Ein neues Schlagwort geistert durch den Journalismus: Transmedia. Was auf den ersten Bick einfach nur wie eine leichte Abwandlung des hinlänglich bekannten Begriffs “Crossmedia” klingt, ist in Wahrheit nichts anderen als ein Paradigmenwechsel – hin zu einem erzählenden, vielkanaligen, interaktiven Journalismus, zu dem es im digitalen Zeitalter keine Alternative gibt.
Natürlich ist die Frage legitim: Warum soll man sich das alles antun, wenn man letztlich nur eine einzige Geschichte erzählen will? Warum dann noch Twitter und Facebook und YouTube und ein paar mobile Endgeräte noch dazu? Würde es nicht ausreichen – und viele machen das ja auch so – dass man die sozialen Netzwerke als eine Art Programmteaser hernimmt (böse Stimmen nennen so was gerne auch mal “Linkschleuder”)?
Vermutlich muss man in diesem Zusammenhang zunächst auf einen Begriff kommen, der in den letzten Jahren etwas arg überstrapaziert worden ist: Crossmedia. Selten ist ein Begriff so wahl- und ideenlos benutzt worden wie dieser. Jeder, der neben einem Zeitungstext auch noch irgendwas im Netz gemacht hat, sprach danach von Crossmedia. Das ist alleine schon deshalb zweifelhaft, weil es für den Begriff Crossmedia eindeutige wissenschaftliche Definitionen gibt. Denen ist, bei manchen Unterschieden, zumindest eines gemein: Hinter dem Thema Crossmedia sollte ein stringentes Konzept stecken. Man muss demnach also tatsächlich eine Geschichte gezielt über mehrere Plattformen erzählen. Und natürlich sollte derjenige, der am anderen Ende sitzt und diese Geschichte konsumiert, irgend etwas davon haben, wenn er die Kanäle wechselt.
Tatsächlich aber gibt es immer noch viel zu viele Themen, bei denen der Begriff “Crossmedia” zweckentfremdet wird. Entweder dazu, dass man irgendwelches Material, das bei der Produktion übrig geblieben ist, wahllos ins Netz wirft und das dann “Crossmedia” nennt. Bilderstrecken sind ein schönes Beispiel dafür. Es passiert immer noch oft genug, dass sich Zeitungsredaktionen die besten Bilder von der Karte eines Fotografen ziehen und die dann für das Blatt verwenden. Der Rest, das was übrig bleibt, landet als Bilderstrecke im Netz – und man verweist dann auch noch tatsächlich stolz darauf, dass man eine Geschichte “crossmedial” aufbereitet hat. In Wahrheit handelt es sich dabei um nichts anderes als Resteverwertung. Dahinter steckt kein Mehrwert, kein Aufwand und letztlich auch kein neuer Inhalt.
Oder aber, auch gerne verwechselt: Redaktionen kündigen eine Geschichte in einem sozialen Netzwerk an – und glauben, das alleine sei schon Crossmedia. Dabei ist das nichts anderes als eine Art Programmankündigung auf einem anderen Kanal als dem altbekannten.
Mehr als Kanäle vollschütten
Man ahnt also: Crossmediales Arbeiten müsste wesentlich mehr sein als nur das Hineinschütten von Inhalten in diverse Kanäle. Dahinter müsste eine Idee stecken, die mit multimedialem Storytelling deshalb unzureichend beschrieben wäre, weil dieser Begriff schon anderweitig belegt ist. Aber zumindest der Begriff “Storytelling”, der gehört zu einem crossmediales Konzept unbedingt dazu. Weil eine Geschichte, die man über die verschiedenen Kanäle bringt, erzählt werden will. Wer keine (crossmediale) Geschichte zu erzählen hat, der kann darauf auch ganz einfach verzichten. Nirgends steht geschrieben, dass man Geschichten crossmedial erzählen muss. Schaut man sich allerdings das an, was in den letzten Jahren in vielen Redaktionen passiert ist, dann wird man den Eindruck nicht los, sie folgten einem nichtexistenten Zwang.
Tatsächlich also müsste man den meisten Redaktionen empfehlen: Lasst doch einfach mal los, so zwanghaft crossmedial sein zu wollen. Weniger kann ja durchaus mal mehr sein. Und eine crossmediale Geschichte ist nicht per se die bessere.
Natürlich drängt sich bei einer solchen These eine Frage sofort auf: Ist es nicht gerade erst common sense im Journalismus geworden, dass Journalisten auf allen Kanälen präsent sein müssen? Bekommt man nicht überall gebetsmühlenhaft erzählt, wie wichtig Facebook, Twitter und überhaupt das ganze Netz sind?
Das ist es natürlich und es ist auch weiterhin völlig richtig so. Es ist allerdings ein Unterschied, ob man auf den unterschiedlichen Kanälen präsent ist oder ob man eine einzelne Geschichte über diverse Kanäle hinweg erzählt. Das eine schließt zwar das andere nicht aus und man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Um die Verwirrung vollständig zu machen: Macht mehr im Netz und macht weniger crossmedial! Das müsste man Journalisten heute eigentlich empfehlen.
Eine andere Empfehlung ist: die Begrifflichkeiten auseinanderhalten. Das hat nichts mit wissenschaftlicher Kleinkrämerei zu tun. Sondern damit, dass crossmediales Arbeiten und transmediales Erezählen zwei grundverschiedene Dinge sind, obwohl sich beides auf den ersten Blick nahezu identisch anhört. Der Unterschied ist: Wer transmedial arbeitet, ist permanent auf vielen Kanälen vertreten – und dennoch nicht abhängig davon, ein Thema über die Kanäle erzählen zu müssen. Weil das gleichermaßen widersprüchlich wie verwirrend klingt, sollte man sich also zunächst anschauen, wie man den Begriff Transmedia definiert. Danach wird einiges deutlicher.
Der Begriff “Transmedia” bezeichnet journalistisches Erzählen einer Geschichte bzw. eines Themas über verschiedene Plattformen hinweg. Dabei werden verschiedene Techniken und Darstellungsformen verwendet. Diese Idee des “multimedialen Storytellings” basiert darauf, dass jeder Beitrag für sich auf jeder Plattform verständlich und konsumierbar sein muss. Dieser Idee steht im Gegensatz zu der crossmedialen Erzählweise, bei der es vor allem darum geht, Inhalte mit multisensorischen Hinweisen auf die jeweilige andere Plattform in vernetzter Form zu erzählen und die verschiedenen Inhalte in einen gemeinsamen Kontext zu setzen. Während also der Begriff “Crossmedia” eine Vernetzung der Inhalte als zwingende Voraussetzung beinhaltet, geht der Begriff des transmedialen Erzählens genau den gegenteiligen Weg. Die Inhalte sind nicht vernetzt miteinander, ergeben aber zusammen eine Narration über alle Kanäle des täglichen Lebens hinweg.
Dabei darf man den Begriff der Narration durchaus wörtlich nehmen: Journalismus als eine fortwährende Erzählung, die sich unabhängig macht von einzelnen Themen. Und, wenn man so will: auch von Zeit und Raum. Journalismus wäre nach dieser Definition etwas, was den ganzen Tag stattfindet, egal auf welchem Kanal. Ein so zu definierender Journalismus ist einer, der mehr wagt, als einfach ein Thema crossmedial noch in einen zusätzlichen Kontext zu setzen. Und es wäre ein Journalismus, der damit aufhört, Kanäle nach Hierarchien zu unterscheiden. Ein 140-Zeichen-Tweet hätte demnach die gleiche Wichtigkeit wie eine große Reportage. Transmedialer Journalismus als eine permanente Erzählung, der seine Nutzer potenziell durch den ganzen Tag hinweg begleitet, da wo er gerade istm so, wie er ihn gerade haben will – das wäre das Modell der Zukunft.
Aber was heißt schon der Zukunft? Wir reden von der Gegenwart und für ein mündiges, digitales und vermutlich jüngeres Publikum ist es schlichtweg das, was er von uns verlangt. Nüchtern betrachtet haben wir also gar keine andere Wahl mehr als dorthin zu gehen, wo unser Publikum ist. Weil es umgekehrt nicht oder nur noch eingeschränkt zu erwarten ist, dass dieses Publikum dorthin kommt, wo wir sind. Den Satz “Wenn eine Nachricht wichtig ist, wird sie mich finden”, haben wir bis zur Ermüdung gehört. Weniger wahr ist er dadurch aber nicht geworden.
Trotzdem bedeutet er sehr viel mehr, als dass wir den Nutzer auf allen Kanälen darauf hinweisen müssten, welche großartigen Geschichten er nun in unserem angestammten Medium zu erwarten hat. Transmediales Arbeiten ist nicht weniger als ein kompletter Paradigmenwechsel des Journalisten-Berufs. Dabei wächst die Bedeutung von Kommunikation im ursprünglichen Sinn. Journalisten werden zunehmend zu Moderatoren einer digitalen Welt. Auch das bedeutet mehr, als dass wir künftig vermehrt auf Kommentare auf unseren Webseiten oder bei Facebook eingehen müssten. Wer sich in die digitale Welt mit ihrer Unzahl von Räumen begibt, muss zwangsläufig für Interaktion offen sein.
Telefonieren lernen…
Im Buch “Universalcode” bemüht Dirk von Gehlen (jetzt.de/Süddeutsche Zeitung) ein schönes Bild: Journalisten müssten zunehmend wieder lernen zu telefonieren. Natürlich in einem metaphorischen Sinn: lernen, wieder zu kommunizieren. Nichts anderes ist es, wenn wir bei “Twitter” und “Facebook” und all den anderen Netzen, die es da gibt und die noch kommen werden, aktiv werden. Von Gehlen nennt das Netz ein “dialogisches Medium” – und hat recht damit. Er stellt aber auch fest: “Sie (die Leser) klingeln ständig, aber die Leitung bleibt oft noch stumm.” Womöglich ist das der gravierendste Unterschied zwischen dem cross- und dem transmedialen Arbeiten: Crossmediales Arbeiten lässt sich immer noch ohne Interaktion bewerkstelligen. Für transmediales Arbeiten ist Interaktion zwingende Voraussetzung.
Transmediales Arbeiten – das bedeutet zunehmend auch: kuratieren von Inhalten. Das ist sehr viel mehr als ein paar Links zu sammeln. Es handelt sich dabei auch nicht um das schnöde Zusammentragen dessen, was andere gemacht haben. Kuratieren ist eine originär journalistische Leistung, das digitale Adäquat zur analogen Recherche. Dinge in einen Kontext zu bringen, Information aus einer täglichen Flut digitaler Datenmassen zu filtern, das ist Journalismus im besten Sinne.
Und ein Journalismus, wie er in Zeiten des digitalen Overloads unverzichtbar und letztlich auch gar nicht anders machbar ist.
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