Man kann beinahe eine Wette darauf abschließen: 2014 wird das Jahr, in dem wir mehr über die Finanzierung als über die Inhalte im Journalismus diskutieren werden.
Bisher war das ja alles nicht so wirklich ruhmreich, was sich die Branche hat einfallen lassen. Es regiert noch immer das Mantra, guter Journalismus sei nicht umsonst zu haben. Weswegen man, einfache wie vermeintlich logische Konsequenz, Geld dafür verlangen müsse, der Kunde werde das schon irgendwann mal verstehen. Ich würde ja in solchen Fällen immer gerne die Gegenfrage stellen: Und was, wenn nicht? Aber das ist natürlich hypothetisch und polemisch zugleich. Festzuhalten bleibt vorerst, dass man über die bisherigen Paywall-Versuche der deutschen Medienunternehmen nicht allzu weiß, außer, dass es sie gibt. Mit konkreten Zahlen wird wenig hantiert, was einigermaßen erstaunlich und auch irgendwie verdächtig ist angesichts des Ballyhoos, das bei der Einführung der Mauern und Schranken gemacht wurde. Was man ebenfalls weiß: SZ, FAZ und andere sind gerade intensiv dabei, ihre Mauern hochzuziehen. Und beim „Spiegel“ hat Chefredakteur Wolfgang Büchner jetzt einen klaren Kurs verkündet: Online und Print bleiben strikt getrennt, Artikel aus dem Heft sollen nicht mehr verschenkt werden, stattdessen sollen sich hinter einer Paywall zusätzliche Informationen und Materialien zu Geschichten verbergen.
So weit, so plausibel. Dass in den USA die ersten Blätter schon anfangen, ihre Paywalls einzureißen, kann man in diesem Zusammenhang einfach mal dahin gestellt lassen. Und man muss (und kann) auch nicht jedes Detail aus dem US-Markt auf den deutschen Markt transferieren. Trotzdem gibt es ein paar Dinge, die bei den Erfahrungen in den USA interessant sind.
Die wichtigste Erfahrung stammt womöglich aus Dallas. Sie besagt nichts anderes, als dass den dortigen Zeitungslesern gar nicht bewusst ist, dass sie für Journalismus bezahlen. In ihrer Wahrnehmung bezahlen sie Geld für anderes: für den Rohstoff Papier, für eine aufwendige Zeitungsproduktion, für die Lieferung bis vor die eigene Haustür. Das mag absurd, weil selbstverständlich auch die Arbeit eines oder vieler Journalisten bezahlt werden muss. Aber was nutzt das, wenn es die Leser schlichtweg nicht so wahrnehmen?
In Dallas hat man deswegen ein Experiment unternommen: Den Lesern wurde das Angebot gemacht, online exakt den selben Inhalt wie in der Zeitung zu beziehen, zu einem verglichen mit der Printausgabe um 90 Prozent reduzierten Preis. Nur 5 Prozent der Leser äußerten Interesse – was die Vermutung nahelegt, dass sie den Aufwand der Zeitungsproduktion und Auslieferung richtig einschätzen können. Oder, anders und negativer formuliert: dass sie den journalistischen Aufwand hinter einer Webseite nicht richtig zu schätzen wissen.
Das ist auch deshalb interessant, weil es die unsinnige Mehrheitsmeinung widerlegt, Leser würden den Wert des Online-Journalismus nicht schätzen und seien es schlichtweg nicht gewohnt, dafür Geld auszugeben – der vielzitierte „Geburtsfehler“ des Internet halt. Tatsächlich aber wäre es, legt man dieses Dallas-Experiment zugrunde, anders: nämlich, dass Konsumenten Journalismus überhaupt nicht als materiellen Wert schätzen. Er ist halt einfach da, eine Art Grundversorgung, ein Menschenrecht. Natürlich mag man das als unsinnig empfinden, aber der Online-Journalismus ist damit nicht alleine. Pay-TV funktioniert in Deutschland bis heute nur sehr mäßig. Neben einer Reihe von anderen Gründen vor allem aus diesem: Es gibt ein riesengroßes Angebot an Free-TV-Sendern. Warum man für Fernsehen bezahlen soll, erschließt sich immer noch nur eine Minderheit. Oder ein anderes Beispiel: Fußball. Am Versuch, Fußball bezahlpflichtig zu machen, hat sich bisher noch jeder die Zähne ausgebissen. Dabei könnte man leicht verargumentieren, warum Fußball Geld kosten soll. Die Produktions- und Rechtekosten sind so horrend, das versteht jeder noch so blauäugige Laie. Tut er aber nicht. Vielleicht will er auch einfach nicht.
Kommt Ihnen das womöglich bekannt vor?
Was ich sagen will: Die Diskussion um Bezahlinhalte im Netz ist immer noch eine sehr theoretische. Und sie setzt Dinge voraus, die man nicht voraussetzen sollte. Dass Menschen verständnisvoll mit dem Kopf nicken und danach wohlwollend den Geldbeutel zücken, wenn es um journalistische Inhalte geht, ist eine Mär. Schon immer gewesen, sogar zu analogen Zeiten. Man muss sich ja nur mal das Spektakel anschauen, dass übrigens auch gerne Journalisten entfachen, wenn es um einen Rundfunkbeitrag von knapp 18 Euro im Monat geht. Das wird schnell zum Politikum, wer sich profilieren will, der schlägt einfach mal drauf – und auf die Titelseiten der Zeitungen schafft es jede Gebührenerhöhung allemal, selbst wenn es nur um Centbeträge geht.
Und da reden wir von 18 Euro. Im Monat.
Woher nimmt man dann also die Gewissheit, dass die Leute dann schon zahlen werden? Weil man sie zwingt? Auch da fällt mir Leo Kirch ein, der vor 15 Jahren mal die Fußball-Bundesliga aus dem Free-TV auf einen unattraktiven 20.15 Uhr-Sendeplatz verbannt hat, in der Hoffnung, dass die Menschen in Scharen dann Pay-TV-Verträge abschließen. Das Resultat war, dass Kirch eine Zeitlang vermutlich mal der meist gehasste Mensch Deutschlands war. Vielleicht ist die Wahrheit ja eine ganz simple: Man kann nicht etwas kostenpflichtig machen, was es vorher umsonst gab. Das ist irrational, ich weiß, aber Benzinpreise sind auch irrational.
Bei alledem, was jetzt auch Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Büchner angekündigt hat, ist für mich eine Gretchenfrage schlichtweg immer noch nicht beantwortet: Was sollen denn jetzt diese Zusatznutzen und Inhalte sein, die man hinter Schranken verstecken will und auf die sich dann zumindest die Zahlungswilligen stürzen? Scans der Notizbücher der Spiegel-Reporter? Informationen, die nur Bezahl-Leser bekommen? Diese Grundsatzfrage hat für mich noch niemand schlüssig beantwortet, weder „Bild“, deren Bildplus-Geschichten ohnedies fröhlich von anderen Mitbewerbern nacherzählt werden, noch die Kollegen der „Braunschweiger Zeitung“, die mal in einem Werbetext für ihr Bezahlangebot ernsthaft schrieben, dafür gebe es dann auch Verkehrsmeldungen und das Fernsehprogramm?
Verabschieden wir uns deshalb also mal von der Idee, dass es die Inhalte sind, die Menschen sofort zur Kreditkarte greifen lassen. Vorstellbar, wenn überhaupt, ist anderes: dass man aus Redaktionen, aus Medienmarken eine Art Community macht, für deren Zugehörigkeit man bezahlt. Der „Guardian“ liebäugelt mit einer solchen Idee. Keine, bei der ich sofort aus Begeisterung aus dem Sessel springen würde. Aber wenigstens ein Ansatz, sich von dieser Inhaltegläubigkeit zu verabschieden.
Im Übrigen habe ich schon vor 25 Jahren in einer kleinen Lokalredaktion im wunderbaren Dingolfing eines gelernt: wie nämlich Leser den Wert von Inhalten einschätzen. Immer, wenn Vereinsvertreter eine Meldung für den Lokalteil vorbeibrachten und sich nicht so recht auszudrücken wussten, sagten sie: „Für vorn. Da wo es nix kostet.“
Der politische Journalismus ist eine der Säulen der Demokratie. Zahle ich für die anderen etwa ein Abo? Nur wenn ich bspw. Parteimitglied bin und wenn ich die Steuern so betrachten will, die im Übrigen für Arme und Arbeitslose nicht vollumfänglich erhoben wird. Wenn ich zur Unterhaltung ins Kino, Theater oder in die Videothek gehe, dann ist das nicht umsonst. Das ist zwar Kultur, aber nicht zwingend für die Meinungsbildung nötig. Dafür zahle ich gerne. Und das wird trotzdem mit Förderung unterstützt. Ich zahle aber nicht gerne für schlechte Qualität, die mit Knebelmethoden automatisch um weitere 12 Monate ins Haus flattert. Diese Tricksereien der Inhalteindustrie kombiniert mit der seit 20 Jahren sinkenden Qualität im Journalismus hat mir (online oder nicht) gründlich den Spaß am Geld ausgeben verdorben.
Ich sage schon seit Jahren – dieses Jahr verstärkt -, dass wir unterscheiden müssen zwischen dem Geschäftsmodell Journalismus, um das es Verlegern geht, und dem Prozess Journalismus, den Reporter und Redakteure verantworten. Letzterer war immer das inhaltliche Lockmittel zu ersterem – nicht [nur] für die Leser, sondern vor allem für die werbetreibende Wirtschaft.
Das Aufkommen von Zeitschriften ging mit der Erfindung der Werbeanzeige einher; diese Werbung zahlt im Wesentlichen alles, was wir so als Zeitung oder Magazin kennen. Auch und gerade die darin befindlichen Ergebnisse des Prozesses Journalismus. Die meisten Menschen wissen das, selbst wenn sie es nicht klar benennen können [müssen sie auch nicht].
Der Prozess Journalismus mag für den einzelnen im Moment nicht wirklich einträglich sein, aber er ist langfristig nicht gefährdet. Jon Stewart, Stephen Colbert und viele, viele andere Satiriker machen sich ja nicht über Journalismus lustig, sondern über den Nicht-Journalismus von Websites wie Buzzfeed [z.B. in der Daily Show vom 4. Dezember 2013] oder TV-Sendern wie Fox News. Gefährdet ist alleine das Geschäftsmodell, da im Internet theoretisch unendlich viel Anzeigenplatz vorhanden ist – anders als in einer Zeitschrift.
Solange also Verlage jede Anzeige annehmen, ihre Sites zupflastern mit Bannern, Overlays, Roll-overs, selbst startenden Videos und Audios, werden die Preise sinken. Und so lange wird das Geschäftsmodell Journalismus in großen Schwierigkeiten stecken.