Der größte redaktionelle Alptraum, den ich mal hinter mich bringen musste, nannte sich „Zentralredaktion“. Dieses journalistische Monstrum sollte vor knapp 15 Jahren alle Sender und Mediengattungen der damaligen Kirch-Gruppe mit Inhalten beliefern. Alles aus einer Hand, trotzdem individualisiert, unheimlich effizient und kostensparend. Man muss das Journalisten vermutlich nicht erzählen, dass eine solche Idee nur aus den feuchten Träumen von Controllern und Vorständen kommen kann, in der Tat aber kein realistisches Konstrukt ist. Ein Inhalt, der gleichermaßen bei N 24 wie Pro 7 funktionieren soll? Kaum vorstellbar (es sei denn, man sieht sich an, was inzwischen aus der Nachrichtenattrappe N 24 geworden ist; da kann man durchaus Nachrichten zu Dokus über die größten Sattelschlepper der Welt oder irgendwas mit Wetter oder Hitler auf allen Kanälen bringen). Ein Journalist weiß also, dass die Träume von den Synergien etc. in etwa gleichbedeutend mit einem flotten Dreier ist: Die meisten Controller träumen von ihm, selten wird er wahr.
In den letzten Jahren sind die kleinen Fantasien von flotten Dreiern in vielen Verlagen wieder hochgekommen. Springer versucht sich seit Jahren an irgendwelchen eher mäßig funktionierenden Zuliefer- und Austauschmodellen, bei Gruner&Jahr hat man die ganzen Wirtschaftspublikationen mal eben in einen großen Topf geworfen und daraus kurzerhand die „Wirtschaftspresse“ gemacht. Die Funkes formerly known as WAZ lassen sich mittlerweile ihre Zeitungen im Lokalteil teilweise von der Konkurrent befüllen. Das Ergebnis ist bekannt: Die Austauscherei hat kein einziges Springer-Blatt weiter gebracht, die WAZ verliert in Dortmund mehr an Auflage als ohnehin schon in den anderen Regionen, die „Wirtschaftspresse“ ist traurige Geschichte (der Korrektheit halber sollte ich dazu fügen, dass ich an der Umsetzung einer Zentralredaktion bei Kirch ebenfalls mehr oder weniger kläglich gescheitert bin).
Dass es das neue Springerfunke-Großkonglomerat jetzt wieder mit einem synergetischen Modell versuchen will, kann man als konsequent bezeichnen. Oder auch als unbelehrbar. Jedenfalls soll ungeachtet des Verkaufs der Springer-Blätter an die Funke-Gruppe die Zulieferung der „Welt“ an die anderen weitergehen. Das klingt erst einmal logisch und nachvollziehbar, weil das ja bisher schon so war. Die tatsächliche Dimension ist allerdings die, dass die Funke-Gruppe zu einem role model für einen überaus merkwürdigen Trend in der Verlagswelt wird: Man versucht zunehmend, Zeitungen zusammenzuschustern. Von Publizistik und Journalismus kann jedenfalls bei der ehemals stolzen WAZ kaum mehr die Rede sein, eher von einer Hülle, in die verschiedene Inhalte eingekauft werden. Dass sie sich bei Springer angesichts dieses Deals freuen werden, dürfte gesichert sein. Man verkauft seinen alten Krempel und schließt dazu gleich noch einen Servicevertrag ab.
Tatsächlich muss man sich bei dieser ganzen Sache sehr viel mehr über die Funke-Gruppe wundern als über Springer. Im Ruhrgebiet kreist seit Jahren die ganz große Sparkeule, hunderte Jobs sind abgebaut, ganze Redaktionen mit einem Federstrich geschlossen worden, die Auflagen befinden sich selbst für Tageszeitungsverhältnisse in einem erstaunlich freien Fall, eine klare Digitalstrategie gibt es nicht und von einem journalistischem Profil mag man eh nicht mehr sprechen – und dann kauft man in einem kriselnden Kerngeschäft das kriselnde Kerngeschäft eines Konkurrenten dazu, um sich von diesem Konkurrenten dann mit Inhalten beliefern zu lassen? Ich habe nicht BWL studiert und würde mir auch keine übertrieben hohen strategischen Fähigkeiten zubilligen, aber um das als ziemlichen Unsinn zu erkennen, dafür reicht es sogar bei mir noch.
Und auch im gefühlten Jahr 50 nach Beginn der Digitalisierung staunt man immer noch über beträchtliche Teile der deutschen Verlage: Es fallen einem spontan nur sehr wenige ein, denen man eine stringente und zukunftsfähige Digitalstrategie zubilligen würde. Digitale Innovationen aus Verlagshäusern werden eher selten gesichtet, beim Hase- und Igelspiel mit dem Netz sind sie meistens Hase. Das Leistungsschutzrecht haben sie durchgedrückt und es wird ab morgen wirkungslos verpuffen (dazu habe ich gesondert ein paar Sätze bei „Cicero“ geschrieben). Nur was ihre eigentlichen Überlebensstrategien angeht, fällt ihnen meistens nicht sehr viel mehr ein als sparen und zusammenlegen, was sich jetzt Synergien nennt und gleich viel besser klingt.
Wie solche Geschichten meistens weitergehen, wissen BWL-Studenten übrigens sehr häufig schon nach dem zweiten Semester.