. Nicht mal der Einwand des Geschäftsführers, dass man doch schon lange mit der Zeitung gar kein Geld mehr verdiene, konnte ihn in dieser Auffassung schwächen.
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Im Fall der AZ gibt es nichts zu deuten und keinen Interpretationsspielraum: Das Blatt hat innerhalb von zehn Jahren 70 Millionen Euro Verluste eingefahren, davon alleine im vergangenen Jahr 10 Millionen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht war die Abendzeitung schon lange ein jeden Abend in den stummen Verkäufern auftauchender Zombie. Wären nicht die lange Tradition gewesen und die Tatsache, dass sich die Verlegerfamilie die AZ als Liebhaberei leisteten, das Aus hätte nüchtern betrachtet schon viel früher kommen müssen. Wer zehn Jahre horrende Verluste einfährt und keinerlei Perspektive auf eine Trendwende hat, ist wirtschaftlich gesehen mausetot.
Dabei hat die Redaktion in den vergangenen Jahren einiges richtig gemacht. Das Blatt wurde konsequent lokaler, die Themen München, Sport und das traditionell gute Feuilleton dominierten, die Themen der großen, weiten Welt wurden nur noch pflichtschuldig abgehakt. Im Netz baute die AZ eine zumindest akzeptable Präsenz auf und sie war eine der ersten Redaktionen, die zumindest teilweise auch die Möglichkeiten von sozialen Netzwerken für sich entdeckte.
Mit ein paar Einschränkungen natürlich: 2009 wurde die Redaktion quasi halbiert, Arno Makowsky musste 40 Leute vor die Tür setzen. Ein tiefer Einschnitt, der im Nachhinein aufzeigt, wie schwierig die Lage für Tageszeitungen geworden ist: Wenn man erstmal anfangen muss, an Personal und Papier zu sparen, dann wird es von Tag zu Tag schwieriger, ein vernünftiges Blatt zu machen. Von Investitionen in die digitale Zukunft ganz zu schweigen.
Und so fingen sie dann an, Löcher zu stopfen. Die AZ war fortan ein wandelndes Provisorium, vergleichbar in etwa mit einer Fußballmannschaft, die ab der 60. Minute eines Spiels nur noch mit acht Mann weitermachen darf. Da kann der Rest der Truppe noch so viel rennen und ackern, am Ende wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Einsicht in die Aussichtslosigkeit stehen. Um ehrlich und ganz persönlich zu sein: Im Stillen habe ich immer die Ausdauer bewundert, wie Kollegen wie Arno Makowsky, Gunnar Jans, Filippo Cataldo oder auch der Online-Chef Stephan Kabosch weiter und weiter gemacht haben. Obwohl ihnen vermutlich klar war, dass sie einen mittelfristig aussichtslosen Kampf führen. Was ich als Außenstehender immer wieder mitbekommen habe, war das: Wir würden ja gerne, aber wann sollen wir das machen? Das ist ein Argument, bei dem ich normalerweise Spontanausschlag bekomme. In diesem Fall aber war es nachvollziehbar wie selten zuvor. Eine halbierte Redaktion, etliche neue, digitale Zusatzaufgaben, dazu der traditionell ziemlich harte Münchner Zeitungsmarkt mit drei Boulevard- und zwei Kaufzeitungen. Und dann eben doch: dieses Internet mit seiner unfassbaren Menge an Informationen, gegen die 30 gedruckte Seiten nur ein schlechter Witz sind.
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Ganz sicher: Die AZ hat zu spät reagiert, viel zu spät. Das kann man der jetzigen Redaktion nicht mehr zum Vorwurf machen. Wenn man erst im Jahr 2008 erkennt, dass es da noch sowas wie ein Internet gibt, dann muss man aber einem früheren Management und einer Ex-Chefredaktion angesichts seit Jahren sinkender Auflagen und Verlusten in Millionenhöhe schlichtweg Missmanagement und krasses Versagen vorwerfen. Die AZ ist schon vor Jahren mit Vollgas auf eine Mauer zugerast. Und um auch das klar zu sagen und um mir den Vorwurf der Schlaumeierei zu ersparen: Nein, ich hätte an der Stelle von Arno Makowsky und seinen Kollegen auch nicht gewusst, wie man den Zusammenstoß mit dieser Mauer noch verhindern kann.
Ein Menetekel ist ihre Insolvenz trotzdem. Weil es in Deutschland noch eine ganze Reihe anderer Blätter gibt, die eine AZ im Kleinen sind. Die über viele Jahre hinweg schlichtweg abgestritten haben, dass die Zukunft einer Tageszeitung weiß Gott wo liegen kann, aber ganz sicher nicht in dem Beharren darauf, dass es gedrucktes Papier schon immer gab und dass man doch nicht einfach seine Inhalte im Netz verschleudert. Vor allem letzteres Argument sollte nach der AZ-Insolvenz vom Tisch sein. Wenn das bisherige Geschäftsmodell langsam an seine Grenzen kommt, wird es Zeit, sich ein Neues zu suchen. Selbst dann, wenn man das alte Modell doch so schön fand.
Und nochmal: Die AZ-Insolvenz ist kein Anlass für Häme. Ich werde den Eindruck nicht los, dass sich viele Print-Leute inzwischen in einer argumentativen Wagenburg verschanzt haben und wahllos auf jeden schießen, der ihnen wohlmeinend empfiehlt, diese Wagenburg doch mal zu verlassen. Persönlich würde ich es den Kollegen in der AZ natürlich wünschen, dass es irgendwie weitergeht. Nüchtern betrachtet muss man aber sehen: Selbst wenn es – beispielsweise durch eine Fusion bzw. Übernahme durch die „tz“ (Ippen-Gruppe) – irgendwie weiterginge, die AZ, wie wir sie kennen, ist mit dem heutigen Tag gestorben.
Für die Zurückgebliebenen sollte das ein Anlass sein, nochmal genau darüber nachzudenken, wer hier eigentlich die Bedrohung ist: die bösen Print-Kritiker oder vielleicht doch sie selbst.
(Disclosure: Mit der AZ München habe ich in den vergangenen Jahren immer wieder zu tun gehabt. Ich blogge zudem für die AZ. Mit vielen Menschen dort verbindet mich ein freundschaftlich-kollegiales Verhältnis)
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Es könnte – abseits der üblichen Probleme – auch etwas mit der verblassenden Bedeutung Münchens als ‚Society-Hauptstadt‘ zu tun haben. Schon wird’s schwer für die piepel-zentrierte Berichterstattung à la Schimmerlos.
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@Klaus
Verblasst München etwa schon über zehn Jahren oder suchen Sie sich diese These aus, weil sie nicht das Offensichtliche beinhält? ^^
@Autor
Der Hintergrund geht gar nicht. Weder zum Lesen, noch für Buttons die nicht zu erkennen sind.
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