La Bräs Banda findet sich immer noch richtig gut

In dem Moment, als die Jungs die Bühne betraten, gab es standing ovations: Das Duo „Y-Titty“ wurde bei der Verleihung des Webvideopreises in Düsseldorf gefeiert, als würde es sich um Veteranen der Filmindustrie handeln, die einen Preis für ihr Lebenswerk bekommen. Wenn man so will, dann ist es ja auch so: Die Szene ist noch nicht so alt, als dass sich dort 80jährige ihre Trophäen abholen könnten. Dass bei der Gala über 1000 Gäste anwesend und die Karten zuvor so begehrt waren, dass man sich frühzeitig darum kümmern musste, fand ich noch nicht so wirklich erstaunlich. Was mich viel mehr verblüfft hat, waren die Videos der Preisträger. Das war so kreativ, so überraschend, witzig, hochwertig und vor allem so eigenständig im Stil, wie ich es mir kaum hätte vorstellen können. Und ich fand schon die Preisträger der Jahre zuvor ziemlich gut. Im Stillen habe ich dann noch Abbitte geleistet bei meinen beiden mehr oder weniger halbwüchsigen Töchtern, die immer dann, wenn sie mich in München besuchen, so gut wie nie fernsehen wollen: YouTube ist ihnen viel wichtiger, Y-Titty finden sie lustig, Oliver Pocher eher nicht.  Am Ende blieb mir dann nur noch die Erkenntnis, wie weit sich das konventionelle Fernsehen und das Web inzwischen voneinander entfernt haben. Und die Frage, wie es die konventionellen Sender, insbesondere die öffentlich-rechtlichen, jemals schaffen wollen, diese Webvideo-Generation wieder zurückzuholen. Und weil ich dann eh schon dabei war, mir ein paar grundsätzliche Gedanken zu machen, kam dann noch dieser hier hinzu: Das Problem der klassischen Medien ist nicht dieses komische Internet, das sie immer noch erstaunlich wenig verstehen. Das Problem ist auch nicht die vermeintliche Kostenlos-Mentalität. Das Problem ist, dass sie das Zeug, dass sie bisher auf analogen Kanälen verbreitet haben, einfach im Netz weitermachen wollen. Ohne verstanden zu haben, dass sich im Netz inzwischen sehr eigene Erzählformen, Darstellungsweisen, Interaktionen und Gewohnheiten entwickelt haben. (Eine Auflistung der Preisträger mit Links zu den jeweiligen Videos gibt es übrigens hier)

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Sie? Ja, man darf bei dieser These schon im Plural sprechen. Natürlich sind es nicht die TV-Sender alleine, die an Boden verlieren. Zeitungsverleger können da ebenso gut mitreden. Zusammen gehen sie momentan – nach etwas längeren politischen Auseinandersetzungen – wieder auf Kuschelkurs. Beim Medienforum NRW versicherten sie sich gegenseitig ihrer Zuneigung, ihrer Nähe zueinander – und dass sie letztendlich ja dann doch die Garanten des Qualitätsjournalismus seien. Dazu passte dann übrigens auch, dass Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart Bloggen als eine Art Publizieren auf Hartz IV-Niveau bezeichnete, aber das nur nebenbei. Jedenfalls war die Tendenz bei Medienforum einmal mehr eine eindeutige: Dem Qualitätsjournalismus muss man nur ein neues, digitales Geschäftsmodell geben – und dann geht alles so gut weiter wie bisher. Auch – und das sei als letzter Schlenker gestattet – bei Springer sind sie davon überzeugt, dass das die große Aufgabe der Zukunft ist: Man muss die Leute jetzt endlich mal zur Vernunft und damit zum Bezahlen bringen.

Was aber, wenn das alles gar nicht das wirkliche Problem  ist, das sie vor allem mit dem jüngeren Publikum haben bei ARD und ZDF, bei der WAZ und bei der der Bild? Was , wenn es für die Millionenrückgänge bei der „Bild“-Auflage auch andere Gründe als das Kostenlos-Netz geben könnte? Was, wenn Claus Kleber recht hat, dass die Art, wie in der „Tagesschau“ Nachrichten verlesen werden, sonst nur noch in Nordkorea praktiziert wird? Und  was, wenn speziell jüngere Menschen Blätter wie die WAZ oder die PNP als das begreifen, was sie häufig leider auch sind: als uninspirierte, langweilige und irgendwie aus der Zeit gefallene halbamtliche Organe, deren Lektüre häufig so spannend ist wie eine Folge Telekolleg III (Physik) aus den 70er Jahren? Könnte es also nicht schlicht und ergreifend so ein, dass sich mit dem Netz auch ein neuer Journalismus entwickelt hat, der keineswegs nur von professionellen „Qualitäts“-Journalisten gemacht wird, den aber die analogen Qualitätsmedien mangels Verständnis dafür nicht im Kreuz haben?

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Um auf die Webvideos zurückzukommen: Es sind ja nicht nur die nackten Zahlen, die belegen, dass YouTube et al nicht mehr die Plattformen mit diesem lustigen Katzencontent sind. Wer will, kann heute schon seinen ganzen Bewegtbildkonsum über solche Portale abdecken, ohne ein einziges Mal einen Fernseher einzuschalten oder auf (öffentlich-rechtliche) Inhalte zuzugreifen. Die ganz Harten sagen schon heute, Videoportale seien das bessere Fernsehen. Ob man soweit gehen muss, weiß ich nicht – sicher ist nur, dass die Bräsigkeit, die in deutschen Sendern und Verlagshäusern anzutreffen ist, das möglicherweise größere Gift als jeder Gratisinhalt im Netz sind. LaBräsBanda findet sich selbst immer noch richtig gut und sieht deshalb keinen großen Grund zur Veränderung. Ist es eine gewagte Prognose, wenn man behauptet, dass die „Tagesschau“ auch in zehn Jahren noch so tut, als würde sie vom Blatt abgelesen? Und dass in den „Tagesthemen“ jeden Abend ein Kommentar gesprochen wird, auch wenn es gar nichts zu kommentieren gibt? Dass das ZDF weiterhin mediokres vor sich hin pilchern als Strategie bezeichnet und alle anspruchsvollen Inhalte sicherheitshalber bei ZDF neo versteckt?  Und dass man in der ARD den „Brennpunkt“ für den Gipfel des aufgeweckten, aktuellen und hochwertigen Journalismus hält, ergänzt mit sagenhaften fünf Talkshows pro Woche?

Dabei müssten die Programm-Macher schon alleine beim Blick auf die nackten Zahlen kalte Füße bekommen. Man hat sich möglicherweise inzwischen etwas daran gewöhnt, dass man im Schnitt nur noch Zuschauer kurz über- und unterhalb der 60 Jahre erwischt. Natürlich gehört das ZDF beim Gesamtpublikum immer noch zu den Top 3 in Deutschland, bei den jüngeren Zuschauern liefert es sich hingegen ein packendes Rennen mit Sendern wie Kabel 1 und Vox.  Die Antwort auf die Frage danach, warum das so ist, lässt sich bei ARD und ZDF ganz einfach beantworten: weil es für jüngere Zuschauer kaum einen Grund gibt, die Programme einzuschalten. Erschwerend wird in Zukunft dazu kommen, dass sich eine ganz junge Generation aus der klassischen TV-Nutzung schon lange verabschiedet hat. Und von der Bräsigkeit, mit der sie zunehmend daherkommen, leise das Wort „Sehgewohnheiten“ vor sich hin murmelnd.

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Aber es sind ja nicht nur die Sender, die sich als Hüter des Qualitätsdingens gerieren und insgeheim meinen, wenn sie dann mal alle älter sind, dann kommen sie schon irgendwann wieder zurück.  Auch der andere Partner dieses neuen Bündnisses für Qualitätsjournalismus schwächelt nicht nur wegen seiner sinkenden Auflagen und Umsätze, sondern auch wegen seiner Haltung. Ich weiß nicht, wie ernst Steingart seinen Spruch von den Hartz4-Bloggern gemeint hat, vielleicht war das ja auch nur eine sanfte Ironie, von der keiner gemerkt hat, dass es Ironie war. Trotzdem darf man darauf wetten, dass es nicht wenige Kollegen gibt, die wenigstens verstohlen mit dem Kopf nicken, wenn sie solche Sätze hören. Am besten, das suggerieren solche Sätze, soll halt dann doch alles bleiben wie es ist. Und daran wird fleißig gearbeitet: Es gibt immer noch hinreichend viele Verlagsstrategien, die sich letztendlich darauf beschränken, „die Zeitung“ ins Netz zu holen, wie auch immer das dann funktionieren soll. Sicher ist nur: das Blatt soll so bleiben wie es ist und das Geschäftsmodell auch. Nicht umsonst hat Springer-Chef Matthias Döpfner die ganze Branche aufgefordert, dem selbsternannten Vorreiter zur Rettung der Bezahlkultur in Deutschland die Daumen zu drücken. Da wird dann als Begründung auch schon mal angeführt, gute Inhalte müssten dem Nutzer halt was wert sein. Was schon richtig ist, gleichzeitig aber eben auch zur Gegenfrage führt: was, wenn nicht?

Und vielleicht ist es ja auch gar nicht mal so schlecht, wenn sich Redaktionen in Deutschland einem unfreiwilligen Lackmustest unterziehen. Gesetzt den Fall nämlich, die Sache mit dem Bezahlen für Inhalte läuft doch nicht so, wie man sich das vorstellt, könnte man vor einer ganz anderen Frage stehen als der nach der Bezahlwilligkeit im Netz: Ist dieser Journalismus, sind diese „Produkte“, die wir da jahraus, jahrein mit größtmöglicher Routine abliefern, überhaupt noch das, was man im digitalen Zeitalter gerne hätte?

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